Rz. 17a

In § 44 Abs. 1 S. 3 EStG[1] wurde durch das Steueränderungsgesetz 2015 v. 2.11.2015[2] m. W. z. 1.1.2016 (Art. 18 Abs. 4 Steueränderungsgesetz 2015) aufgenommen, dass der Steuerabzug "unter Beachtung der im Bundessteuerblatt veröffentlichten Auslegungsvorschriften der Finanzverwaltung für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge vorzunehmen ist". Damit sind primär etwa die in Rz. 5ff. gen. veröffentlichten BMF-Schreiben ab 2016 gemeint, aber auch solche, die vor 2016 veröffentlicht wurden oder als sog. "nV-Schreiben" an die Verbände zur Auslegung übersendet werden (Rz. 17c).

§ 44 Abs. 1 S. 3 EStG nimmt nach der Gesetzesbegründung Bezug auf die durch das JStG 2010 eingefügte Vorschrift in § 22a Abs. 1 S. 1 EStG, wonach Rentenbezugsmitteilungen (ebenfalls) "unter Beachtung der im Bundessteuerblatt veröffentlichten Auslegungsvorschriften der Finanzverwaltung zu übermitteln sind". Der Gesetzgeber sieht in § 44 Abs. 1 S. 3 EStG ausdrücklich eine "Klarstellung" der Ansicht der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben v: 12.9.2013[3], wonach Kreditinstitute die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung anwenden müssen.[4] Es ist zustimmen, dass § 44 Abs. 1 S. 3 EStG nur eine Klarstellung enthält, die trotzdem für die Praxis hohe Bedeutung hat. Denn die Bindung der auszahlenden Stellen als Erfüllungsgehilfen an die BMF-Schreiben ergibt sich bereits aus den vom BVerfG[5] geprägten Grundsätzen der "Inpflichtnahme" bzw. "Indienstnahme".[6] Für eine Bindung der auszahlenden Stellen an BMF-Schreiben sprechen vor allem die Haftungstatbestände bei fehlerhaftem KapESt-Abzug (insbesondere § 44 Abs. 5 EStG), die die auszahlenden Stellen gegen sich gelten lassen müssen. Aus Gründen der Rechtssicherheit müssen sich die auszahlenden Stellen i. S. d. § 44 Abs. 1 S. 3 EStG, um einer Haftung vorzubeugen, daher auch auf klare Anweisungen in BMF-Schreiben berufen können (insbesondere auch gegenüber der Finanzverwaltung selbst in der Außenprüfung). Da die Steuergesetze zumeist (gewollt) auslegungsbedürftig sind, sind konkretisierende BMF-Schreiben unerlässlich, um die vom Gesetzgeber bei der Einführung des Zinsabschlags ausgedrückte Voraussetzung für den Zinsabschlag zu verwirklichen: Es muss ein so enger Bezug zwischen dem Kreditinstitut und den Kapitalerträgen bestehen, dass der Charakter der ausgezahlten oder gutgeschriebenen Beträge als Kapitalerträge sich aus objektiven, dem Kreditinstitut bekannten Umständen ergibt.[7] Diese objektiven Umstände können aber nur vorliegen, wenn erstens BMF-Schreiben erlassen werden, die zweitens für die auszahlenden Stellen Bindungswirkung entfalten.

 

Rz. 17b

Die auszahlenden Stellen haben bei der KapESt-Abzugsverpflichtung keinen eigenen Prüfungsspielraum. D. h. für die Praxis des KapESt-Abzugsverfahrens, dass entgegenstehende Rspr. des BFH den BMF-Schreiben nicht vorgeht und auch in zweifelhaften Fällen das BMF-Schreiben anzuwenden ist. Das ergibt sich ausdrücklich aus der Begründung zum Steueränderungsgesetz 2015, in der sich der Gesetzgeber gegen die Rechtsauffassung in der Entscheidung des BFH[8] ausgesprochen hat, wonach ein Kreditinstitut einem sich auf Wortlaut und Zweck des Gesetzes stützenden Widerspruch des Bankkunden Folge leisten und vom Steuerabzug Abstand nehmen müsse, auch wenn ein BMF-Schreiben den Steuerabzug anordnet. Nach der Gesetzesbegründung "hätte dieses Urteil in der Praxis zu Verunsicherung geführt".[9] Auf dieser Linie ist auch die st. Rspr. des BFH und des BGH zur steuerrechtlichen Überlagerung des Zivilrechts. Unklarheiten der steuerrechtlichen Lage betreffen in erster Linie das Verhältnis Steuerschuldner (Kunde der Bank) und Steuergläubiger (Fiskus).[10] Die Risiken von Unklarheiten in zweifelhaften Fällen treffen insofern nicht die auszahlende Stelle als "Abwickler".[11] Nach zutreffender Ansicht des BGH obliegt das Entscheidungsrecht über die Rechtmäßigkeit der Steuererhebung nach dem System der Abgabenordnung ausschließlich den Finanzbehörden.[12] Daher sind zweifelhafte Fälle im KapESt-Abzugsverfahren von den auszahlenden Stellen nicht jeweils unterschiedlich zu entscheiden, sondern nach dem Willen des Gesetzgebers entsprechend dem jeweiligen BMF-Schreiben auch jeweils gleich.

 

Rz. 17c

Bindung entfalten nicht nur die im BStBl veröffentlichten BMF-Schreiben, sondern auch solche, die etwa den Verbänden zur Auslegung von bestimmten Fragen übersendet werden ("nV-Schreiben") oder verbindlich für alle auszahlenden Stellen, etwa vom BZSt, im Internet veröffentlicht werden. Dies ergibt sich zwar nicht direkt aus § 44 Abs. 1 S. 3 EStG, aber daraus, dass die Bindung an BMF-Schreiben schon vor der Änderung des § 44 Abs. 1 S. 3 EStG bestand (Rz. 17a) und eine Unterscheidung zwischen veröffentlichten und nicht-veröffentlichten Schreiben nicht getätigt wurde, da diese für die auszahlenden Stellen nicht relevant war. Erlässt die Finanzverwaltung ein Auslegungsschreiben für eine Vielzahl an Adressaten, so muss es dies auch gegen sich gelten lassen.

 
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