Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzgängerregelung DBA-Schweiz. Nichtrückkehrtage bei mehrtätigen Arbeitseinsätzen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Aus Abschnitt II Nr. 1 des Verhandlungsprotokolls vom 18. Dezember 1991 lässt sich nicht ableiten, dass mehrere zusammenhängende Tage eines Arbeitseinsatzes als ein einziger Nichtrückkehrtag i. S. v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA zu werten sind (entgegen Urteile des BFH vom 15. September 2004, I R 67/03, BFHE 207, 452 und vom 20. Oktober 2004, I R 31/04, BFH/NV 2005 S. 840).

2. Die in dem Urteil des BFH vom 15. September 2004, I R 67/03, BFHE 207, 452 enthaltene Formulierung „nach getaner Arbeit” lässt nicht den Schluss zu, dass ein Nichtrückkehrtag erst dann angenommen werden kann, wenn die dem Arbeitnehmer aufgetragene mehrtägige Arbeit abgeschlossen ist.

 

Normenkette

DBA CHE Art. 15, 15a Abs. 2 S. 1; DBA CHE 1971/2010 Art. 15a Abs. 2 S. 2; DBA CHE Art. 24 Abs. 1 Nr. 1d

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 27.08.2008; Aktenzeichen I R 10/07)

 

Tenor

I. Die Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 vom 19. Juni 1998 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10. August 2001 werden aufgehoben. Der Einkommensteuerbescheid 1996 vom 19. Juni 1998 wird dahingehend geändert, dass die von der Klägerin in der Schweiz erzielten Einkünfte nur bei der Bemessung des Steuersatzes berücksichtigt werden (Progressionsvorbehalt). Die Neuberechnung der Einkommensteuer 1996 wird dem beklagten Finanzamt übertragen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt das beklagte Finanzamt.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die in Deutschland wohnende Klägerin in den Jahren 1994 bis 1996 mit ihren in der Schweiz erzielten Lohneinkünften als Drogentherapiemitarbeiterin gem. Art. 15 a DBA Schweiz als Grenzgängerin in Deutschland steuerpflichtig war.

Die im Jahr 1960 geborene Klägerin wohnte vom 1. Oktober 1992 bis zum 31. August 1996 in X und zog im Anschluss daran nach Y um.

Sie ist Sozialarbeiterin. In der Zeit vom 1. September 1990 bis zum 31. März 1996 war sie als Teilzeitkraft mit einem Pensum von 70 Prozent (= 30 Wochenstunden) beim Verein Drogenhilfe in C/Schweiz als Therapeutische Entzugs-Mitarbeiterin (TEM) angestellt. Nach kurzer Arbeitslosigkeit in der Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 1996 war sie seit 1. Juli 1996 beim Arbeitskreis Rauschmittel in Z beschäftigt.

Der Verein Drogenhilfe C/Schweiz betrieb in einem abgelegenen ehemaligen Bauernhaus in D im Schweizer Jura, ca. 30 Autominuten von C/Schweiz entfernt, eine Fachklinik für Drogenentzug, die unter der ärztlichen Leitung der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) C/Schweiz und unter Aufsicht der Sanitätsdirektion des Kantons C/Schweiz-Landschaft stand. In dieser Klinik wurden jährlich 22 Entzugsmaßnahmen von jeweils 15 Tagen Dauer – in Ausnahmefällen 30 Tagen – auf freiwilliger Basis der Teilnehmer in geschlossenen Gruppen von höchstens 10 Drogenabhängigen durchgeführt. Es handelte sich um einen sogenannten kalten Entzug ohne den Einsatz von Medikamenten. Ziel der Maßnahme war es, eine Entgiftung der Drogenabhängigen zu erreichen und sie zu motivieren, sich für einen längerfristigen stationären Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik oder für eine ambulante Therapie zu entscheiden. Für die Betreuung der Gruppen war jeweils ein Team von vier Therapeutischen Entzugs-Mitarbeitern zuständig.

Zur Vorbereitung der Entzugsmaßnahme hatte die Klägerin gemeinsam mit den übrigen Teammitgliedern in der Anlaufstelle des Vereins in C/Schweiz u. a. die folgenden Aufgaben:

  • die künftigen Entzugsgruppen zusammenzustellen und auf den Entzug vorzubereiten,
  • Vorgespräche mit den Drogenabhängigen, deren Angehörigen und anderen Bezugspersonen zu führen,
  • Finanzierungsfragen mit den Kostenträgern abzuklären,
  • Kontakt mit beratenden Stellen, Ämtern und Justizbehörden aufzunehmen,
  • an den Entzug anschließende stationäre oder ambulante Therapiemaßnahmen vorzubereiten,
  • die erforderliche Verpflegung für die Entzugsmaßnahme zusammenzustellen und zu besorgen,
  • die Teilnehmer am Tag des Beginns der Entzugsmaßnahme in der Anlaufstelle in C/Schweiz in Empfang zu nehmen,
  • sie über die Entzugsmaßnahme zu informieren und einen persönlichen Kontakt zu ihnen herzustellen,
  • sicherzustellen, dass sie keine Drogen an den Ort der Entzugsmaßnahme mitnehmen.

Die Teilnehmer durften dorthin außerdem kein Geld, keine Ausweise und keine Mobiltelefone mitnehmen, um ihnen einen Abbruch der Entzugsmaßnahme zu erschweren. Diese Gegenstände und andere überflüssige Gepäckstücke der Teilnehmer wurden in der Anlaufstelle des Vereins in C/Schweiz aufbewahrt.

Nach Abschluss der Vorbereitungen am Abend des Beginns der Entzugsmaßnahme fuhr die Klägerin mit den anderen drei Mitgliedern des Mitarbeiterteams und den Teilnehmern in einem Kleinbus an den Ort der Maßnahme in das Bauernhaus im Schweizer Jura. Dabei wurden zum Teil Feldwege benutzt und Umwege gefahren, um den Drogenabhängigen die Lage dieses Ortes zu verschleiern und auf diese Weise den Abbruch der Maßnahme zu erschweren.

In dem Bauernhaus wohnten d...

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