Entscheidungsstichwort (Thema)

Benachteiligung durch isolierte Günstigerprüfung mehrerer Kinder bei ermäßigtem Steuersatz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Prüfung, ob vom Abzug eines Kinderfreibetrags abzusehen ist, weil er die Entlastung des Steuerpflichtigen durch das jeweilige Kindergeld nicht übersteigt (Günstigerprüfung), muss grundsätzlich auf das einzelne Kind bezogen werden, wobei für jedes Kind eines Steuerpflichtigen, beginnend mit dem ältesten, eine eigene Vergleichsrechnung durchzuführen ist.

2. Die von der Finanzverwaltung bei einer Mehrzahl von Kindern praktizierte isolierte Günstigerprüfung, bei der im Rahmen der Günstigerprüfung für jedes weitere Kind Kinderfreibeträge für die vorherigen Kinder nur bei Ausgang der Günstigerprüfung für jene Kinder zu Gunsten des Kinderfreibetrags berücksichtigt werden, findet keine Stütze im Gesetz (Anschluss an FG des Landes Sachsen-Anhalt v. 14.10.2002, 1 K 925/98).

3. Bei Anwendung eines vom Grundtarif oder Splittingtarif abweichenden Steuersatzes – im Streitfall bei Besteuerung außerordentlicher Einkünfte nach der Fünftelregelung – kann es geboten sein, das Ergebnis bei kumulativer Gewährung der Kinderfreibeträge in die Vergleichsrechnung einzubeziehen, wenn dies gegenüber der isolierten Günstigerprüfung zu einer niedrigeren steuerlichen Gesamtbelastung führt.

 

Normenkette

EStG 2002 § 31 S. 4, § 34 Abs. 1, § 32 Abs. 6, § 62

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 19.04.2012; Aktenzeichen III R 50/08)

BFH (Urteil vom 19.04.2012; Aktenzeichen III R 50/08)

 

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 14.04.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.11.2005 wird mit der Maßgabe geändert, dass bei der Ermittlung der festgesetzten Einkommensteuer 2003 vom Einkommen der Kläger für die beiden Kinder der Kläger T und M Kinderfreibeträge in der Summe von 7.296 EUR und Freibeträge für den Betreuungs-, Erziehungs-und Ausbildungsbedarf in der Summe von 4.320 EUR abgezogen und die sich hierdurch ergebende tarifliche Einkommensteuer 2003 um die Summe des für die beiden Kinder zu beanspruchenden Kindergelds von insgesamt 3.696 EUR erhöht wird.

2. Dem Beklagten wird aufgegeben, die Berechnung der festgesetzten Einkommensteuer 2003 nach Maßgabe des Urteilsausspruchs in Textziffer 1. durchzuführen, den Klägern das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich mitzuteilen und den Einkommensteuerbescheid mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft des Urteils neu bekannt zu geben.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

5. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

6. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Vorschrift des § 31 Satz 4 Einkommensteuergesetz zutreffend angewendet und das Einkommen der Kläger in dem gesetzlich vorgeschriebenen Umfang in Höhe des Existenzminimums ihrer beiden Kinder von der Einkommensteuer freigestellt hat.

Die Kläger sind Ehegatten und haben zwei minderjährige Kinder, für die sie im gesamten Streitjahr Kindergeld in Höhe von jeweils 1.848 EUR erhielten. Mit ihren verschiedenen Einkünften wurden sie im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Unter anderem erzielte der Kläger zu 1) aus einer Beteiligung einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 25.091 EUR. Der Beklagte (das Finanzamt) setzte mit Bescheid vom 14.04.2005 die Einkommensteuer der Kläger für das Streitjahr entsprechend der erklärten Einkünfte unter Anwendung der Splittingtabelle auf den nichtbegünstigten Teil des zu versteuerndes Einkommens sowie unter Anwendung des nach § 34 Abs. 1 Einkommensteuergesetz in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) begünstigten Tarifs auf den Veräußerungsgewinn auf insgesamt 8.508 EUR sowie den entsprechenden Solidaritätszuschlag auf 167,69 EUR fest. Bei der Festsetzung der Einkommensteuer der Kläger blieben Kinderfreibeträge unberücksichtigt, weil die programmgesteuerte Günstigerprüfung beim so genannten Familienleistungsausgleich im Streitfall zugunsten der ausschließlichen und endgültigen Gewährung des Kindergelds ohne Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen erfolgte. Bei der Berechnung des Solidaritätszuschlags auf die Einkommensteuer der Kläger kamen hingegen Freibeträge für die beiden Kinder in der Gesamthöhe von 11.616 EUR zum Abzug. Gegen die Einkommensteuerfestsetzung legten die Kläger mit Schreiben vom 2.05.2005 mit der Begründung Einspruch ein, die nach § 31 Satz 4 EStG vorgeschriebene Günstigerprüfung bei der Anwendung des Familienleistungsausgleichs hätte zugunsten des Abzugs der Freibeträge für beide Kinder erfolgen müssen, weil sich hieraus eine niedrigere festgesetzte Einkommensteuer der Kläger ergeben hätte. Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos und wurde durch Ein...

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