Entscheidungsstichwort (Thema)

Inanspruchnahme aufgrund Lohnsteuerhaftungsbescheid; materielle Rechtmäßigkeit; Haftung für Steuerschuld aufgrund Schwarzarbeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Haftungsinanspruchnahme der Stpfl. in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin gem. § 42d EStG setzt voraus, dass die Lohnsteuer entstanden, nicht aber darüber hinaus, dass sie auch festgesetzt worden ist. Der Grundsatz der Akzessorietät zwischen Steuer- und Haftungsschuld ist nicht dahingehend zu verstehen, dass eine Haftungsinanspruchnahme erst erfolgen kann, nachdem die Steuerschuld gegen den Erstschuldner festgesetzt worden ist.

2. Die Stpfl. kann sich aus rechtlichen Gründen nicht auf die theoretische Möglichkeit eines Einsatzes namentlich nicht bekannter Arbeitnehmer von Subunternehmern (sog. Kolonnenschiebern) berufen. Die Stpfl. trägt letztlich die Verantwortung dafür, die Einschaltung von Subunternehmern/Arbeitnehmern im Rahmen der eigenen Leistungserbringung steuerlich hinreichend zu dokumentieren und nachzuweisen.

3. Beim verschleierten Einsatz von Schwarzarbeit ist die Inanspruchnahme des Arbeitgebers "vorgeprägt" bzw. "intendiert". Der Zweck der Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG liegt in der Sicherung einer ordnungsgemäßen Besteuerung.

 

Normenkette

EStG § 42d; AO § 191 Abs. 1

 

Tatbestand

I.

Die Antragstellerin begehrt im finanzgerichtlichen Verfahren einstweiligen Rechtsschutz gegen einen vom Antragsgegner erlassenen Lohnsteuerhaftungsbescheid (§ 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO).

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in I, die durch Gesellschaftsvertrag vom 25.11.2004 gegründet wurde. Alleiniger Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer war zunächst Herr L. Mit Kauf- und Abtretungsvertrag vom 01.04.2010 übertrug Herr L die Gesellschaftsanteile auf Herrn M. Ab dem 21.04.2010 war Herr M dann auch alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Antragstellerin. Nach den Erkenntnissen des Hauptzollamtes C und des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N (Ermittlungsbehörden) ist Herr L während seiner Zeit als Gesellschafter-Geschäftsführer lediglich als „Strohmann” eingesetzt worden. De facto soll Herr L als Arbeitnehmer für die Antragstellerin tätig gewesen sein. Die kaufmännische, verwaltungstechnische sowie organisatorische Leitung und damit die faktische Geschäftsführung der Antragstellerin soll seit dem Beginn der gewerblichen Tätigkeit schon immer in den Händen von Herrn M gelegen haben.

Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin ist nach der Eintragung im Handelsregister die Vermittlung von Arbeiten jeglicher Art sowie Dienstleistungen, Arbeitnehmerüberlassung, Ausführung von Landschaftsbauarbeiten, Industriemontagen und Einbau von genormten Fertigteilen, Bewehrungsarbeiten sowie Trocken- und Akustikbau. Der Schwerpunkt der tatsächlich ausgeführten Arbeiten lag im Streitzeitraum von Januar 2006 bis Oktober 2011 in der Erbringung von Bauleistungen. Die auftragsausführende Antragstellerin war hauptsächlich als Subunternehmer für andere Unternehmen des Bausektors tätig und erzielte aus dieser Tätigkeit ausschließlich Umsätze im Sinne des § 13b Umsatzsteuergesetz (UStG), bei denen der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet (die Umsätze aus dieser Tätigkeit beliefen sich in den Streitjahren 2006 bis 2011 auf 7.373.055,59 EUR und machten damit über 90% der Gesamtumsätze dieses Zeitraums aus).

In der Vergangenheit fand bei der Antragstellerin ein gemeinsames Ermittlungsverfahren durch das Hauptzollamt C / Finanzkontrolle Schwarzarbeit und das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (STRAFA-FA) N statt. Die Prüfungsfeststellungen sind in dem Ermittlungsbericht des Hauptzollamts C vom 06.11.2014, in dem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht des STRAFA-FA N vom 14.11.2014 sowie in dem steuerlichen Ermittlungsbericht des STRAFA-FA N vom 28.11.2014 zusammengefasst.

Nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen konnten die erzielten gewerblichen Umsätze der auftragsausführenden Antragstellerin weder mit den zur Sozialversicherung gemeldeten Arbeitnehmern noch mit dem zur Lohnsteuer angemeldeten Personal erwirtschaftet werden. Die Ermittlungsbehörden gehen vielmehr davon aus, dass die Antragstellerin im Rahmen der von ihr erbrachten Bauleistungen zusätzlich zum offiziell erklärten / gemeldeten Personal umfangreich sog. Schwarzarbeiter (in Gestalt von namentlich nicht bekannten, ganz oder teilweise illegal arbeitenden Personen) eingesetzt hat, um sich den aus einem vollständig ordnungsgemäß erklärten / gemeldeten Arbeitnehmereinsatz resultierenden Verpflichtungen (Leistung von Sozialversicherungsabgaben, Lohnsteuern nebst Annexabgaben, Beiträgen zur Berufsgenossenschaft etc.) zu entziehen. Zur Generierung von Schwarzgeldern und zur Verschleierung der tatsächlich mit illegal beschäftigtem Personal erbrachten Leistungen soll die Antragstellerin in erheblichem Umfang sog. Abdeckrechnungen (Scheinrechnungen) inaktiver Servi...

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