Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Abrechnungsbescheid stellt einen vollziehbaren Verwaltungsakt dar, wenn darin Säumniszuschläge erstmalig ausgewiesen werden.

2. Bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge.

3. Die verfassungsrechtlichen Zweifel gelten jedenfalls insofern, als Säumniszuschlägen nicht nur die Funktion eines Druckmittels eigener Art zukommt, sondern daneben die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und somit eine zinsähnliche Funktion haben.

 

Normenkette

FGO § 69; AO § 240

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 18.01.2023; Aktenzeichen II B 53/22 (AdV))

 

Tatbestand

I.

Zu entscheiden ist, ob die Vollziehung eines Abrechnungsbescheides über die Entstehung von Säumniszuschlägen in voller Höhe auszusetzen ist. In der Hauptsache streiten die Beteiligten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge.

Die Antragstellerin zahlte fällige Grunderwerbsteuer zu spät.

Am 15.03.2021 beantragte sie einen Abrechnungsbescheid bezüglich aller seit dem 01.01.2010 entstandenen Säumniszuschläge und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung.

Der Antragsgegner erließ am 09.11.2021 einen Abrechnungsbescheid für die Zeit ab dem 01.01.2019, der entstandene und in der Zwischenzeit gezahlte Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer in Höhe von 3.848,50 EUR feststellte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Den Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids für Zeiträume vor dem 01.01.2019 lehnte der Antragsgegner ab. Auch den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner ab.

Dagegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte (erneut) die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verwies sie auf den beigefügten Beschluss des BFH vom 31.08.2021 im Verfahren VII B 69/21 (AdV).

Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 18.01.2022 ab.

Mit ihrem daraufhin am 25.01.2022 bei Gericht gestellten Aussetzungsantrag verfolgt die Antragstellerin ihr Aussetzungsbegehren weiter und verweist auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Ergänzend verweist sie auf den Beschluss des FG Münster vom 16.12.2021 (12 V 2684/21 AO) und die Entscheidung des Senats vom 14.02.2022 (8 V 2789/21).

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer vom 09.11.2021 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, längstens bis zur anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens, in voller Höhe aufzuheben,

hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen,

hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.

Zur Begründung trägt er vor, dass die Finanzverwaltung nach interner Abstimmung mit dem Finanzministerium der Ansicht sei, dass die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seinem Beschluss vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) zur Unanwendbarkeit der Entscheidung zu §§ 233a, 238 AO auf sonstige Verzinsungstatbestände nach der AO zur Folge hätten, dass verfassungsrechtliche Zweifel an § 240 AO nicht bestünden und eine Aussetzung der Vollziehung im Hinblick auf die Säumniszuschläge grundsätzlich nicht in Betracht komme. Der Beschluss des BFH vom 31.08.2021 (VII B 69/21) ändere an dieser Auffassung nichts.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Bei der im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts u.a. aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Bei der hiernach gebotenen Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, wobei diese nicht überwiegen müssen. Es ist eine summarische Prüfung aufgrund des Sachverhalts vorzunehmen, der sich aus den sog. präsenten Beweismitteln, dem Vortrag...

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