Leitsatz

Eine tatsächliche Verständigung zwischen einem Steuerpflichtigen und der für seine Besteuerung zuständigen Finanzbehörde, deren Gegenstand die Übernahme von Steuerschulden Dritter ist, bindet die für die Besteuerung der Begünstigten zuständigen Finanzbehörden nicht, wenn diese am Zustandekommen der tatsächlichen Verständigung nicht beteiligt waren.

 

Normenkette

§ 85 AO , § 88 AO , § 93 AO , § 97 AO , § 162 AO , § 174 Abs. 1 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger erzielte in den Streitjahren (1993 und 1994) Einkünfte aus Gewerbebetrieb als selbstständiger Versicherungsvertreter der X-Versicherungsgruppe. Die X-Gruppe gewährte ihren selbstständigen Versicherungsvertretern im Rahmen eines Haustarifs einen Rabatt von 20 % auf den Beitrag zur Krankenversicherung und leistete zu dem verbleibenden Beitrag einen Zuschuss von 50 %. Die daraus resultierenden Vorteile (ca. 13.000 DM pro Jahr) gab der Kläger in seinen Steuererklärungen nicht an.

1995 wurde zwischen den Vertretern der X, des Betriebsstätten-FA der X, der Zentralen Außenprüfungsstelle für Lohnsteuer und des für X zuständigen FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung eine tatsächliche Verständigung im Wesentlichen des Inhalts getroffen, dass die X die Steuerausfälle bei ihren vielen selbstständigen Versicherungsvertretern übernehme. Bei einem Durchschnittssteuersatz der selbstständigen Versicherungsvertreter von 40 % ergebe sich ein Steuerausfall von 6,88 Mio. DM. Die nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben seien im Jahr 1995 bei einem Steuersatz von 42 % entsprechend zu erhöhen. Entsprechend wurden die Festsetzungen der KSt und des GewSt-Messbetrags der X für 1995 erhöht.

Das für die Einkommensbesteuerung des Klägers zuständige FA erfasste die in Rede stehenden Rabatte und Zuschüsse gleichwohl als Betriebseinnahmen des Klägers. Es ging davon aus, dass die tatsächliche Verständigung nur zwischen der X und den beteiligten Finanzbehörden Bindungswirkung entfaltet habe. Klage (vgl. EFG 2003, 1210) und Revision des Klägers blieben erfolglos.

 

Entscheidung

Der BFH führte im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des von der Rechtsprechung entwickelten Instituts der tatsächlichen Verständigung hätten mangels Beteiligung eines für die Steuerfestsetzung des Klägers zuständigen Amtsträgers nicht vorgelegen. Die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung könne auch nicht auf Personen und Behörden ausgedehnt werden, die am Zustandekommen der Verständigung nicht beteiligt gewesen seien.

Ferner lägen keine Feststellungen des FG vor, die die Annahme rechtfertigen könnten, es habe sich um einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt im Sinn der Rechtsprechungsgrundsätze zur tatsächlichen Verständigung gehandelt. Darüber hinaus stünden der Geltendmachung der streitigen Steueransprüche weder Treu und Glauben noch das Institut der Verwirkung noch ein Verbot der Doppelbesteuerung entgegen.

 

Hinweis

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgt aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass sich die Beteiligten an einer zulässigen und wirksamen tatsächlichen Verständigung festhalten lassen müssen. Die Bindungswirkung einer solchen Vereinbarung setzt voraus, dass sie sich auf Sachverhaltsfragen – nicht dagegen auf Rechtsfragen – bezieht, der Sachverhalt die Vergangenheit betrifft, die Sachverhaltsermittlung erschwert ist, auf Seiten der Finanzbehörde ein für die Entscheidung zuständiger Amtsträger beteiligt ist und die tatsächliche Verständigung nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht sämtlich vor.

Zunächst waren die für die (vielen) selbstständigen Versicherungsvertreter zuständigen Finanzämter, die über ganz Deutschland verteilt waren, nicht an der Vereinbarung beteiligt. Das Argument des Klägers, die an der tatsächlichen Verständigung mitwirkenden Amtsträger seien "als Vertreter der Finanzbehörden der Bundesrepublik Deutschland" aufgetreten, hat der BFH unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung nicht gelten lassen. Überdies war auch der Kläger weder selbst noch durch einen Vertreter am Zustandekommen der tatsächlichen Verständigung beteiligt.

Darüber hinaus waren auch keine Anzeichen dafür erkennbar, dass ein schwierig zu ermittelnder Sachverhalt vorlag: Die Namen der Versicherungsvertreter waren der Versicherungsgesellschaft (X) bekannt. Sie konnten auch von den für die X zuständigen Finanzbehörden ermittelt werden (§§ 93, 97 AO). Auch die Höhe der auf die einzelnen Versicherungsvertreter entfallenden Betriebseinnahmen dürften anhand der Vertrags- und Buchhaltungsunterlagen der X ohne weiteres zu ermitteln gewesen sein. Abgesehen davon wies der BFH zutreffend darauf hin. dass die Anerkennung der hier getroffenen tatsächlichen Verständigung die Regelungen des Grundgesetzes über die Steuerverteilung verletzen würde.

Die X muss nunmehr versuchen, den an ihr Betriebsfinanzamt gezahlten Betrag über geänderte Steuerfestsetzungen gem. § 174 Abs. 1 AO zurückzuerhalten.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 7.7.2004, X R 24/03

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