Leitsatz

Steuerpflichtige, die als Ehegatten nach §§ 26, 26a EStG einzeln zur Einkommensteuer veranlagt werden, können den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Trennung zeitanteilig in Anspruch nehmen, sofern sie die übrigen Voraussetzungen des § 24b EStG erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen, in § 24b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG nicht genannten Person leben.

 

Normenkette

§ 24b, § 26, § 26a, § 32a EStG, Art. 6 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Vater zweier Kinder, die im Streitjahr 2017 minderjährig waren. Die damalige Ehefrau des Klägers und Mutter der Kinder zog im April 2017 aus dem gemeinsamen Haushalt aus, der Kläger lebte danach allein mit seinen beiden Kindern.

Der einzeln veranlagte Kläger beantragte in seiner ESt-Erklärung für 2017 die zeitanteilige Berücksichtigung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende sowie des Erhöhungsbetrags für ein weiteres Kind i.H.v. insgesamt 1.432 EUR (8/12 der Summe von 1.908 EUR und 240 EUR), die vom FA versagt wurde.

Die Klage hatte Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.2.2020, 13 K 182/19, Haufe-Index 14058300, EFG 2020, 1664).

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Der Entlastungsbetrag für alleinstehende Steuerpflichtige ermäßigt sich für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 EStG nicht vorgelegen haben, um ein Zwölftel (§ 24b Abs. 4 EStG).

2. Alleinstehend sind nach § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG Steuerpflichtige, die u.a. die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens nicht erfüllen (§ 26 Abs. 1 EStG) oder verwitwet sind. Der Wortlaut der Vorschrift legt nahe, dass der Entlastungsbetrag nicht beansprucht werden kann, wenn Steuerpflichtige als Ehegatten einzeln oder zusammen zu veranlagen sind.

Daraus, dass die Voraussetzungen für die Ehegattenveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG schon dann für den gesamten VZ erfüllt sind, wenn sie tatsächlich nur zeitweise gleichzeitig gegeben waren, leiten die Finanzverwaltung und die überwiegenden Stimmen im Schrifttum ab, dass der Entlastungsbetrag in jedem Fall ausgeschlossen ist, wenn Ehegatten der Ehegattenveranlagung unterliegen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine Haushaltsgemeinschaft bilden oder wie sie das Veranlagungswahlrecht ausüben.

3. Der BFH legt § 24b Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 EStG dagegen dahin gehend aus, dass Ehegatten den Entlastungsbetrag im Jahr der Trennung zeitanteilig in Anspruch nehmen können:

Die Verwaltungsansicht widerspricht dem Monatsprinzip des § 24b Abs. 4 EStG, dem aufgrund der systematischen Stellung der Normen der Vorrang vor der in § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG in Bezug genommenen Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG zukommt. Die Regelungen zum Splitting-Verfahren (§ 32a Abs. 5 und 6 EStG) gehören zu den Tarifvorschriften, die an das zu versteuernde Einkommen des jeweiligen Kalenderjahrs anknüpfen, wobei die Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung während nur eines Teils des VZ gleichzeitig erfüllt sein müssen. § 24b EStG ist dagegen eine Freibetragsregelung, die auf der Ebene der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 EStG anzuwenden ist. Als solche kann sie wegen des in § 24b Abs. 4 EStG geregelten Monatsprinzips differenziert die sich im Laufe des VZ ändernden Verhältnisse berücksichtigen.

Nichteheliche (eheähnliche) Lebensgemeinschaften sollen gegenüber Ehepaaren nicht begünstigt werden. In der Situation eines Alleinerziehenden befinden sich auch Steuerpflichtige, die nach der Trennung vom Ehegatten im Trennungsjahr allein mit ihren berücksichtigungsfähigen Kindern leben und in dieser Zeit die alleinige Verantwortung für Haushalt und Kinder tragen. Ein Ausgleich durch einen etwaigen Splitting-Vorteil scheidet im Fall der Einzelveranlagung nach §§ 26, 26a EStG aus.

Diese Auslegung vermeidet im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnisse, da nicht verheiratete Steuerpflichtige, die die Haushaltsgemeinschaft mit dem Partner beenden, danach den Entlastungsbetrag zweifelsfrei zeitanteilig beanspruchen können.

Einer zeitanteiligen Gewährung des Freibetrags im Jahr der Trennung steht nicht entgegen, dass Verwitwete ausdrücklich in den Anwendungsbereich einbezogen sind.

Die Ausgestaltung der Lohnsteuerklasse II (§ 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG) schließt eine Gewährung des Entlastungsbetrags im Trennungsjahr nicht aus, denn die LSt-Erhebung ist lediglich eine Vorauszahlung auf die mit Ablauf des Jahres entstehende ESt-Schuld. Auch eine (verfahrensrechtliche oder tatsächliche) Bindungswirkung von im Rahmen des LSt-Abzugsverfahrens getroffenen Entscheidungen besteht für die ESt-Veranlagung des Arbeitnehmers regelmäßig nicht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 28.10.2021 – III R 17/20

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