Entscheidungsstichwort (Thema)

Unberechtigter Umsatzsteuerausweis in einer Rechnung. Unberechtigter Ausweis von Umsatzsteuer in einer Rechnung durch einen Arbeitnehmer des Unternehmens. Steuerschuldnerschaft bei unberechtigtem Umsatzsteuerausweis

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 203

 

Beteiligte

Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie

P sp. z o.o

Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie

 

Verfahrensgang

Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 26.05.2022; ABl. EU 2022, Nr. C 380/3)

 

Tenor

Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

ist dahin auszulegen, dass

in dem Fall, dass ein Arbeitnehmer eines Mehrwertsteuerpflichtigen ohne dessen Wissen und Zustimmung eine falsche Mehrwertsteuerrechnung unter Verwendung der Identität seines Arbeitgebers als Steuerpflichtigen ausstellt, dieser Arbeitnehmer als diejenige Person anzusehen ist, die die Mehrwertsteuer im Sinne von Art. 203 ausweist, es sei denn, der Steuerpflichtige hat nicht die zumutbare Sorgfalt an den Tag gelegt, um das Handeln des Arbeitnehmers zu überwachen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 26. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juli 2022, in dem Verfahren

P sp. z o.o.

gegen

Beteiligter:

Rzecznik Malych i Srednich Przedsiębiorców,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra, der Präsidentin der Dritten Kammer K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters M. Safjan,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der P sp. z o.o., vertreten durch B. Przeciechowski, Adwokat, und I. Skrok, Doradca podatkowy,
  • des Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie, vertreten durch B. Kołodziej und T. Wojciechowski,
  • des Rzecznik Malych i Srednich Przedsiębiorców, vertreten durch P. Chrupek, Radca prawny,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und M. Rynkowski als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. September 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der P sp. z o.o. (im Folgenden: Gesellschaft P) und dem Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie (Direktor der Finanzverwaltungskammer Lublin, Polen) (im Folgenden: Finanzverwaltung) wegen Mehrwertsteuerschulden, die falschen, von P. K. – einer Mitarbeiterin der Gesellschaft P – ausgestellten Rechnungen entsprechen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„(1) Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

(2) Neben den in Absatz 1 genannten Personen gilt als Steuerpflichtiger jede Person, die gelegentlich ein neues Fahrzeug liefert, das durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung an den Erwerber nach einem Ort außerhalb des Gebiets eines Mitgliedstaats, aber im Gebiet der [Europäischen] Gemeinschaft versandt oder befördert wird.”

Rz. 4

Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.”

Rz. 5

Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Die Mehrwertsteuer wird von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.”

Rz. 6

Art. 205 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet wie folgt:

„In den in den Artikeln 193 bis 200 sowie 202, 203 und 204 genannten Fällen können die Mitgliedstaaten bestimmen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat.”

Polnisches Recht

Rz. 7

Art. 108 Abs. 1 der Ustawa o podatku od towarów i uslug (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 (Dz. U. 2011, Nr. 177, Pos. 1054) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz), der Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie umsetzt, sieht vor:

„Stellt eine juristische Person, eine Organisationseinheit ohne Rechtspersönlichkeit oder eine natürliche Person eine Rechnung mit einem ausgewiesenen Steuerbetrag aus, so ist sie zu dessen Abführung verpflichtet.”

Ausgangsverfahren ...

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