Rz. 22

Neben § 70 Abs. 3 EStG finden nach § 155 Abs. 5 AO die Korrekturvorschriften der AO Anwendung. Nicht anwendbar sind die sozialrechtlichen Verfahrensvorschriften gem. SGB X, da das Kindergeld nach der Systemumstellung (§ 31 EStG Rz. 3ff., 40ff.) als Steuervergütung gezahlt wird (§ 31 S. 3 EStG).[1] Sind die formellen Voraussetzungen für eine Änderung des Bescheids gegeben, ist es unerheblich, wenn die Familienkasse eine unzutreffende Änderungsvorschrift zitiert. Folgende Änderungsvorschriften der AO kommen in Betracht:

  • § 129 AO: Offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, können jederzeit berichtigt werden.
  • § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. c AO: Die Familienkasse kann eine Kindergeldfestsetzung aufheben oder ändern, soweit sie durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist.
  • § 173 Abs. 1 AO: Aufhebung oder Änderung – zugunsten wie zuungunsten – wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel.[2] Ein nachträgliches Bekanntwerden liegt vor, wenn dem entscheidungsbefugten Amtsträger beim Abschluss seiner Willensbildung eine Tatsache oder ein Beweismittel unbekannt war, die Tatsache oder das Beweismittel aber vor dem maßgeblichen Zeitpunkt bereits bestanden hat.[3] Ein Kindergeldberechtigter handelt regelmäßig grob fahrlässig, sodass die Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen ist, wenn er das Kindergeldmerkblatt erhalten und zur Kenntnis genommen hat, aber den dort genannten Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.[4]
  • § 174 AO: Korrektur wegen widerstreitender Steuerfestsetzungen.[5]
  • § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO: Aufhebung oder Änderung wegen Ereignisses mit Wirkung für die Vergangenheit (rückwirkendes Ereignis).

Nicht anwendbar sind gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2d Halbs. 2 AO die §§ 130, 131 AO, da für Steuervergütungen, zu denen auch das Kindergeld gehört (§ 31 S. 3 EStG; § 31 EStG Rz. 40ff.), nach § 155 Abs. 5 AO die Vorschriften über die Steuerfestsetzung anzuwenden sind.[6] Ebenfalls nicht anwendbar sind die Verfahrensvorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts (VwVfg).

 
Hinweis

Billigkeitserlass gem. § 227 AO ist bei Kindergeldrückforderung immer ein Thema

Ein Erlass aus Billigkeitsgründen scheidet regelmäßig aus, wenn der Kindergeld- oder Abzweigungsberechtigte seinen Mitwirkungspflichten (§ 68 Abs. 1 EStG) nicht nachgekommen ist und kein überwiegendes behördliches Mitverschulden vorliegt. Allein die fehlende Kommunikation zwischen der Sozialbehörde und der Familienkasse sowie die unterlassenen halbjährlich vorgesehenen internen Überprüfungen durch die Familienkasse verpflichten die Familienkasse nicht zu einem Billigkeitserlass der Rückforderung des Kindergeldes.[7]

Die gerichtliche Überprüfung einer den Billigkeitserlass einer Kindergeldrückforderung betreffenden Behördenentscheidung hat lt. BFH u. a. zu berücksichtigen, ob und inwieweit der Kindergeldberechtigte seine Mitwirkungspflichten erfüllte. Dies erfordert jedenfalls nähere Feststellungen dazu, auf welchem Tatbestand die Kindergeldfestsetzung beruhte und worin die Mitwirkungspflicht bestand. Es wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt.[8]

Der BFH muss noch klären, ob eine Kindergeldrückforderung aus sachlichen Billigkeitsgründen erlassen werden kann oder muss, obwohl der Kindergeldempfänger seine Mitwirkungspflichten nachweislich verletzt hat und dies ein Bußgeld-/Steuerstrafverfahren nach sich gezogen hat.[9]

Auch wenn das Kindergeld vom Kindergeldberechtigten an das Kind weitergeleitet und daher auf Sozialleistungen des Kindes angerechnet wird, zwingt dies nicht zum Erlass der Rückforderung beim Kindergeldberechtigten, der seine Mitwirkungspflicht verletzt hat.[10]

Die Anrechnung des an das Kind abgezweigten Kindergeldes auf Sozialleistungen des Kindes zwingt nicht zum Erlass der Rückforderung des Kindergeldes vom Kind, wenn es seine Mitwirkungspflicht verletzt hat.[11]

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