Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung der Steuerfestsetzung gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG. ordnungsgemäße Anzeige des Erwerbsvorgangs gemäß § 18 Abs. 3 GrEStG, § 19 Abs. 3 GrEStG, § 16 Abs. 5 GrEStG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Beteiligten zur Anzeige der der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgänge ist objektiver Natur und besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten. Sie entfällt nicht dadurch, dass die Beteiligten darauf vertraut hatten, der beurkundende Notar werde seiner Anzeigepflicht rechtzeitig nachkommen.

2. Eine Anzeige ist im Sinne des § 16 Abs. 5 GrEStG ordnungsgemäß, wenn der Vorgang innerhalb der in § 18 Abs. 3 GrEStG und § 19 Abs. 3 GrEStG vorgesehenen Anzeigefristen dem Finanzamt in einer Weise bekannt wird, dass es die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 1 Abs. 2, 2a, 3 GrEStG prüfen kann.

3. Eine Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG kommt nicht in Betracht, wenn zwar der ursprüngliche Erwerbsvorgang innerhalb der maßgeblichen Frist vollständig aufgehoben und rückabgewickelt worden ist, dieser aber weder von den Beteiligten noch von dem beurkundenden Notar der Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamt ordnungsgemäß angezeigt worden war.

 

Normenkette

GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 16 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5, § 18 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 21.06.2023; Aktenzeichen II R 2/21)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob eine die Grunderwerbsteuer auslösende Anteilsübertragung ordnungsgemäß i.S.d. § 16 Abs. 5 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) angezeigt wurde.

An der O GmbH waren die Klägerin mit 90,1 % und die M AG mit 9,9 % beteiligt. Die O GmbH ist Eigentümerin eines Wohn- und Geschäftshauses in X-Stadt.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 22. Dezember 2016 verkaufte die M AG ihren Anteil von 9,9 % an der O GmbH an die Klägerin zum Kaufpreis von 2.475 EUR. Die Klägerin wurde bei Vertragsschluss durch ihren damaligen Geschäftsführer Herrn A vertreten, der alleinvertretungsberechtigt war. Die M AG, deren Vertretungsregelung vorsah, dass die Gesellschaft nur durch zwei Vorstandsmitglieder vertreten werden konnte, wurde bei Vertragsschluss durch Herrn B vertreten. Dieser handelte zum einen als Vorstand der M AG. Zum anderen handelte er, vorbehaltlich der nachträglichen Genehmigung die mit ihrem Zugang beim Notar wirksam sein sollte, für seinen Mitvorstand Herrn C. Herr C genehmigte den Vertrag am 23. Dezember 2016. Die Genehmigung des Vertrages durch Herrn C ging dem beurkundenden Notar am 30. Dezember 2016 zu.

Am 30. Dezember 2016 übersandte der beurkundende Notar eine Kopie des Vertrages an das Finanzamt X-Stadt Abteilung Körperschaften. Die vom beurkundenden Notar dem beklagten Finanzamt (FA) übersandte Veräußerungsanzeige samt Kopie des Vertrages vom 22. Dezember 2016 ging am 12. Januar 2017 beim FA ein.

Mit Bescheid vom 2. Mai 2018 setzte das FA gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer i.H.v. 197.792 EUR fest. Den Grundbesitzwert schätzte das FA i.H.v. 5.651.200 EUR, der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12. Juni 2018 trat die Klägerin 9,9 % ihrer Anteile an der O GmbH an die M AG zum Kaufpreis von 2.475 EUR ab.

Mit Schreiben vom 19. Juni 2018 beantragte die Klägerin die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 2. Mai 2018 gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG. Der Vertrag vom 22. Dezember 2016 sei am 30. Dezember 2016 an das Finanzamt X-Stadt übersandt worden. Die zuständige Sachbearbeiterin des beurkundenden Notars habe die Anzeige an die Grunderwerbsteuerstelle des FA nicht mehr am 30. Dezember 2016 fertiggestellt. Da sie ab dem folgenden Arbeitstag, dem 2. Januar 2017 bis einschließlich 10. Januar 2017 krankgeschrieben gewesen sei, sei die Anzeige erst nach ihrer Rückkehr versandt worden.

Mit Schreiben vom 28. Juni 2018 lehnte das FA den Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 GrEStG ab. Der Aufhebung stehe § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen, die Geschäftsanteilsabtretung sei nicht fristgerecht angezeigt worden. Der Vertrag vom 22. Dezember 2016 sei erst am 12. Januar 2017 und damit nicht fristgerecht i.S.d. § 16 Abs. 5 GrEStG beim FA eingegangen.

Mit Schreiben vom 1. August 2018 legte die Klägerin gegen die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 28. Juni 2018 Einspruch ein.

Mit Schreiben vom 19. September 2018 stellte die Klägerin den Antrag, die Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3 GrEStG gem. § 109 Abs. 1 Satz 1 AO rückwirkend bis zum 13. Januar 2017 zu verlängern. Auch sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO zu gewähren.

Am 29. April 2019 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung angeordnet. Mit Schreiben vom 13. November 2019 t...

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