Rz. 22

Nach herrschender Ansicht wird der Begriff der Betriebsaufgabe nicht – oder jedenfalls nicht in erster Linie – i. S. d. Beendigung der Tätigkeit des Unternehmers, sondern als Beendigung der Existenz des Unternehmens gedeutet, obwohl im Bereich der Betriebsveräußerung und in anderem Zusammenhang durchaus erkannt wird, dass der Gewerbebetrieb nach § 15 EStG tätigkeitsbezogen definiert wird[1]. Ein Betrieb ist danach dann aufgegeben, wenn das werbende Unternehmen aufgehört hat zu bestehen[2]. Eine Betriebsaufgabe erfordert demnach nicht nur, dass der Stpfl. aufgrund eines Entschlusses, den Betrieb aufzugeben, die bisher in diesem Betrieb entfaltete betriebliche Tätigkeit endgültig einstellt und alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang entnimmt oder veräußert, sondern auch, dass dadurch der Betrieb als selbstständiger Organismus des Wirtschaftslebens nicht mehr besteht[3].

Historisch gesehen beruht dies auf einem Missverständnis. Denn das Erfordernis der Auflösung des Betriebs als eines selbstständigen Organismus des Wirtschaftslebens hat die Rspr. zunächst lediglich als Abgrenzungsmerkmal der Betriebsaufgabe von der Betriebsverlegung aufgestellt[4]; es wurde erst in der Folgezeit unreflektiert als allgemeine Voraussetzung für den Betriebsaufgabebegriff angesehen[5]. Lediglich in Sonderfällen nimmt die Rspr. eine Betriebsaufgabe trotz Fortbestehens des betrieblichen Organismus bei einem Dritten an (z. B. bei "Entstrickung" durch Verlegung ins Ausland[6], Rz. 143 sowie hinsichtlich des "finalen" Entnahmebegriffs’ Rz. 144 a).

 

Rz. 23

Nach h. L. schließen sich also die Begriffe "Betriebsaufgabe" und "Betriebsveräußerung" gegenseitig aus. Die Betriebsveräußerung ist ein Vorgang, bei dem der wirtschaftliche Organismus des Betriebs erhalten bleibt, durch die Betriebsaufgabe wird er zerstört. Folge dieser Rechtsauffassung ist, dass das Begriffspaar "Betriebsveräußerung – Betriebsaufgabe" nicht alle Vorgänge der Beendigung der betrieblichen Tätigkeit eines Unternehmers erfasst, sodass sowohl Vollständigkeitsprinzip als auch Steuervergünstigungen nur selektiv wirken. So wurde – auch vor Kodifizierung in § 6 Abs. 3 EStG – nach h. L. die unentgeltliche Betriebsübertragung auf einen Dritten von § 16 EStG nicht erfasst[7].

[2] Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Aufl., § 9 EStG Rz. 443; Sauer, Steuerliche Folgen der Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe, 3. Aufl., S. 21; H/H/R, EStG/KStG, § 16 EStG Rz. 405; wie hier ebenfalls mehr tätigkeitsbezogen: BFH v. 16.12.1992, X 52/90, BStBl II 1994, 838, beide allerdings ohne Konsequenzen hinsichtlich der Begriffe "Veräußerung" und "Aufgabe".
[4] RFH v. 20.3.1930, VI A 69/30, RStBl 1930, 481; BFH v. 23.2.1961, IV 351/59, StRK § 16 EStG R. 21.
[5] BFH v. 23.11.1965, I 145/63, StRK, § 16 EStG R. 89; BFH v. 18.5.1983, I R 5/82, BStBl II 1983, 771.
[7] BFH v. 24.4.1971, IV R 201/65, BStBl II 1971, 686.

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