Steht eine missbräuchliche Gestaltung im Raum, ist zunächst zu prüfen, ob das einschlägige Einzelsteuergesetz eine Regelung enthält, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient. Ist der Tatbestand der Regelung erfüllt, bestimmen sich die Rechtsfolgen allein nach dem Einzelsteuergesetz.

 
Praxis-Beispiel

Verbilligte Wohnungsvermietung

Eltern vermieten eine Wohnung an ihren Sohn zu einem Entgelt unter der ortsüblichen Miete. Die Missbrauchsregelung in § 21 Abs. 2 EStG toleriert den vollen Werbungskostenabzug, wenn die Miete mindestens 66 % der ortsüblichen Marktmiete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung beträgt.

Die Regelung hat abschließenden Charakter. Deshalb kann bei Entgelten ab 66 % der volle Werbungskostenabzug nicht über die allgemeine Vorschrift des § 42 AO als missbräuchlich abgelehnt werden, obwohl die geringe Miete im Vergleich zur Fremdmiete zu einem Vorteil beim Hausbesitzer führt.

Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist bei unentgeltlichem Erwerb dem Einzelrechtsnachfolger für Zwecke der Anwendung von § 23 EStG die Anschaffung oder die Überführung des Wirtschaftsguts in das Privatvermögen durch den Rechtsvorgänger zuzurechnen. Der Hat BFH hierzu entschieden, dass § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift i. S. v. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO ist, d. h. damit ist die Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO für den Fall der Veräußerung nach unentgeltlicher Übertragung grundsätzlich ausgeschlossen.[1]. Hat der Steuerpflichtige daher die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern; der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen.

Nur wenn der Tatbestand der einzelgesetzlichen Regelung nicht erfüllt ist oder wenn das Einzelsteuergesetz gar keine Missbrauchsgrenze enthält, kann das Finanzamt in einem weiteren Schritt prüfen, ob ein durch Gestaltung des Vorgangs erzielter Steuervorteil über die allgemeine Missbrauchsvorschrift verhindert werden kann.

[1] IX R 8/20, BStBl. 2021 II S. 743.

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