Wer sich schon einmal mit Scrum oder einer anderen agilen Arbeitsmethode beschäftigt hat oder sogar schon in einem Scrum-Team mitgearbeitet hat, kennt die konsequenten Feedbackschleifen und insbesondere die Retrospektiven. Nicht umsonst sind Retrospektiven ein Herzstück des agilen Arbeitens, hier kommt das Grundprinzip "überprüfen und anpassen" (englisch: inspect and adapt) voll zum Tragen. Das Charmante daran: Retrospektiven lassen sich auch unabhängig von Scrum und in praktisch jedem anderen Kontext mit Gewinn anwenden.

In einer Retrospektive begibt sich das Team regelmäßig auf eine Metaebene und betrachtet die Zusammenarbeit, rekapituliert, was in der letzten Zeit gut lief, wo es Verbesserungspotenzial gibt und welche Veränderungen sie vornehmen wollen. Damit ist es ein sehr effektives Tool, um die lernende Organisation zu etablieren und um überhaupt in einer Organisation auf allen Ebenen die Veränderungsfähigkeit und Resilienz zu stärken.

Was sind nun wesentliche Faktoren, damit Retrospektiven auch wirklich diesen Effekt haben können? Da gibt es einige Punkte, die zu beachten sind:

  • Regelmäßigkeit statt Krisenmodus: Retrospektiven sollten regelmäßig stattfinden, bei intensiv zusammenarbeitenden Teams alle 1-4 Wochen. Das stellt sicher, dass sich Probleme nicht zu lange ansammeln und entsprechende Emotionen nicht zu lange aufstauen können. Die Regelmäßigkeit ist außerdem ein sichtbares Zeichen dafür, dass es gerade nicht um Krisenbewältigung geht, sondern dass kontinuierliche Verbesserung das Ziel ist.
  • Alle Sichtweisen statt Dominanz einzelner: Oft erlebt man in Meetings, dass eine früh und nachdrücklich geäußerte Meinung, vielleicht sogar von einer Führungskraft oder Machtperson, die Richtung des Meetings und damit auch das Ergebnis nachhaltig beeinflusst. In einer Retrospektive ist das explizit nicht gewünscht; hier möchte man die Stimmen aller Beteiligten hören, möglichst ohne, dass diese initial von anderen beeinflusst werden. Diversität der Meinungen ist wichtig, um die blinden Flecken zu reduzieren und zu guten Lösungen zu kommen. Daher wird durch die Moderation sichergestellt, dass erst alle Sichtweisen gehört und gesehen werden, bevor das Team zu gemeinsamen Entscheidungen zu den nächsten Schritten kommt.
  • Lösungsorientierung statt Schuldzuweisung: Retrospektiven haben immer einen lösungsorientierten Ansatz und sind keine Instrumente, um nach Schuldigen zu suchen. Je nach kultureller Prägung der Teammitglieder ist von der Moderation hier eine gewisse Kompetenz gefragt, um diesen Fokus zu halten. Gern wird in diesem Zusammenhang auf die sog. Prime Directive verwiesen, s. u. Sollten die Teammitglieder dazu neigen, die Probleme außerhalb ihres Teams zu sehen und dadurch nicht aktiv werden zu wollen, hat es sich bewährt, das Problem schichtweise anzugehen:

    1. Steht es in der Macht des Teams, an der Situation etwas zu ändern? Wenn ja, lassen sich konkrete Maßnahmen identifizieren, die das Problem lösen.
    2. Hat das Team die Möglichkeit, die Situation zumindest zu beeinflussen? Typischerweise werden die Möglichkeiten der Einflussnahme unterschätzt, es lohnt sich, hier etwas genauer hinzusehen und nicht bei "das haben wir noch nie gemacht" stehenzubleiben. Wenn ja, lassen sich ebenfalls konkrete Maßnahmen identifizieren, auch wenn nicht garantiert ist, dass diese zum Erfolg führen.
    3. Wenn das Team keine Chance hat, die Situation auch nur zu beeinflussen, dann ist das wie schlechtes Wetter – nicht schön, aber eben auch nicht zu ändern. In dem Fall geht es darum herauszuarbeiten, wie die vorhandenen Handlungsspielräume am besten genutzt werden können.
  • Konkrete kleine Schritte statt (zu) große Lösungsideen: Bei jeder Retrospektive werden sehr konkrete Aktivitäten vereinbart, die für das Team einen positiven Effekt haben. Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Umsetzbarkeit. Bei jeder Retrospektive nur kleine Schritte vereinbaren und umsetzen ist sehr viel besser als große Lösungen, die dann eventuell nicht umgesetzt werden (können). Die Regelmäßigkeit von Retrospektiven erlaubt auch explizit experimentelle Ansätze: Es werden kleine Maßnahmen für wenige Wochen ausprobiert, von denen sich die Teammitglieder Verbesserungen versprechen. Wenn diese den gewünschten Effekt haben, behält das Team sie bei, ansonsten wird etwas anderes probiert. Das nimmt allen Beteiligten auch den Druck, vorab die "richtige" Lösung finden zu müssen – was in vielen Fällen weder nötig noch hilfreich ist.
 
Hinweis

Prime Directive

Die sog. Prime Directive geht zurück auf Norman Kerth, der sie als eine Basis für Retrospektiven betrachtet. Sie lautet:

"Regardless of what we discover, we understand and truly believe that everyone did the best job they could, given what they knew at the time, their skills and abilities, the resources available, and the situation at hand." – bzw. auf Deutsch:

"Unabhängig davon, was wir entdecken werden, verstehen und glauben wir aufrichtig, dass jeder in der gegebenen Situation, mit dem ihm verfügbaren Wissen, den Ressourcen...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge