Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach der summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestehen im Anschluss an den BVerfG-Beschluss vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14) zur Verfassungswidrigkeit der Verzinsungstatbestände gemäß § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der ab dem 1.1.2019 entstandenen Säumniszuschläge, da diese neben einer Druckfunktion auch die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und damit insoweit eine zinsähnliche Funktion besitzen.

2. Hinsichtlich der vor dem 1.1.2019 entstandenen Säumniszuschläge bestehen keine ernstlichen Zweifel an deren verfassungsgemäßen und unionsrechtskonformen Erhebung. Aufgrund der Vergleichbarkeit mit den Verzinsungstatbeständen verdient die Anordnung des BVerfG zur Fortgeltung der §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO für die Verzinsungszeiträume vor dem 1.1.2019 auch hinsichtlich der vor dem 1.1.2019 entstandenen Säumniszuschläge – trotz der bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken – Berücksichtigung.

3. Die Erhebung von vor dem 1.1.2019 entstandenen Säumniszuschlägen zur Umsatzsteuer verstößt weder gegen das mehrwertsteuerrechtliche Neutralitätsprinzip noch gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität und Äquivalenz.

 

Normenkette

AO § 240 Abs. 1, §§ 233a, 238 Abs. 1 S. 1; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die in den angefochtenen Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge verfassungswidrig und/oder unionsrechtswidrig sind.

Auf Antrag der Antragstellerin (Astin.) erließ der Antragsgegner (Ag.) am 14.12.2021 drei Abrechnungsbescheide, die zulasten der Astin. Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer wie folgt auswiesen:

Säumniszuschläge

Davon ab dem

01.01.2019 entstanden:

Umsatzsteuer 2014

5.700,00 EUR

3.420,00 EUR

Umsatzsteuer 2017

114,00 EUR

114,00 EUR

Umsatzsteuer 2018

114,00 EUR

114,00 EUR

Der Ag. hatte am 13.12.2021 bereits fünf Abrechnungsbescheide erlassen, die zulasten der Astin. Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer auswiesen. Auf die Abrechnungsbescheide wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen (Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 5 ff.).

Die Astin. legte gegen alle vorgenannten Abrechnungsbescheide am 21.12.2021 Einspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden wurde, und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verwies sie auf einen Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31.08.2021 (VII B 69/21 (AdV), Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 55 ff.). Die Astin. machte geltend, dass die in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge verfassungswidrig seien. Der Ag. lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 17.01.2022 ab (Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 39 f.).

Mit ihrem am 25.01.2022 beim Finanzgericht Münster gestellten und unter dem Az. 4 V 195/22 geführten Aussetzungsantrag verfolgt die Astin. ihr Aussetzungsbegehren weiter. Der 4. Senat hat das Verfahren bezüglich der drei Abrechnungsbescheide über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, 2017 und 2018 mit Beschluss vom 03.03.2022 (Gerichtsakte Bl. 1) zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt und an den geschäftsplanmäßig zuständigen 5. Senat abgegeben. Das abgetrennte Verfahren ist unter dem Az. 5 V 507/22 fortgeführt worden.

Die Astin. trägt vor, dass die in den angefochtenen Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, 2017 und 2018 sowohl verfassungswidrig also auch unionsrechtswidrig seien.

Zur Verfassungswidrigkeit der in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge trägt die Astin. vor, dass die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellte Verfassungswidrigkeit der Zinsen nach § 233a i.V.m. § 238 Abgabenordnung (AO) auf die Säumniszuschläge ausstrahle und deren Verfassungswidrigkeit ebenfalls begründe. Die abschließende Prüfung und Analyse der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge unter Berücksichtigung der vom BVerfG im Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) aufgestellten Rechtsgrundsätze sei jedoch dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten. So habe auch der BFH in seinem Beschluss vom 31.08.2021 (VII B 69/21 (AdV), Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 55 ff.) unter Berücksichtigung und Würdigung des BVerfG-Beschlusses vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) die Aussetzung der Vollziehung von Säumniszuschlägen, die in den Jahren 2020 und 2021 entstanden seien, gewährt. Soweit der BFH in diesem sowie in weiteren Beschlüssen vom 25.06.2021 (VII B 13/21 (AdV)) und vom 10.06.2021 (VII B 54/21 (AdV)) die Aussetzung der Vollziehung auf die hälftige Höhe der entstandenen Säumniszuschläge beschränkt habe, sei dies allein dem Umstand geschuldet, dass der jeweilige Antragsteller nur in dieser (hälftigen) Höhe die Aussetzung der Vollziehun...

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