Rz. 143

Handlungen, die nicht mit Aufgabeabsicht vorgenommen werden, behandelt die Rspr. gleichwohl in Sonderfällen wie Aufgabehandlungen, wenn durch sie eine spätere Erfassung der stillen Reserven unmöglich wird[1]. Dies ist bei der sog. Entstrickung der Fall, wenn ein inländischer Unternehmer seinen Betrieb ins Ausland verlegt und ein mit dem ausl. Staat bestehendes DBA das Besteuerungsrecht für die stillen Reserven in der ausl. Betriebsstätte dem ausl. Staat zuweist[2]. Der letztmögliche Zeitpunkt für die steuerliche Erfassung der stillen Reserven ist somit der Augenblick der Betriebsverlagerung ins Ausland, mit der Folge der (sofortigen) Versteuerung der stillen Reserven, weil diese nicht endgültig der inländischen Besteuerung entgehen dürfen. Dies soll allerdings – mangels einer Aufgabehandlung des Stpfl. – nicht gelten, wenn der Wegfall des Besteuerungsrechts darauf beruht, dass nachträglich ein DBA mit dem ausl. Staat abgeschlossen wird, das das Besteuerungsrecht dem ausl. Staat zuteilt[3].

Dies entspricht der steuerlichen Behandlung der Überführung eines einzelnen Wirtschaftsguts aus einer inländischen in eine ausl. Betriebsstätte desselben Stpfl. Auch dieser Vorgang wurde aufgrund der vor der Einfügung von S. 3 in § 4 Abs. 1 EStG durch das Gesetz v. 7.12.2006[4] (§ 4 EStG Rz. 352ff.) geltenden Rspr. als eine mit dem Teilwert anzusetzende Entnahme i. S. v. § 4 Abs. 1 S. 2 EStG behandelt, sofern der Gewinn aus der ausl. Betriebsstätte aufgrund eines DBA nicht mehr der inländischen Besteuerung unterlag[5].

Durch die Einfügung der Vorschriften über die Annahme einer fiktiven Entnahme bei Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern in § 4 Abs. 1 S. 3 EStG durch das Gesetz v. 7.12.2006[6] hat sich daran nichts geändert. Insbesondere ist die Vorschrift auf die Überführung von Sachgesamtheiten wie Betriebe oder Teilbetriebe ins Ausland nicht anwendbar, weil § 16 Abs. 3 EStG lex specialis zu § 4 Abs. 1 S. 2 und 3 EStG ist (§ 4 EStG Rz. 357). Dies gilt auch für den Fall, dass die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 3 EStG auf Fälle der Betriebsverlagerung ins Ausland durch europarechtskonforme Auslegung auf die stillen Reserven zu beschränken ist, die unter Besteuerungsverzicht im Inland gebildet worden sind[7].

 

Rz. 144

Die Rspr. hat die Anwendbarkeit des § 16 EStG auf Entstrickungsfälle bisher mit dem Gesetzeszweck begründet, die stillen Reserven im letztmöglichen Zeitpunkt zu besteuern[8]. Streitig war bereits hierbei, ob durch eine solche erweiternde Auslegung der mögliche Wortsinn des Begriffs "Aufgabe" überschritten wird, denn der Unternehmer will seine unternehmerische Tätigkeit gerade – wenn auch im Ausland – fortsetzen und nicht aufgeben (ähnliche Problematik bei dem Übergang von gewinnorientierter Tätigkeit zum Liebhabereibetrieb Rz. 137). Jedoch könnte man fragen, ob dem Begriff "Aufgabe" eine Beschränkung auf eine Tätigkeit im Geltungsbereich des EStG immanent ist. Geht man davon aus, dass die gesetzgeberische Intension auf die lückenlose Erfassung der im Geltungsbereich der inländischen Ertragsbesteuerung gebildeten stillen Reserven gerichtet ist – auf denen aus (handels-)bilanzieller Sicht eine aufgeschobene Besteuerungslast ruht –, ist eine lückenfüllende Auslegung des Begriffs "Aufgabe" i. S. d. "Aufgabe einer im Inland steuerpflichtigen Tätigkeit" erwägenswert. Andernfalls beruhte die Anwendung des § 16 Abs. 3 EStG in diesen Fällen auf einer Analogie, die jedoch als lückenfüllend zulässig sein kann (§ 5 EStG Rz. 204)[9].

Nachdem nunmehr in § 4 Abs. 1 S. 3 EStG der Tatbestand einer fiktiven Entnahme bei einem vergleichbaren Transfer einzelner Wirtschaftsgüter ausdrücklich kodifiziert ist, erscheint eine solche erweiternde Auslegung indes zusätzlich gerechtfertigt.

Zur Frage der Europarechtswidrigkeit[10] und deren Reichweite s. FG Rheinland-Pfalz v. 17.1.2008, 4 K 1347/03, EFG 2008, 680.

 

Rz. 144a

Die Rspr. zur Theorie der finalen Entnahme hat der BFH[11]aufgegeben, wenn und soweit der Übergang der Wirtschaftsgüter mit stillen Reserven aus einem inländischen auf einen ausl. Betrieb nicht zur Folge hat, dass das inländische Besteuerungsrecht an den während der Zugehörigkeit zum Inland und zur inländischen Besteuerung gebildeten stillen Reserven mit dem Übergang aufgrund eines DBA erlischt. Dies nimmt der BFH für Gewinne aus der Veräußerung von beweglichem Betriebsstättenvermögen gem. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA bei Vereinbarung der Freistellungsmethode (Art. 23A OECD-MA) nur insoweit an, als Gewinne auch tatsächlich in der ausl. Betriebsstätte erwirtschaftet wurden, die stillen Reserven also während der Zugehörigkeit zu dieser, und nicht schon während der Zugehörigkeit zum inländischen Betrieb, entstanden sind. Der BFH gibt somit den "finalen Entnahmebegriff" nicht auf, sondern erkennt und anerkennt lediglich, dass dieser mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht anwendbar ist, weil das inländische Besteuerungsrecht für die vor d...

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