Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Die Anschrift ist allerdings nicht schon deshalb unbekannt, weil die Behörde sie nicht kennt. Vielmehr muss die Behörde vor der öffentlichen Zustellung gründliche und sachdienliche Ermittlungen nach der Anschrift des Zustellungsempfängers anstellen.

Die öffentliche Zustellung ist nur das „letzte Mittel“ und wegen des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar wäre (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.10.1987 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361; BFH-Beschluss vom 09.08.2007 V B 149/06, BFH/NV 2007, 2310).

Der Nachforschungspflicht genügt die Finanzbehörde i. d. R. durch Rückfrage beim Einwohnermeldeamt, der Polizei oder ggf. einem Bevollmächtigten (BFH-Urteile vom 15.01.1991 VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81; vom 13.01.2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998).

 

Normenkette

VwZG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO § 30 Abs. 4 Nr. 1, § 108 Abs. 1, § 110 Abs. 1, § 122 Abs. 3 S. 1; BGB § 188 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 13.09.2012; Aktenzeichen XI R 40/11)

BFH (Beschluss vom 13.09.2012; Aktenzeichen XI R 40/11)

 

Tatbestand

Streitig sind die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung.

Der Kläger wohnte zunächst mit seiner Frau und seiner am 06.12.1990 geborenen Tochter 1 am Str. A1 in A-Stadt. Die damalige Familienkasse A-Stadt versandte an diese Anschrift im Dezember 1992 ein Schreiben. Da das Schreiben nicht zugestellt werden konnte, ließ sich die Familienkasse A-Stadt vom Einwohnermeldeamt A-Stadt die aktuelle Anschrift – Str. A2 in A-Stadt – mitteilen. Auch dort konnte das Schreiben nicht zugestellt werden. Eine Nachbarin gab auf Nachfrage der Familienkasse an, der Kläger und seine Familie seien in die Road 1 in SB , USA, verzogen.

Im März 1996 meldete sich der Kläger bei der Familienkasse und gab an, er und seine Familie hätten sich lediglich in den Jahren 1993/1994 für elf Monate in den USA aufgehalten. Sie seien nun in der Str. Z in Z wohnhaft. Das Kindergeld solle auf das fortbestehende Konto xxxxxxx bei der Stadtsparkasse A-Stadt überwiesen werden. Außerdem teilte der Kläger mit, dass am 30.11.1995 seine Tochter 2 geboren sei. Daraufhin wurde die Kindergeldakte nach X abgegeben.

Am 23.12.1999 meldete die Ehefrau des Klägers den Kläger, die beiden Töchter und sich selbst beim Einwohnermeldeamt der Stadt Z ab und gab als neue Anschrift Road 2, SB , ...,USA, an. Als Nebenwohnung gab sie Str. A3 , A-Stadt an.

Vom 01.01.2000 – 31.08.2001 hielten sich der Kläger und seine Familie in den USA auf. Am 07.09.2001 meldeten sich der Kläger und seine Familie beim Einwohnermeldeamt der Stadt A-Stadt unter der Anschrift A-Straße in A-Stadt.

Mit einem routinemäßig erstellten Schreiben vom 20.10.2008 aus Anlass der Vollendung des 18. Lebensjahres der Tochter 1 forderte die Familienkasse Y den Kläger auf anzugeben, ob ein Berücksichtigungstatbestand für seine Tochter 1 vorliege. Das an die Anschrift Str. Z in Z versandte Schreiben konnte nicht zugestellt werden. Daraufhin fragte die Familienkasse Y bei der Meldebehörde der Stadtverwaltung Z nach der aktuellen Anschrift des Klägers und seiner Kinder. Die Stadt Z teilte am 13.11.2008 – ohne die bei der Abmeldung angegebene Anschrift in den Vereinigten Staaten bzw. den damals angegebenen Nebenwohnsitz in A-Stadt hinzuweisen – mit, der Kläger und seine Töchter 1 und 2 hätten sich am 24.12.1999 in die USA abgemeldet.

Die Familienkasse Y hob daraufhin mit Bescheid vom 25.11.2008 die Festsetzung „des Kindergeldes“ mit Wirkung ab Januar 2000 gem. § 70 Abs. 2 EStG auf, da der Kläger seinen Wohnsitz nicht mehr in Deutschland gehabt habe. Das Kindergeld für den Zeitraum von Januar 2000 bis Dezember 2001 i. H. v. 6.626,40 € und außerdem für den Zeitraum von Januar 2002 bis Oktober 2008 i. H. v. 25.256 € sei daher zu erstatten. Der Bescheid enthält weder Namen noch Anzahl der Kinder, für die Kindergeld gezahlt wurde. In den Räumen der Familienkasse Y wurde vom 15.12.2008 – 27.01.2009 eine Benachrichtigung für den Kläger ausgehängt, dass er, wohnhaft zuletzt unter der Anschrift Str. Z , Z , einen für ihn bestimmten Aufhebungsbescheid vom 25.11.2008, Az. F12 – xxxxxx bei der Familienkasse Y , während der Dienststunden in Empfang nehmen könne. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass durch diese öffentliche Zustellung eine Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO in Gang gesetzt werde und nach Ablauf der Frist Rechtsverluste drohten. Die tatsächliche Dauer des Aushangs wurde in den Akten vermerkt. Der Bescheid wurde zusätzlich mit der Post an die Anschrift in Z versandt und kam als unzustellbar zurück.

Am 24.04.2009 gi...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge