rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für ein behindertes inhaftiertes Kind bei behinderungsbedingter Verursachung der zur Inhaftierung führenden Tat. Verbot der abstrakten Betrachtungsweise

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auffassung wonach eine Inhaftierung/Unterbringung infolge strafrechtlicher Verurteilung eines behinderten Kindes die Kausalität zwischen seiner Behinderung und seiner Unfähigkeit, für den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen, entfallen lässt, steht im Widerspruch zu dem Verbot einer abstrakten Betrachtungsweise bzw. dem Gebot der konkreten Bewertung der Gesamtumstände.

2. Die vor dem 25. Lebensjahr eingetretene Behinderung eines inhaftierten Kindes ist mitursächlich für dessen Unfähigkeit zum Selbstunterhalt nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG, wenn sich die Straftat unmittelbar mit der Behinderung begründen lässt (hier: Tötung der Mutter durch infolge Drogen- und Alkoholkonsum schizophrenes Kind im Rahmen einer Konfrontationssituation).

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3; StGB §§ 20-21

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 30.04.2014; Aktenzeichen XI R 24/13)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides vom 23. April 2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 9. März 2009 den Antrag des Klägers auf Kindergeld für seinen Sohn B für die Zeit von Mai bis Dezember 2007 sowie von August 2008 bis März 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 19/63 und im Übrigen die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

4. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger beantragte im April 2008 Kindergeld ab Januar 2004 für seinen Sohn B, geb. … 1981. Für B war infolge einer psychischen Erkrankung ein Grad der Behinderung von 50 ab 23. Januar 2004 festgestellt worden.

Am 09. November 2007 verurteilte die 1. große Strafkammer – als Schwurgericht – des Landgerichts C B wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Sie war zu der Überzeugung gelangt, dass der Sohn des Klägers am 5. April 2007 vorsätzlich, aber in einem Zustand der verminderten Schuldfähigkeit, seine Mutter getötet hatte. B, der noch am Tag der Tat festgenommen worden war und gegen den Untersuchungshaft angeordnet worden war, trat die Haft an.

Nachdem sein Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Kindergeld zurückgewiesen worden war, hat der Kläger Klage erhoben.

Im finanzgerichtlichen Verfahren wurde am 21. April 2010 beschlossen, dass durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber erhoben werden solle, ob B ab Januar 2004 bis zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung infolge seiner Behinderung außerstande gewesen sei, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Priv.-Doz. Dr. med. D erstattete am 16. April 2012 das fachpsychiatrische Gutachten, wonach der Sohn des Klägers in Folge seiner Behinderung ab Januar 2004 außer Stande gewesen sei, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das sich in den Gerichtsakten befindliche Gutachten (Bl. 80 ff) verwiesen.

Die Beklagte setzte nun Kindergeld für den Zeitraum Januar 2005 bis April 2007 fest. Für das Jahr 2004 seien die Einnahmen und Bezüge des Sohnes des Klägers so hoch gewesen, dass er tatsächlich für seinen Lebensunterhalt selbst habe aufkommen können. Ab April 2007 sei Bs Inhaftierung kausal dafür gewesen, dass er außerstande gewesen sei, für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen, so dass es auf eine Kausalität seiner Behinderung nicht mehr ankomme.

Der Kläger ist dagegen weiterhin der Ansicht, dass auch für die Zeit der Inhaftierung Kindergeld festzusetzen sei, weil die bestehende Behinderung auch in diesem Zeitraum kausal für Bs Unfähigkeit gewesen sei, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

Die Beteiligten haben den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt bezüglich der Streitzeiträume Januar 2004 bis April 2007 und Januar bis Juli 2008.

Der Kläger beantragt nunmehr nur noch,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 23. April 2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 9. März 2009 den Antrag des Klägers auf Kindergeld für seinen Sohn B für die Zeit von Mai bis Dezember 2007 sowie vom August 2008 bis März 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Kausal für die Unfähigkeit des Kindes, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, sei nicht seine Behinderung, sondern seine strafrechtliche Verurteilung mit anschließender Inhaftierung, bzw. die vorangegangene Untersuchungshaft. Es sei bereits in ständiger Rechtsprechung geklärt, dass Haft die Kausalität der Behinderung für die Un...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge