Rz. 341

Die Verpflichtung, und damit der Schuldcharakter, der zur Bildung der Rückstellung führt, braucht nicht im Zivilrecht (Gesetz oder Vertrag) begründet zu sein, es kann sich auch um eine öffentlich-rechtliche Pflicht handeln. "Verpflichtung" ist i. S. der Definition des § 241 BGB zu verstehen, d. h. die Pflicht des Schuldners, an den Gläubiger eine Leistung zu erbringen. Es muss also ein Gläubiger vorhanden sein, demgegenüber der Kaufmann als Schuldner die Verpflichtung erfüllen muss. Eine solche Verpflichtung kann sich auch aus öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen ergeben.

"Gläubiger" bei öffentlich-rechtlichen Pflichten ist diejenige Institution (Behörde), die das Erbringen der Leistung (Tun, Dulden, Unterlassen) verlangen kann.

 

Rz. 341a

Es muss sich um eine Verpflichtung gegenüber der Behörde auch dem Grunde nach handeln. Das ist nur der Fall, wenn der Stpfl. nicht eine eigenbetriebliche, ihm im eigenen Interesse obliegende Aufgabe erfüllt, sondern eine ihm durch Gesetz oder behördliche Verfügung auferlegte Aufgabe, die er selbst, im wohlverstandenen eigenbetrieblichen Interesse, nicht erfüllt hätte. So ist etwa die Abfallbeseitigung keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung i. d. S. Ein Unternehmer muss den in seinem Betrieb anfallenden Abfall beseitigen, auch ohne hierzu gesetzlich verpflichtet zu sein; ohne eine Abfallbeseitigung kann der Betrieb auf Dauer nicht betriebsbereit gehalten werden.[1] Die durch Gesetz auferlegte Verpflichtung betrifft daher nur die Art und Weise der Abfallbeseitigung, nämlich in einer bestimmten umweltverträglichen Art, nicht den Grund der Abfallbeseitigung. In diesen Fällen können Verbindlichkeitscharakter allenfalls die Mehrkosten haben, die aufgrund der gesetzlich angeordneten Art der Beseitigung gegenüber einer sonst möglichen, aber immer noch ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung entstehen.

 

Rz. 342

Die öffentlich-rechtliche Verpflichtung muss hinreichend konkretisiert und erzwingbar sein, sodass sie den Kaufmann, ebenso wie eine zivilrechtliche Verpflichtung, belastet.[2] Das ist nicht aufgrund allgemeiner Pflichten oder Prinzipien der Fall (z. B. Sozialpflichtigkeit des Eigentums), sondern erst, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Es muss durch Gesetz oder behördliche Verfügung ein inhaltlich genau bestimmtes Handeln vorgeschrieben sein (Rz. 343).
  • Dieses Handeln muss innerhalb eines bestimmten Zeitraums erfolgen (Rz. 343a).
  • Der Stpfl. darf sich der Handlungspflicht im Hinblick auf die an die Verletzung der Pflicht geknüpften Sanktionen im Ergebnis nicht entziehen können (Rz. 344).

Nur bei Erfüllung dieser Voraussetzungen liegt eine Konkretisierung einer allgemeinen Pflichtigkeit zur Pflicht vor.[3] Eine abstrakte gesetzliche Verpflichtung, die keinen konkreten Gesetzesbefehl enthält, genügt nicht.[4] Die einzelnen Merkmale der Konkretisierung sind jedoch keine unabdingbaren Voraussetzungen, sondern Indizien, aus denen sich ergeben muss, dass der Stpfl. mit seiner Inanspruchnahme ernsthaft rechnen muss.[5]

 

Rz. 342a

Besteht nach dem ElektroG eine öffentlich-rechtliche Entsorgungspflicht für veräußerte Elektrogeräte, z. B. Leuchtmittel, besteht zunächst nur eine abstrakte, potenzielle Pflicht, die eine Rückstellungsbildung noch nicht ermöglicht. Konkretisiert wird die Pflicht erst durch die Abholanordnung i. S. d. § 16 Abs. 5 ElektroG der Gemeinsamen Stelle, die bei der Entsorgung von Altgeräten vom Umweltbundesamt mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben betraut ist. Dadurch liegt ein gesetzeskonkretisierender Rechtsakt vor, der die Bildung einer Rückstellung ermöglicht.[6]

 

Rz. 342b

Bei Zahlungen von Finanzdienstleistungsinstituten an die Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen (EdW) liegen öffentlich-rechtliche Verpflichtungen vor. Für Sonderbeiträge und Sonderzahlungen wird diese Verpflichtung erst durch einen entsprechenden Beitragsbescheid konkretisiert und entsteht somit rechtlich. Eine vorherige Rückstellungsbildung ist ausgeschlossen. Dies gilt auch insbesondere deswegen, weil sich die Höhe der Verpflichtungen am jeweils neu zu bestimmenden und bis dahin unklaren Mittelbedarf der EdW bestimmt.[7]

 

Rz. 343

Ein inhaltlich genau bestimmtes Handeln ist bereits dann vorgeschrieben, wenn der Erfolg, der erreicht werden muss, feststeht; die anzuwendenden Mittel brauchen noch nicht definiert und festgesetzt zu sein.[8] Im Regelfall ist nach der Rspr. des BFH dazu erforderlich, dass eine entsprechende behördliche Verfügung erlassen oder eine verwaltungsrechtliche Vereinbarung abgeschlossen worden ist.[9] Darüber hinaus genügt es für die Rückstellung, wenn das Gesetz eine konkrete, umfang- und zeitmäßig genau beschriebene Verpflichtung zum Handeln enthält, oder wenn der Behörde der Anlass zum Tätigwerden (z. B. der Umweltschaden) bekannt ist und zu erwarten ist, dass die Behörde aufgrund des Offizialprinzips tätig werden wird. In beiden Fällen muss der Kaufmann konkret mit der Inanspruchnahme rechnen; er kann dies durch eine Rückstellung berücksich...

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