Als weiteren Tatbestand kennt die Verstrickungsbesteuerung ab 2022 auch den Fall der Verstärkung des inländischen Besteuerungsrechts. Fallgruppen sind Anrechnungsbetriebsstätten und Nicht-DBA-Fälle, weil hier die bisherige Beschränkung einer uneingeschränkten Besteuerung durch die Anrechnungsverpflichtung nach DBA bzw. § 34c EStG/§ 26 KStG entfällt. § 4 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG n. F. regelt dies wie folgt: […] [die Entstrickungsbesteuerung] gilt auf Antrag auch in den Fällen, in denen die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts entfällt und in einem anderen Staat eine Besteuerung auf Grund des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts dieses Staates hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts erfolgt. Infolgedessen liegt im ersten Schritt eine fingierte Entnahme auch dann vor, wenn das inländische Besteuerungsrecht verstärkt wird ("Beschränkung … entfällt") und im anderen Staat eine Entstrickungsbesteuerung erfolgt.

Die Bestärkung des Besteuerungsrechts führt damit zunächst zu einer fingierten Entnahme aus dem Betriebsvermögen des Stpfl., da in solchen Fällen der Anrechnungsbetriebsstätte das Wirtschaftsgut bislang zum Betriebsvermögen gehörte. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG erfolgt bei Anwendung der Entstrickungsbesteuerung im überführenden Staat die Wertverknüpfung; sie ist auf den gemeinen Wert beschränkt. Anschließend wird das entsprechende Wirtschaftsgut gem. § 4 Abs. 1 Satz 9 EStG i. d. F. des ATAD UmsG (fiktiv) in das inländische Betriebsvermögen eingelegt: "In den Fällen des Satzes 3 zweiter Halbsatz gilt das Wirtschaftsgut als unmittelbar nach der Entnahme wieder eingelegt." Es handelt sich – da sowohl vor- als auch nachher inländisches Betriebsvermögen vorliegt – rein um einen steuerbilanziellen "Trick" um den Step-up der AfA-Bemessungsgrundlage abzubilden. Hierzu wird gesetzestechnisch nach § 4 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG also zuerst eine Entnahme fingiert. In der nächsten juristischen Sekunde erfolgt dann die fingierte Einlage nach § 4 Abs. 1 Satz 9 EStG. Die Bewertung der fingierten Einlage ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 5b EStG: "Im Fall des § 4 Absatz 1 Satz 9 ist das Wirtschaftsgut jeweils mit dem Wert anzusetzen, den der andere Staat der Besteuerung zugrunde legt [d. h. Regelfall der Wertverknüpfung], höchstens der gemeine Wert."

Damit ergeben sich für die Praxis ab 2022 folgende Auswirkungen (Fallgruppen):

  • Der Abgangsstaat wendet keine Entstrickungsbesteuerung an. In diesem Fall ist der Buchwert fortzuführen.
  • Der Abgangsstaat wendet die Entstrickungsbesteuerung an. In diesem Fall erfolgt eine Einlage mit dem Entstrickungswert des Abgangsstaats (Wertverknüpfung), höchstens mit dem gemeinen Wert.

Derartige Fälle dürften in der Praxis selten sein, da Deutschland nach der Verhandlungsgrundlage für DBA bei Betriebsstättengewinnen regelmäßig die Freistellungsmethode anwendet. Anrechnungsbetriebsstätten bestehen regelmäßig im Verhältnis zu Nicht-DBA-Staaten sowie Fällen der ausnahmsweisen Anwendung der Anrechnungsmethode im DBA aufgrund eines Aktivitätsvorbehalts oder generellen Anwendung der Anrechnungsmethode aufgrund einer Niedrigbesteuerung (z. B. im Verhältnis zu Zypern und den Vereinigten Arabischen Emiraten).

 
Praxis-Beispiel

Grundfall:

Die Z-GmbH überführt ein Wirtschaftsgut aus ihrer zypriotischen Fabrik in die deutsche Fabrik in Hamburg. Das DBA Zypern gibt in Art. 22 Abs. 1 die Anrechnungsmethode vor. Der inländische Buchwert des Wirtschaftsguts beträgt 800, der zypriotische Buchwert 600 und sein Marktwert 1.400. Das Wirtschaftsgut wird in Zypern (unterstellt) mit einem Wert von 1.200 entstrickt.

Lösung bis einschließlich 2021: Da durch die Anwendung des Welteinkommensprinzips und die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch die Anrechnungsmethode bereits ein deutsches Besteuerungsrecht vorlag, ist keine Begründung des Besteuerungsrechts gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbsatz 2 EStG 2021 gegeben, d. h. der Buchwert in der deutschen Steuerbilanz ist fortzuführen.

Lösung ab 2022: § 4 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG 2022 führt auf Antrag zu einer fingierten Entnahme des Wirtschaftsguts und nach § 4 Abs. 1 Satz 9 EStG kommt es zu einer anschließenden fingierten Einlage, wenn die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrecht wegfällt und eine Entstrickungsbesteuerung in Zypern erfolgt. Deutschland übernimmt gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5b EStG das Wirtschaftsgut mit dem Wert, den Zypern bei der Entstrickung angesetzt hat: 1.200. Die Entstrickungs-Besteuerung im 1. Schritt i. H. v. 400 (Entstrickungswert 1.200 – Buchwert 800) erfolgt in Deutschland gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG. Die Anrechnung der anteiligen zypriotischen Steuer (aus der zypriotischen Entstrickungsbesteuerung in Höhe der Differenz des Entstrickungswerts von 1.200 abzüglich des dortigen Buchwerts von 600) erfolgt gem. § 26 KStG. In einem 3. Schritt kommt es zu einer fiktiven Einlage des Wirtschaftsgu...

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