IFRS 1 "First Time Adoption of International Financial Reporting Standards" behandelt den Übergang vom bisherigen Rechnungslegungsrecht (z. B. HGB) in die Welt des internationalen Standards. IFRS 1 enthält zwei Hauptregelungen:

  • In der IFRS-Eröffnungsbilanz ist regelmäßig so zu bilanzieren und zu bewerten, als ob immer schon nach IFRS verfahren worden wäre (Grundsatz der retrospektiven Anwendung).
  • Dabei entstehende Differenzen zur letzten Schlussbilanz nach HGB sind erfolgsneutral gegen Gewinnrücklagen zu buchen.

Der Standard ist gemäß IFRS 1.2 anzuwenden auf

  • den erstmaligen IFRS-Jahres- oder Konzernabschluss,
  • den Zwischenbericht gemäß IAS 34, sofern das Unternehmen diesen (freiwillig oder verpflichtend) schon im erstmaligen IFRS-Berichtsjahr erstattet.

Ob ein Unternehmen Erstanwender ist, hängt davon ab, ob bisherige, über die interne Verwendung hinausgehende Bilanzen als IFRS-konform deklariert wurden:

 

Beispiel

Die Blendwerk AG plant nun die echte Anwendung von IFRS. Die bisherigen Jahresabschlüsse waren eine "IFRS-light"-Version, mit einigen Anlehnungen an IFRS, aber auch mit gravierenden Abweichungen. Gleichwohl sind die an Banken, Gesellschafter usw. ausgereichten Bilanzen als IFRS-Abschlüsse überschrieben und enthalten im Anhang eine ausdrückliche Bestätigung der Übereinstimmung mit den IFRS.

Das Unternehmen ist kein Erstanwender. Es muss notwendige Bereinigungen nach IAS 8 als "Fehlerkorrekturen" durchführen und kenntlich machen.

Der erstmalig vorgestellte IFRS-Abschluss muss Vorjahresvergleichszahlen enthalten. Dies erfordert u. a. die Erstellung von zwei Gewinn- und Verlustrechnungen und damit nach den Gesetzen der Doppik zwingend die Erstellung von drei Bilanzen, die sämtlichen IFRS-Vorgaben zu genügen haben.

 

Beispiel

Soll zum 31.12.02 erstmals eine IFRS-Bilanz erstellt und veröffentlicht werden, bedarf es der Darstellung der Gewinn- und Verlustzahlen für die Geschäftsjahre 01 und 02. Deshalb muss eine IFRS-Eröffnungsbilanz zum 1.1.01, zeitlich identisch mit der HGB-Schlussbilanz zum 31.12.00 erstellt werden. In der Periode 01 muss zweigleisig verfahren werden: es bedarf eines "normalen" HGB-Abschlusses und eines nach IFRS, letzterer als "Vorrat" für den Vorjahresvergleich im erstmaligen Abschluss zum 31.12.02.

Dreh- und Angelpunkt des Übergangsprozederes stellt die IFRS-Eröffnungsbilanz dar, weil sich in ihr alle nach IFRS 1 zu beachtenden Ansatz- und Bewertungsregeln niederschlagen.

Inhaltlich sind für die Erstellung der IFRS-Eröffnungsbilanz nach IFRS 1.10 folgende Regeln (zu den Ausnahmen siehe unten) beachtlich:

  • Alle nach IFRS ansatzpflichtigen Vermögenswerte und Schulden sind anzusetzen. Zu Abweichungen gegenüber dem HGB kommt es z. B. bei Finanzderivaten mit einem positiven fair value.
  • Nach IFRS nicht bilanzierungsfähige Posten sind wegzulassen. Betroffen sind z. B. Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung.
  • Alle Bewertungen sind so vorzunehmen, als ob immer schon nach IFRS bilanziert worden wäre. Dies betrifft z. B.

    • über den Anschaffungskosten notierende Anteile,
    • mit anteiligem Gewinn auszuweisende Fertigungsaufträge,
    • mit anderem Diskontierungszins berechnete Pensionsrückstellungen.

In der Regel entsteht mit der Abweichung von IFRS zu HGB zugleich eine Differenz von IFRS zur Steuerbilanz, die nach den allgemeinen Regeln von IAS 12 zu einer Steuerlatenz führt.

 

Beispiel

Die nach IAS 19 berechnete Altersversorgungsverpflichtung zum Stichtag der IFRS-Eröffnungsbilanz beträgt 200, der bisherige HGB-Ansatz beträgt 150. Der Steuersatz ist 40 %.

 
Konto Soll Haben
Gewinnrücklage 50  
Pensionsrückstellung   50
Aktive Steuerabgrenzung 20  
Gewinnrücklage   20

IFRS 1.18 i. V. m. IFRS 1.C ff. sowie IFRS 14 sehen verschiedene Wahlrechte (exemptions) vor. Danach müssen die IFRS-Standards in bestimmten Fällen nicht retrospektiv angewandt werden. Die Regelungen von IFRS 14 sind branchenspezifisch. Sie betreffen nur Unternehmen, die netzgebundene Leistungen anbieten (z. B. Telekommunikationsunternehmen und Stromversorger), und gestatten diesen, bestimmte Abgrenzungsposten nach nationalem Bilanzrecht beim Übergang auf die IFRS beizubehalten. Am bedeutendsten unter den nicht branchenspezifischen Erleichterungen sind die Wahlrechte im Zusammenhang mit Sachanlagevermögen sowie Unternehmenszusammenschlüssen.

Sachanlagevermögen kann in der IFRS-Eröffnungsbilanz

  • entweder auf der Basis der fortgeführten IFRS-Anschaffungs-/Herstellungskosten oder
  • zum fair value bilanziert werden.

Die Fortführung eines HGB-Buchwerts ist nicht ausdrücklich erlaubt, nach allgemeinen Grundsätzen aber dann zulässig, wenn der HGB-Wert im Wesentlichen dem IFRS-Wert entspricht.

Das Wahlrecht kann für jeden Inventarposten des Sachanlagevermögens unterschiedlich ausgeübt werden. Dadurch unterscheidet sich die Neubewertung im Rahmen der IFRS-Eröffnungsbilanz von der allgemein nach IAS 16 zulässigen Neubewertung, die nur gruppenweise erfolgen darf. Überdies ist die Neubewertung nach IFRS 1 auch nicht in eine besondere Neubewertungsrücklage einzustellen...

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