Rz. 70

Der Jahresabschluss der Kapitalgesellschaft muss den für alle Unternehmen geltenden Vorschriften der §§ 242 ff. HGB entsprechen. Der Jahresabschluss ist insbesondere nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung aufzustellen (§ 243 Abs. 1 HGB).[1]

Über diese Regelungen hinaus enthält § 264 Abs. 2 HGB für Kapitalgesellschaften den Grundsatz des "true and fair view". Der Jahresabschluss der Kapitalgesellschaft hat danach ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln. Gesetzliche Vertreter einer Kapitalgesellschaft, die Inlandsemittent i. S. d. § 2 Abs. 7 WpHG ist (mit Ausnahme der in § 327a HGB bezeichneten Kapitalgesellschaften), haben schriftlich zu versichern, dass der Jahresabschluss diesen Grundsätzen entspricht bzw. – wenn dies nicht der Fall ist – dass der Anhang entsprechende Angaben enthält (§ 264 Abs. 2 Satz 3 HGB). Eine entsprechende Versicherung ist nach § 289 Abs. 1 HGB auch für den Lagebericht abzugeben. Für Unternehmen, die dem Publizitätsgesetz unterliegen, gilt der Grundsatz des "true and fair view" nicht, da § 264 Abs. 2 HGB in § 5 PublG nicht in Bezug genommen ist.

 

Rz. 71

§ 264 Abs. 2 Satz 1 HGB enthält mit den Begriffen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie den "tatsächlichen Verhältnissen" unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen. Die Darstellung der Vermögenslage umfasst das Aktivvermögen.[2] Die Darstellung dieser Vermögenslage erfolgt in erster Linie in der Bilanz. Die Darstellung hat daher den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung zu folgen. Neben dem richtigen Ansatz der Vermögensgegenstände hat ihre Bewertung entscheidenden Einfluss auf die richtige Darstellung der Vermögenslage. Die Darstellung hat unter dem Prinzip des "going concern" zu erfolgen.

Unter Finanzlage sind die wesentlichen Aspekte zu verstehen, die Einfluss auf die Finanzierung der Kapitalgesellschaft haben. Aus dem Jahresabschluss müssen sich die Herkunft und die Verwendung der in der Kapitalgesellschaft eingesetzten Mittel (Eigenkapital, Fremdkapital), ihre Bindung im Unternehmen (gezeichnetes Kapital, ausschüttbare Rücklagen, nicht ausschüttbare Rücklagen) sowie ihre Fristigkeit ergeben. Wesentliche Angaben hierzu sind aus der Bilanz, aber auch aus der Gewinn- und Verlustrechnung zu entnehmen. Der Darstellung der Finanzlage dienen auch die Erläuterungen im Anhang, z. B. die Gliederung der Verbindlichkeiten nach Laufzeiten (§ 285 Satz 1 Nr. 1 HGB). Ergänzende Angaben können im Lagebericht gemacht werden.

Die Darstellung der Ertragslage erfordert, das Zustandekommen des Erfolgs im abgelaufenen Geschäftsjahr erkennbar zu machen und Einblick in die Aufwands- und Ertragsstruktur des Unternehmens zu geben. Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit muss von dem außerordentlichen Ergebnis getrennt erkennbar sein. Der Darstellung der Ertragslage dient in erster Linie die Gewinn- und Verlustrechnung, ergänzt um die Angaben im Anhang. Insbesondere die vorgeschriebene Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung nach § 275 HGB soll eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Darstellung der Ertragslage sicherstellen.

 

Rz. 72

Der Grundsatz des "true and fair view" erfordert, dass die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt.

Da auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ist, verstößt es gegen diesen Grundsatz, wenn im Interesse des Gläubigerschutzes vorsichtig bilanziert wird. Der Grundsatz des "true and fair view" kann daher mit dem Grundsatz der vorsichtigen Bilanzierung kollidieren. Mittel zur Auflösung dieses Konflikts ist der Anhang; erforderlichenfalls sind die Auswirkungen der vorsichtigen Bilanzierung im Anhang darzustellen.

Nach § 264 Abs. 2 Satz 2 HGB sind nach dem Grundsatz des "true and fair view" bei Vorliegen besonderer Umstände die Angaben in Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung durch zusätzliche Angaben im Anhang zu machen. Daraus folgt, dass auch aus dem Gesichtspunkt des "true and fair view" zusätzliche Angaben nur erforderlich sind, wenn besondere Umstände vorliegen. Es wird also unterstellt, dass im Normalfall die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Lage des Unternehmens vermitteln. Die zusätzlichen Angaben sind auch nur zu machen, wenn die besonderen Umstände zu einer wesentlichen Korrektur der in Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung dargestellten Lage führen; der Grundsatz der Wesentlichkeit hat bei Zusatzangaben aus dem Gesichtspunkt des "true and fair view" besondere Bedeutung. Für Kleinstkapitalgesellschaften stellt der Gesetzgeber in § 264 Abs. 2 Satz 4 HGB klar, dass die Nutzung der Erleichterungen für diese Größenklasse grundsätzlich noch dem Grundsatz des "true and fair view" entspricht und somit alleine hieraus keine Angabepflichten, die dann unter der Bilanz auszuweisen wären, entstehen.

[1] Vgl. hierzu im Einzelnen "Grundsät...

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