Sowohl die HGB-Bilanzierung als auch die IFRS-Bilanzierung erfolgen nicht nach rechtlich-formellen Verhältnissen, sondern aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise (substance over form). In bestimmten Fällen, etwa bei der Bilanzierung von Eigentumsvorbehaltsware, führt diese Betrachtungsweise zu zwingenden und deshalb für HGB und IFRS übereinstimmenden Lösungen. In anderen Fällen, etwa beim Leasing (aus Sicht des Leasinggebers), stimmen die Lösungen bei Unterschieden im Detail immerhin noch im Kern überein. In wieder anderen Fällen, hier bei der Abgrenzung zwischen Eigenkapital und Fremdkapital, kommt es zu konträren Interpretationen:

  • Während das IDW (HFA 1/1994) für die handelsrechtliche Abgrenzung zwischen Fremd- und Eigenkapital unter ausdrücklicher Berufung auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise auf die Haftungsqualität des überlassenen Kapitals abstellt,
  • entscheidet nach IAS 32.15 ff. die (ggf. auch nur bedingte) rechtliche Rückzahlungsverpflichtung über den wirtschaftlichen Gehalt und die Qualifizierung des überlassenen Kapitals.
 

Beispiel

Die World Wide AG hat Genussrechte begeben, deren Vergütung sich ausschließlich am Gewinn und Liquidationserlös bemisst. Soweit nicht durch Verluste aufgezehrt, sind die Genussrechte nach zehn Jahren zurückzuzahlen. Im Insolvenzfall werden sie nur nachrangig, nach Befriedigung aller anderen Gläubiger, bedient.

Das Tochterunternehmen Off-shore-Ltd. hat nach ausländischem Recht Vorzugsaktien ausgegeben. Ein Teil der Vorzugsaktien ist obligatorisch nach zehn Jahren von der Ltd. zurückzukaufen (Rückkaufspflicht). Für einen anderen Teil der Vorzugsaktien besteht ein Rückkaufsrecht. Die Vorzugsdividende für die zweite Tranche beträgt in den Jahren 11 ff. den vierfachen Prozentsatz der Jahre 01 bis 10.

Im HGB-(Konzern-)Abschluss der World Wide AG sind die Genussrechte und Vorzugsaktien als Eigenkapital zu behandeln, da sie zwar nur temporär, aber doch längerfristig Haftungsqualität aufgrund der Verlustteilnahme und Nachrangigkeit haben.

Im IFRS-Abschluss kommt es entscheidend auf die Rückzahlungsverpflichtung an. Für die Genussrechte und den ersten Teil der Vorzugsaktien ist die Rückzahlungsverpflichtung schon vertraglich gegeben. Sie sind nach IAS 32 ohne weiteres als Fremdkapital auszuweisen.

Für den zweiten Teil der Vorzugsaktien besteht nur ein Rückkaufsrecht. Die Ltd. ist zum Rückkauf nicht verpflichtet. Ab dem Jahr 11 nimmt die Vorzugsdividende zwar eine Größenordnung an, die die Ltd. aus wirtschaftlichen Gründen zum Rückkauf des Finanzinstruments zwingen wird. Der faktische Rückzahlungszwang reicht aber nach h. M. nicht aus, auch die zweite Tranche als Fremdkapital auszuweisen.

Eine zwischen Bilanzstichtag und Bilanzaufstellung beschlossene Dividende ist noch als Eigenkapital auszuweisen (so die Klarstellung in IAS 10.12 f.).

Bei sog. zusammengesetzten Finanzinstrumenten, etwa Wandelanleihen, die gegen eine geringere Verzinsung ein Umtauschrecht in Aktien verbriefen, stellt sich weniger ein Abgrenzungs- als ein Aufteilungsproblem. Der Zufluss aus der Begebung solcher Instrumente ist zwischen Eigenkapital und Fremdkapital aufzuteilen (sog. split accounting).

 

Beispiel

Eine Anleihe der World Wide AG wird bei einem Marktzins von 5 % nominal mit ebenfalls 5 % verzinst. Die Zeichner der Anleihe haben jedoch ein Agio von 10 % zu zahlen. Die Effektivverzinsung liegt demzufolge deutlich unter dem Marktzins.

Die AG hat den Emissionserlös aufzuteilen: in den Ausgabebetrag für die begebenen Anleiherechte und den Betrag, der für die Wandlungsrechte erzielt wurde. Für die Aufteilung in Fremd- und Eigenkapital ist gemäß IAS 32.31 f. nur die sog. Residualmethode zugelassen:

Gesamtwert – Fremdkapitalwert = Eigenkapitalwert

Sowohl nach § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB als auch nach IAS 32 ist der für die Wandlungsrechte gezahlte Betrag, d. h. hier das Agio, in die Kapitalrücklage einzustellen.

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