Die Konzepte, Methoden und Werkzeuge, die das Qualitätsmanagement (QM) noch heute prägen, entstanden zwischen 1960 und 1990. Die produzierenden Unternehmen, die das QM vorantrieben, erlebten damals lange Phasen der Stabilität. In diesem Setting erwiesen sich Standardisierung, Prozessorientierung und die aus heutiger Sicht gemächliche kontinuierliche Verbesserung als geeignete Konzepte für das Qualitätsmanagement. Ab 1987, als die DIN EN ISO 9001 erschien und Grundlage für die ab dann aufkommende Third-Party-Certification bildete, haben Normen und Regelwerke die Ausgestaltung und Wahrnehmung des Qualitätsmanagements dominiert. Auditierung und Zertifizierung rückten ins Zentrum der Aktivitäten.

Das japanisch und US-amerikanisch geprägte Total Quality Management (TQM), das bereits in den 70er Jahren aufkeimte, hat ein ganzheitliches Verständnis von Qualitätsmanagement gefördert. Die Einführung des Excellence Modells[1] der European Foundation for Quality Management (EFQM) im Jahr 1990 und des auf ihm basierenden European Excellence Awards war die späte europäische Antwort auf diese Entwicklung. Der zugrundeliegende ganzheitliche Blick bildete für viele Führungskräfte damals eine Erweiterung ihres Verständnisses der Organisation. Aber andererseits haben TQM und Excellence Modelle auch zu Rollenkonflikten der Qualitätsmanager mit Führungskräften und anderen Themenspezialisten geführt. Erstere sahen sich selbst für die ganzheitliche Unternehmenssteuerung und die Organisationsentwicklung verantwortlich, letztere sahen den Ganzheitlichkeitsanspruch der Qualitätsmanager als übergriffig hinsichtlich ihrer Verantwortungsbereiche an.

Die DGQ begegnete dem, indem sie zwischen Qualitätsmanagement (QM) und Qualitätssicherung (QS) unterschied, beide neu definierte und sich mit der diesbezüglichen Klärung der Rollen in QM und QS befasste. Qualitätsmanagement in diesem neuen Verständnis bedeutet "Arbeiten an der Organisation, um systemisch ihre Qualitätsfähigkeit zu verbessern. Qualitätsmanagement ist Organisationsentwicklung". Qualitätssicherung ist "Arbeiten am Produkt und am Prozess, um Qualitätsmerkmale herzustellen und Fehler und Verschwendung zu reduzieren. Qualitätssicherung ist Qualitätsingenieurwesen und Dienstleistungsoptimierung".[2] Dieses Verständnis und daraus abgeleitete Neupositionierungen der Qualitätsmanager sowie Neuaufstellungen der Qualitätsabteilungen in den Unternehmen schreiten langsam voran, haben aber erst einen kleinen Teil der Unternehmen erreicht.

Das klassische Qualitätsmanagement hat derweil in den letzten Jahren immer weiter an Wirksamkeit und Anerkennung verloren. Zahlreiche Qualitätsprobleme, Fehler und Rückrufe belasten die Unternehmen in vielen Branchen. Die weiterhin vorherrschende Dominanz der Normen und Branchenstandards sowie die Fokussierung auf Auditierung und Zertifizierung hat dem Qualitätsmanagement in den Unternehmen häufig eine Verortung und ein Image verschafft, die es ins Abseits stellen. Ins Zentrum neuer Führungs- und Organisationskonzepte rückten die Entwicklungsabteilungen, zunächst die Software, zunehmend auch die Hardwareentwicklung. Agile Arbeitsweisen finden zunehmend außerhalb der klassisch dokumentierten Managementsysteme statt und verschärfen einen Konflikt zwischen Innovatoren, Veränderern und "Agilistas" auf der einen und Bewahrern auf der anderen Seite.

Die in Kapitel 2 beschriebenen Paradigmenwechsel und Dynamiken stellen somit auch das Qualitätsmanagement unter Veränderungsnotwendigkeit. Es steht unter ganz neuen Herausforderungen, erhält aber auch neue Möglichkeiten. Auf ihrem jährlichen Qualitätstag hat die DGQ 2018 die folgenden Herausforderungen genannt.[3]

 
Phänomen Ausprägung Herausforderung
Innovation und Disruption lösen unüberschaubare Dynamiken aus. Vielzahl, Tiefe und Verbreitungsgeschwindigkeit von Innovation und Disruptionen stellen Unternehmen schnell und immer wieder vor neue Herausforderungen. Die Innovation, das Bessere, ist die Schwester der Qualität, des Guten. Wir stehen unter hohem Innovationsdruck und dem Risiko von Disruptionen. Wie können wir selbst innovativer sein und die Disruptionen der anderen überleben?
Das Internet ist ein neuer sozialer Handlungsraum. Mit dem Internet ist nicht einfach ein technisches Netz entstanden. Die Menschen haben sich eine neue Welt geschaffen, in der ganz neuartige Interaktionen und Geschäftsmodelle möglich sind. Aus der Perspektive der Menschen früherer Zeitalter ist dies eine geradezu magische Welt, in der die Naturgesetze und alten Gewissheiten nicht mehr zu gelten scheinen. Wie nutzen wir die Möglichkeiten dieses neuen Handlungsraums?
Die Bedeutung des Menschen steigt trotz oder sogar wegen gleichzeitiger Verdrängung durch Nutzung der Technik. Der Mensch erhält Unterstützung durch Technik (z. B. Augmented Reality) ist aber auch hochgradig überfordert und hat Angst, von der Technik verdrängt zu werden. Die einen treiben Innovation und Veränderung mit Lust voran, andere erhöhen den Widerstand dagegen. Der Anteil...

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