Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfügungsberechtigung des Sequesters im Gesamtvollstreckungsverfahren. Entstehung von Arbeitslohn und Lohnsteuer bei Vorfinanzierung der Arbeitslöhne durch eine Bank gegen Sicherungsabtretung der Ansprüche der Arbeitnehmer auf Konkursausfallgeld. Lohnsteuerhaftung des Sequesters

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Überträgt das Amtsgericht im Rahmen der Anordnung des Sequestrationsverfahrens dem Sequester Rechte und Aufgaben, die der Stellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters vergleichbar sind, so ist der Sequester Verfügungsberechtigter i. S. des § 34 Abs. 3 AO.

2. Gewährt eine finanzierende Bank der Gemeinschuldnerin ein Darlehen zur Begleichung der Arbeitslöhne, und werden die Ansprüche der Arbeitnehmer an das Arbeitsamt auf Zahlung eines Konkursausfallgeldes zur Sicherheit an die Bank abgetreten, entsteht bei Zahlung noch kein Arbeitslohn. Der Hintergrund der Zahlung liegt in der Darlehensgewährung, die die Ansprüche auf Lohnzahlung aus dem Arbeitsvertrag überlagert.

3. Arbeitslohn entsteht erst nach Ablauf der Bezugsdauer des Konkursausfallgeldes von maximal drei Monaten. Die Lohnsteuer und die Pflicht des Sequesters zur Anmeldung und Abführung entstehen daher erst mit dreimonatiger Verzögerung.

4. Kommt der Sequester seiner Verpflichtung zur Berichtigung der Lohnsteueranmeldung und Abführung der Lohnsteuer bei eintretender revolvierender Konkursausfallgeldvorfinanzierung nicht rechtzeitig nach, so haftet er für den dadurch eingetretenen Steuerausfall.

5. Entsprechend der BFH-Rechtsprechung zur Nichtberücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe bei der Geschäftsführerhaftung kommt es nicht darauf an, ob eine Abführung der Lohnsteuer durch den Sequester nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO anfechtbar gewesen wäre.

 

Normenkette

AO § 34 Abs. 3, § 69; EStG 1990 § 38 Abs. 1, § 41a Abs. 1 Nr. 1; GesO § 10 Abs. 1 Nr. 4

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 22.04.2009; Aktenzeichen VII B 225/08)

 

Tenor

Der Haftungsbescheid vom 30. Juli 1999 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 16. Juli 2001 wird insoweit aufgehoben, als er Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer sowie Säumniszuschläge des Monats August 1996 betrifft.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 4/5, der Beklagte zu 1/5.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger – der Steuerberater ist – in seiner Funktion als Sequester für nicht abgeführte Lohnsteuern der Fa. … haften muss.

Das Amtsgericht …, Abteilung Gesamtvollstreckung, ordnete mit Beschluss vom …, in dem Verfahren zur Eröffnung der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der … die Sequestration an. Der Beschluss hat folgenden Wortlaut:

„Gegen die Schuldnerin wird ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen. Ihr wird insbesondere untersagt, Gegenstände ihres Vermögens zu veräußern, zu belasten und Forderungen einzuziehen. Die Schuldnerin bzw. ihre vertretungsberechtigten Organe können Willenserklärungen nur zusammen mit dem Sequester abgeben.

Verfügungen im Zusammenhang mit der Sicherung und Verwaltung des Vermögens stehen nur dem Sequester zu. Die Schuldnerin hat sich insoweit jeglicher Verfügungen zu enthalten.

Der Sequester soll das vollstreckungsbefangene Vermögen der Schuldnerin in Verwahrung und Verwaltung nehmen sowie Außenstände einziehen und auf ein von ihm einzurichtendes Anderkonto nehmen.

Der Sequester ist insbesondere befugt, ohne Mitwirkung der Schuldnerin von dessen Banken die Auskehrung/Überweisung von evtl. Konto-Guthaben auf das eingerichtete Anderkonto zu verlangen und diese Gelder dort zu sichern und zu verwahren.

Der Sequester wird ermächtigt, die eingezogenen Gelder für die Fortführung des Betriebes der Schuldnerin zu verwenden.

Der Sequester wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Gericht, Verhandlungen mit den in § 4 Abs. 1 GesO genannten Stellen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit und/oderÜberschuldung zu führen.”

Gleichzeitig wurde der Sequester beauftragt, ein Sachverständigengutachten zu erstatten.

In der Folgezeit wurde der Betrieb bis zur Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens am 01. Dezember 1996, für das der Kläger zum Verwalter bestellt wurde, fortgeführt.

Mit Lohnsteueranmeldungen vom 09. Mai 1996, 11. Juni 1996, 10. Juli 1996, 09. August 1996 und 02. September 1996 wurden für den Zeitraum April bis August 1996 Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer mit jeweils 0,00 DM mit dem Hinweis auf Konkursausfallgeld angemeldet. Die Anmeldungen trugen den Stempel der Gemeinschuldnerin sowie die Unterschrift „i.A. …”. Ein gesonderter Hinweis auf die Sequestration war nicht enthalten.

Mit Anmeldungen vom 21. Januar 1997 wurden die Lohnsteueranmeldungen der streitigen Monate berichtigt und nunmehr Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und...

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