OFD Nordrhein-Westfalen, 29.6.2021, S 2404 a (§§ 43 - 45e EStG Nr. 809)

Abstandnahme vom Steuerabzug bei Dauerüberzahlern

 

1. Grundsätze

Nach § 44a Abs. 5 Satz 1 EStG ist bei Kapitalerträgen i.S. des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 bis 7 und 8 bis 12 sowie Satz 2 EStG, die einem unbeschränkt oder beschränkt einkommensteuerpflichtigen Gläubiger zufließen, kein Steuerabzug vorzunehmen, wenn die Kapitalerträge Betriebseinnahmen des Gläubigers sind und die Kapitalertragsteuer bei ihm aufgrund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher wäre als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer. Es handelt sich um sog. Dauerüberzahler.

Die Voraussetzungen sind durch eine Bescheinigung des für den Gläubiger der Kapitalerträge zuständigen Finanzamts nachzuweisen (vgl. § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG).

Über die o.g. Kapitalerträge hinaus war bis Anfang Juni 2021 auch eine Abstandnahme vom Steuerabzug auf Dividendenerträge aus inländischen girosammelverwahrten Aktien und Genussscheinen auf Grundlage der Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 EStG möglich (nach § 44a Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 EStG). Mit dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 2.6.2021 (BGBl 2021 I S. 1259) wurde die Dauerüberzahlerbescheinigung aus dem Katalog der eine Abstandnahme vom Steuerabzug nach § 44a Abs. 10 Satz 1 EStG begründenden Bescheinigungen ausgenommen. Die Regelung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft. Die Änderung bezweckt nach der Gesetzesbegründung die Verhinderung von Gestaltungen zur Umgehung der Dividendenbesteuerung, da nach Erkenntnissen aus der Aufarbeitung von Cum/Cum-Gestaltungen auch die Inhaber von Dauerüberzahlerbescheinigungen als Vehikel zur Umgehung der Dividendenbesteuerung genutzt wurden. Nach Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird es gegenüber der Kreditwirtschaft nicht beanstandet, wenn die Regelung zur Aufhebung der Abstandnahme nach § 44a Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. für Zuflüsse von entsprechenden Kapitalerträgen ab dem 1.8.2021 berücksichtigt wird.

 

2. Ausstellung von Bescheinigungen im Sinne des § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG

Die Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 EStG ist unter den in Tz. 1. beschriebenen Voraussetzungen durch das für die Körperschaft (Gläubiger der Kapitalerträge) zuständige Finanzamt auszustellen.

Die Ausstellung der Bescheinigung erfolgt unter dem Vorbehalt des Widerrufs (vgl. § 44a Abs. 5 Satz 5 EStG). Die Gültigkeitsdauer der Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG ist gesetzlich nicht eingeschränkt.

 

2.1 Überwachung der Voraussetzungen

Im Rahmen der Veranlagungstätigkeit bleibt regelmäßig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bescheinigung i.S. des § 44a Abs. 5 EStG weiterhin vorliegen. Außerhalb des Veranlagungsverfahrens können sich ebenfalls Anhaltspunkte ergeben, die sich auf die Voraussetzungen in § 44a Abs. 5 EStG auswirken. Solche Anhaltspunkte können sich z.B. aus Ergebnisabführungsverträgen, Umstrukturierungen im Konzern oder bei Änderungen des Gesellschaftszwecks ergeben. Sind die Voraussetzungen des § 44a Abs. 5 EStG nicht mehr erfüllt, ist die Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG zu widerrufen.

 

2.2 Maschinelle Umsetzung

Die Erteilung der Bescheinigung i.S. des § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG erfolgt im maschinellen Verfahren. Für weitere Einzelheiten wird auf die Ausführungen in Fach 38 der DA-ADV verwiesen.

 

2.3 Widerruf und Rückforderung der Bescheinigung im Sinne des § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG

Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG nicht mehr vor, ist die Bescheinigung zu widerrufen (vgl. § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Der Steuerpflichtige ist aufzufordern, sämtliche Ausfertigungen der Bescheinigung zurückzugeben. Der Widerruf ist mithilfe des Vordrucks 825/008 (OASE-ETV) vorzunehmen und entsprechend dem Verfügungsteil zu bearbeiten. Gegen den Bescheid über den Widerruf der Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG ist der Einspruch gegeben.

 

2.4 Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Bescheinigung im Sinne des § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG

Die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Bescheinigung i.S. des § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG erfolgt im personellen Verfahren. Gegen den Bescheid über die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Bescheinigung i.S. des § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG ist der Einspruch gegeben.

 

3. Einzelfragen

Die Abstandnahme vom Steuerabzug in den durch § 44a Abs. 5 EStG geregelten Fällen dient der Vermeidung einer zeitweiligen Überbesteuerung bei solchen Unternehmen, die große Wertpapierbestände besitzen, jedoch aufgrund der Art ihrer Geschäfte auf Dauer weniger Einkommen- oder Körperschaftsteuer zu zahlen haben, als ihnen in Gestalt der Kapitalertragsteuer von den Wertpapiererträgen einbehalten wird.

 

3.1 Tatbestandsmerkmal „aufgrund der Art seiner Geschäfte”

Vom Anwendungsbereich des § 44a Abs. 5 EStG nicht erfasst werden „Verlustbranchen” und solche Unternehmen, die – zum Teil für längere Zeit – Verluste machen. Das Tatbestandsmerkmal „aufgrund der Art seiner Ges...

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