Leitsatz

Der Verzicht eines Landwirts auf ein vertragliches Lieferrecht (durch Zustimmung zur vorzeitigen Auflösung eines Vertrags über die Lieferung von Lebensmitteln) gegen "Abstandszahlung" ist steuerbar und fällt nicht unter die Durchschnittssatzbesteuerung des § 24 UStG.

 

Normenkette

§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 4, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, Art. 295 Abs. 1 Nrn. 4 und 5, Art. 300 Nrn. 1 und 2, Art. 302, Art. 168 Buchst. a EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GbR, schloss 2011 mit einer Erzeuger-KG einen Vertrag über die Lieferung von 70 % der von der Klägerin erzeugten Lebensmittel. Die KG ging eine Abnahmeverpflichtung ein. Eine Kündigung war erstmals zum 31.12.2015 möglich. Die auf dem Vertrag beruhenden Lieferungen der Klägerin an die KG erfolgten gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG zum Durchschnittssatz von 10,7 %.

Zum 31.5.2013 hoben die Beteiligten den Liefervertrag auf. Die KG zahlte zum Ausgleich der aufgrund der vorzeitigen Vertragsauflösung entstehenden Einbußen eine "Abstandszahlung" (unter Anwendung des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG).

Das FA besteuerte nach Durchführung einer Außenprüfung den Verzicht mit dem Regelsteuersatz. Die USt wurde aus dem Bruttobetrag herausgerechnet. Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Vorinstanz (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.6.2021, 6 K 2136/16, Haufe-Index 15094046) gab der Klage statt. Das FG nahm an, der Verzicht der Klägerin sei zwar steuerbar, aber ein unter § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG fallender Umsatz.

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des FG auf und entschied, der Verzicht falle nicht unter § 24 UStG. Er verwies den Rechtsstreit zur Feststellung der abziehbaren Vorsteuerbeträge an das FG zurück.

 

Hinweis

1. Auch der Verzicht auf ein Recht (hier: Lieferrecht) kann umsatzsteuerrechtlich eine steuerbare Leistung sein. Dies war für die Beteiligten (zu Recht) so "selbstverständlich", dass sie um dieses (in anderen Fällen "beliebte") Thema schon gar nicht gestritten haben. Der BFH hat diese Annahme im Besprechungsurteil in aller Kürze bestätigt.

2. Die schwierigere Frage im Streitfall war, ob der Verzicht auf einen Umsatz immer wie der Umsatz, auf den verzichtet wird, besteuert werden muss.

a) Hier gilt seit dem EuGH-Urteil Lubbock Fine (EuGH, Urteil vom 15.12.1993, C-63/92, Lubbock Fine, EU:C:1993:929, Haufe-Index 60577) der Grundsatz, dass der Verzicht auf eine Leistung grundsätzlich wie die Leistung besteuert wird. Die Vorinstanz hatte diesen Grundsatz auch im Besprechungsfall angewendet.

b) Kein Grundsatz ist ohne Ausnahme, was dem FG allerdings bei seiner Entscheidungsfindung noch nicht klar sein konnte: Der BFH hat erst im Urteil vom 30.6.2022,V R 36/20 (BFH/NV 2023, 104, zum Chefarzt) den entgeltlichen Verzicht auf das Recht, umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen privat ausführen bzw. abrechnen zu dürfen (Recht auf Privatliquidation), als nicht umsatzsteuerfrei angesehen. Im dortigen Fall bestand ein Dreipersonenverhältnis, weil derjenige, der das Recht eingeräumt hatte (Krankenhaus), nicht der Patient war und der Verzicht auf das Recht keinen therapeutischen Zweck hat.

c) Mit dem Besprechungsurteil hat der BFH dies auf die Landwirtschaft und § 24 UStG übertragen. Die Durchschnittssätze pauschalieren die typische Mehrwertsteuer-Vorbelastung zur Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen. Der Landwirt (oder Forstwirt) muss dazu Maschinen einsetzen, die der Abnutzung unterliegen und gewartet werden müssen etc., sowie entweder die zur Erzeugung notwendigen Gegenstände wie Saatgut, Dünge- oder Pflanzenschutzmittel erwerben oder die zur Erbringung der Dienstleistung notwendigen Gegenstände (wie z.B. Treibstoff) oder Dienstleistungen (z.B. von Subunternehmern) beziehen. Verzichtet er auf den Umsatz, muss er das jedenfalls nicht in diesem Maße (oder bezieht die Leistungen zur Ausführung anderer Umsätze, die ihrerseits der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegen).

3. Dem Landwirt steht im Gegenzug das Recht auf Vorsteuerabzug für die Leistungen zu, die er tatsächlich zur Ausführung der Verzichtsleistung bezogen hat. Im Besprechungsfall hatte die Klägerseite mit Vehemenz vorgetragen, dass für den Verzicht Vorsteuerbeträge angefallen seien. Denkbar erscheint dies durchaus (z.B. für Leistungen von Rechtsberatern bei den Verzichtsverhandlungen oder für vergebliche Aufwendungen, vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 3.3.2005, C-32/03, Fini H, EU:C:2005:128, BFH/NV Beilage 2005, 179; s. aber auch EuGH, Urteil vom 6.10.2022, C-293/21, Vittamed technologijos, EU:C:2022:763, BFH/NV 2022, 1423; EuGH, Urteil vom 9.7.2020, C-374/19, Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler, EU:C:2020:546 BFH/NV 2020, 1037). Die Vorsteuerbeträge können nun nachgewiesen werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.8.2023 – XI R 27/21

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