Entscheidungsstichwort (Thema)

Leitender Angestellter i. S. d. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz. Verzicht auf inländisches Besteuerungsrecht aus Billigkeitsgründen. Nichtrückkehrtage bei Dienstreisen in Drittstaaten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Tage, an denen der Grenzgänger von einer mehrtägigen Dienstreise in Drittstaaten an seinen Wohnsitz im Inland zurückgekehrt ist, sind keine Nichtrückkehrtage i. S. d. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz. Gleiches gilt für Wochenend- und Feiertage, an denen er sich auf Dienstreisen befand und nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist.

2. Das FA kann im Wege der Billigkeit auf sein inländisches Besteuerungsrecht verzichten. Dies gilt unabhängig davon, ob es die stillschweigend beantragte Billigkeitsmaßnahme tatsächlich gewähren wollte.

3. Art. 15 Abs. 4 S. 1 DBA-Schweiz erfasst nur einen abgegrenzten Personenkreis und nicht sämtliche „leitenden Angestellten” einer Schweizer Kapitalgesellschaft.

4. Eine Eigenschaft als Direktor i. S. d. Art. 15 Abs. 4 S. 1 DBA-Schweiz liegt vor, wenn die Leitungs- und Vertretungsbefugnisse einem Organ einer Kapitalgesellschaft entsprechen.

5. Der wirksamen Bestellung als Direktor steht nicht entgegen, dass die Kapitalgesellschaft über kein Organisationsreglement verfügt und die Funktionsbezeichnung nicht im Handelsregister eingetragen worden ist. Entscheidend ist die rechtlich wahrgenommene Funktion als Vertreter.

 

Normenkette

DBA CHE Art. 15 Abs. 4 S. 1, Art. 15a, 4 Abs. 1; EStG § 1 Abs. 1; AO § 163; Schweizer OR Art. 462, 716b, 718, 720-721

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 07.09.2016; Aktenzeichen I R 14/15)

BFH (Urteil vom 07.09.2016; Aktenzeichen I R 14/15)

 

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid vom 6. Oktober 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2011 werden (ersatzlos) aufgehoben.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung von mehr als 1.500 EUR, darf die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des darin festgesetzten Erstattungsbetrages erfolgen. In anderen Fällen kann der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist im vorliegenden Verfahren (u.a. und) im Wesentlichen die Rechtsfrage, ob der Kläger ein sog. leitender Angestellter i.S.d. Art. 15 Abs. 4 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) –DBA-Schweiz 1992– ist. Zur Begutachtung der in diesem Zusammenhang sich stellenden Fragen zur Feststellung und Auslegung Schweizerischen Rechts (bzw. supranationalen Rechts aus Schweizer Sicht) hat der erkennende Senat Prof. Dr. C (Ordinarius an der juristischen Fakultät der Universität X) als Sachverständigen (im Folgenden: Gutachter) bestellt. Auf die hieran anschließend erstellten gutachterlichen Stellungnahmen vom 9. April 2013 (Bl. 476 ff. der FG-Akten) und vom 4. Oktober 2013 (Bl. 551 ff. der FG-Akten) wird Bezug genommen.

II.

Der Kläger und die Klägerin sind Eheleute, die für den Veranlagungszeitraum 2009 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger hat eine Ausbildung auf dem Gebiet der … wissenschaften absolviert.

Der Kläger war im Streitjahr bei der D L Ltd. (im Folgenden: L-Ltd. und Arbeitgeberin) in deren neunköpfiger Geschäftsleitung beschäftigt (… Management …) und zwar als „Director of U A” (s. z.B. die Angaben lt. Bl. 56 der FG-Akten und zu den Unterschriften des Klägers auf den dem Finanzgericht [FG] vom Kläger vorgelegten Schreiben lt. Bl. 248 ff. der FG-Akten sowie in der Arbeitsbestätigung der L-Ltd. vom 27. Oktober 2011 lt. Bl. 75 der FG-Akten). Die vom Kläger geleitete U A war eine von vier Geschäfts- und Stabseinheiten, die noch durch sechs zum Teil hierarchisch untergeordnete länderspezifische Managementeinheiten ergänzt wurde (Bl. 55 ff. und 66 ff. der FG-Akten). Im Streitjahr waren bei der L-Ltd. in der Schweiz ca. 900 Mitarbeiter, darüber hinaus in ausländischen Betriebsstätten der D – Gruppe noch etwa 400 Mitarbeiter beschäftigt.

Wegen der tatsächlichen Tätigkeit des Klägers wird im Übrigen auf die Ausführungen im Gutachten zu B. S. 3 und 4 verwiesen.

Die L-Ltd. ist ein führender Anbieter von […], Dienstleistungen für […], sowie für Universitäten, Behörden und andere Forschungsorganisationen. Ihr Ziel besteht darin, Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die die […] optimieren. Die L-Ltd. gibt Gutachten in Auftrag, die der Klärung des Nutzens von neu entwickelten […] dienen (Kosten-Nutzen-Analysen). Dem Kläger waren für diese A...

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