Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Abrechnungsbescheid stellt einen vollziehbaren Verwaltungsakt dar, wenn darin Säumniszuschläge erstmalig ausgewiesen werden.

2. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO.

 

Normenkette

AO §§ 233a, 238 Abs. 1 S. 1, § 240; GG Art. 3 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 28.10.2022; Aktenzeichen VI B 15/22 (AdV))

 

Tatbestand

I.

Zu entscheiden ist, ob die Vollziehung eines Abrechnungsbescheides über die Entstehung von Säumniszuschlägen in voller Höhe auszusetzen ist. In der Sache streiten die Beteiligten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in U-Stadt (eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts N-Stadt unter HRB xxx). Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin ist das Verwalten von Gesellschaftsanteilen und die Beteiligung an Gesellschaften, die im Immobilienbereich tätig sind. Des Weiteren ist Gegenstand des Unternehmens die Projektierung, die Produktsteuerung und Finanzierung von Immobilien.

Die Antragstellerin zahlte die Lohnsteuer für Juli 2021 i.H.v. 2.805,54 € und die Umsatzsteuer für Juli 2021 i.H.v. 1.435,68 € trotz Fälligkeit zum 10.08.2021 erst am 20.08.2021. Die durch die verspätete Zahlung nach § 240 Abgabenordnung (AO) entstandenen und für einen angefangenen Monat berechneten Säumniszuschläge in Höhe von 28,00 zur Lohnsteuer und 14,00 € zur Umsatzsteuer beglich die Antragstellerin nicht.

Am 17.08.2021 beantragte die Antragstellerin die Erteilung eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO im Hinblick auf die Säumniszuschläge, welchen der Antragsgegner am 02.09.2021 erließ. Der Bescheid weist Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Juli 2021 in Höhe von 28,00 € und zur Umsatzsteuer für Juli 2021 in Höhe von 14,00 € aus. Auf den Abrechnungsbescheid wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 08.09.2021 legte die Antragstellerin gegen den Abrechnungsbescheid Einspruch ein und beantragte dessen Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verweis sie auf den beigefügten Beschluss des Bundesfinanzhof (BFH) vom 10.06.2021 im Verfahren VII B 54/21 (AdV).

Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 08.11.2021 mit, das der Einspruch im Hinblick auf das beim BFH anhängige Verfahren VII R 55/21 aus Zweckmäßigkeitsgründen ruhe. Zugleich lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.

Mit ihrem daraufhin am 11.11.2021 bei Gericht gestellten Aussetzungsantrag verfolgt die Antragstellerin ihr Aussetzungsbegehren weiter. Zur Begründung verweist sie auf den beigefügten Beschluss des BFH vom 31.08.2021 im Verfahren VII B 69/21 (AdV).

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Abrechnungsbescheides über Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zur Umsatzsteuer für Juli 2021 vom 02.09.2021 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens in voller Höhe auszusetzen,

hilfsweise, für den Fall des vollen oder teilweisen Unterliegens, die Beschwerde zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt er vor, dass die Finanzverwaltung nach interner Abstimmung mit dem Finanzministerium der Ansicht sei, dass die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seinem Beschluss vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) zur Unanwendbarkeit der Entscheidung zu §§ 233a, 238 AO auf sonstige Verzinsungstatbestände nach der AO zur Folge hätten, dass verfassungsrechtliche Zweifel an § 240 AO nicht bestünden und eine Aussetzung der Vollziehung im Hinblick auf die Säumniszuschläge grundsätzlich nicht in Betracht komme. Der Beschluss des BFH vom 31.08.2021 (VII B 69/21) ändere an dieser Auffassung nichts.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Bei der im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts u.a. aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen o...

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