Leitsatz

1. Nimmt das FA zunächst irrig an, ein Veräußerungsgewinn aus (streitigem) gewerblichem Grundstückshandel sei 1994 zu erfassen, obwohl er 1993 erzielt wurde, kann die Besteuerung für 1993 nach Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung nur geändert werden, wenn der Steuerpflichtige zuvor erkennen konnte, dass die Änderung für 1993 unterblieb, weil der Vorgang in einem Änderungsbescheid für 1994 erfasst werden sollte.

2. An dieser Erkennbarkeit fehlt es, wenn sich das FA bis zum Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung weder entschieden hat, ob es die Veräußerung besteuern will, noch in welchem Jahr.

3. Offen bleibt, ob eine Festlegung des Betriebsprüfers ausgereicht hätte oder ob es einer Meinungsbildung des entscheidungsbefugten Veranlagungssachbearbeiters bedurft hätte.

 

Normenkette

§ 174 Abs. 3 und Abs. 4 AO

 

Sachverhalt

Das FA vermutete, dass sich der Kläger als gewerblicher Grundstückshändler betätigt hatte, und ordnete deshalb für 1994 bis 1996 eine Außenprüfung an. Für 1993 und 1997 sollte der Prüfer gem. § 88 AO die "erforderlichen Feststellungen" treffen. Dadurch wurde indessen der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gehemmt (§ 171 Abs. 4 AO).

Der Prüfer gelangte zu der Ansicht, dass einige Grundstücksverkäufe die Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels erfüllten und dieser mit der Veräußerung eines Baugrundstücks durch Vertrag vom 07.12.1993 begonnen habe. Der Streit hierüber wurde erst durch den BFH (BFH, Urteil vom 20.04.2006, III R 1/05, BFH/NV 2007, 138, BFH/PR 2007, 53, betr. GewSt-Messbescheid) entschieden.

In seinem Bericht vom März 1999 erfasste der Prüfer den Verkauf des Baugrundstücks im Jahr 1994, da Besitz, Nutzungen und Lasten mit der am 01.01.1994 fälligen Kaufpreiszahlung übergehen sollten. Im Sommer 1999 erging ein Änderungsbescheid für 1994. Tatsächlich war der Kaufpreis bereits 1993 entrichtet worden.

Schriftlichen Äußerungen aus dem Herbst 1998 war zwar zu entnehmen, dass der Prüfer die Veräußerung des Baugrundstücks besteuern wollte. Es fehlte aber bis zum 31.12.1998, dem Eintritt der regulären Festsetzungsverjährung für 1993, sowohl an einer klaren Festlegung über das "ob" als auch über den Veranlagungszeitraum.

Der erst durch den Prüfungsbericht offenbar werdende Irrtum klärte sich auf, nachdem der Kläger gegen den Änderungsbescheid für 1994 Einspruch eingelegt hatte. Das FA half ab und erließ dafür den streitgegenständlichen ESt-Änderungsbescheid für 1993.

Das FG wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Der BFH war anderer Meinung: Der Kläger habe bis Ende 1998 nicht erkennen können, dass und in welchem Jahr der Prüfer besteuern wollte. Ob eine rechtzeitige (irrige) Festlegung des Prüfers überhaupt ausgereicht hätte, blieb offen.

 

Hinweis

1. Wenn das FA einen Sachverhalt im falschen Jahr erfasst, der Steuerpflichtige Einspruch einlegt und der Bescheid sodann aufgehoben oder zu seinen Gunsten geändert wird, kann das FA nach § 174 Abs. 4 S. 1 AO den Steuerbescheid für das "richtige" Jahr ändern. Dies hat nach § 174 Abs. 4 S. 3 AO innerhalb eines Jahrs nach Aufhebung oder Änderung des rechtswidrigen Bescheids zu geschehen.

2. War die Festsetzungsfrist für das "richtige" Jahr bei Erlass des fehlerhaften Steuerbescheids bereits abgelaufen, müssen nach § 174 Abs. 4 S. 4 AO zusätzlich die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 S. 1 AO erfüllt sein: Die Behörde hat erstens irrig angenommen, dass der Sachverhalt in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und dies war zweitens für den Steuerpflichtigen vor Eintritt der Festsetzungsverjährung des "richtigen" Jahrs erkennbar.

3. Der Irrtum des FA muss nach der BFH-Rechtsprechung dem für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträger unterlaufen sein. Auf dessen Verschulden kommt es nicht an. Ein Sachverhalt, in dem anstelle des Veranlagungssachbearbeiters der für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zuständige Prüfer geirrt hat, wurde bisher nicht entschieden. Eine Ausdehnung auf Irrtümer des Prüfers lässt sich durchaus vertreten: Zwar ist der für § 174 Abs. 3 S. 1 AO maßgebende Personenkreis eng zu begrenzen; tatsächliche Kennt-nisse und rechtliche Würdigungen nicht zuständiger Behördenbediensteter haben außer Betracht zu bleiben. In Prüfungsfällen verlagert sich aber die Initiative für Änderungsbescheide auf den Prüfer, dem der entscheidungsbefugte Veranlagungssachbearbeiter zumeist auch folgt.

4. Wann ist die fehlerhafte Annahme des FA für den Steuerpflichtigen erkennbar? Genügt die bloße Möglichkeit, dass es eine möglicherweise steuererhöhende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat, weil es sie dem Folgejahr zuordnen wollte? Was, wenn der Irrtum des FA bei Eintritt der Festsetzungsverjährung noch nicht klar zum Ausdruck gekommen ist und der Steuerpflichtige vernünftigerweise auch hoffen darf, der Vorgang werde weder im einen noch im anderen Jahr besteuert? Hängt die Erkennbarkeit dann davon ab, dass der Steuerpflichtige den Irrtum und die für ihn ungünstige Rechtsauffassung des FA für wahrscheinlich halten musste? Welches Ma...

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