Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlagebeschluß zum EuGH: Vorsteuervergütung bei Vorlage einer Zweitausfertigung eines Ersatzbelegs

 

Leitsatz (amtlich)

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art.3 Buchst.a Richtlinie 79/1072/EWG dahin auszulegen, daß auch die Zweitausfertigung eines Ersatzbelegs als Original eines Einfuhrdokuments angesehen werden kann oder es den Mitgliedstaaten unter Umständen gestattet ist, die Zweitausfertigung als Original eines Einfuhrdokuments zu behandeln, oder daß die --von der Richtlinie 79/1072/EWG erfaßten-- nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen ihr Recht auf Vorsteuerabzug endgültig nicht mehr geltend machen können, wenn das ursprünglich ausgestellte Einfuhrdokument vor Stellung des Antrags auf Erstattung der Mehrwertsteuer verloren gegangen ist?

 

Orientierungssatz

Der Senat neigt der Auffassung zu, daß es dem Unternehmer in einem derartigen Fall möglich sein muß, glaubhaft zu machen, daß er nicht (mehr) im Besitz der Erstausfertigung des Ersatzbelegs ist und diesen nicht für Vorsteuerzwecke verwandt hat.

 

Normenkette

EWGRL 79/1072 Art. 3 Buchst. a; EWGVtr Art. 177; UStDV 1991 § 61 Abs. 1 S. 5; UStG 1991 § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 18 Abs. 9

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

I. Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Großbritannien, lieferte im April 1992 ein Meßgerät an einen inländischen Abnehmer. Die Grenzabfertigung wurde durch einen Spediteur vorgenommen, der beim Hauptzollamt Z die angefallene Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 76 182,40 DM für die Klägerin entrichtete.

Im August 1992 beantragte die Klägerin beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen --BfF--) im Verfahren nach §§ 59 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1991) die Vergütung der Einfuhrumsatzsteuer; als Vergütungszeitraum gab sie die Zeit von Januar bis Juni 1992 an. Diesen Antrag lehnte das BfF ab, da die Klägerin die angeforderten Originalbelege nicht vorgelegt habe. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens legte sie eine Kopie der Spediteurrechnung vor, in der u.a. die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer aufgeführt ist; außerdem reichte sie die Zweitausfertigung eines Ersatzbelegs für den Vorsteuerabzug ein. Angaben darüber, wo der ursprünglich ausgestellte Ersatzbeleg abhanden gekommen ist, enthält die Vorentscheidung nicht; nach der Sachverhaltsschilderung des Finanzgerichts (FG) ist aber unstreitig, daß die Erstausfertigung beim BfF weder vorgelegt worden ist noch vorgelegt werden kann.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG schloß sich der Auffassung des BfF an, daß die Zweitausfertigung des Ersatzbelegs kein "Einfuhrbeleg im Original" i.S. des § 61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1991 sei.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend, auch die Zweitausfertigung der Ersatzurkunde sei ein Einfuhrbeleg im Original. Es handele sich nicht nur um eine Kopie oder Abschrift; vielmehr habe der Erklärende für den Inhalt der Originalerklärung einzustehen. Im übrigen handele es sich bei der Vorschrift des § 61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1991 um eine Verfahrensvorschrift, die einschränkend dahin auszulegen sei, daß lediglich in den Fällen, in denen die Gefahr eines Mißbrauchs gegeben sei, auf die Vorlage von Erstschriften nicht verzichtet werden könne. Das Erfordernis der Vorlage des Original-Einfuhrbelegs im Vergütungsverfahren führe auch zu einer unzulässigen Diskriminierung der betroffenen Ausländer, da das Abhandenkommen eines Originalbelegs für inländische Unternehmer keinerlei Auswirkungen habe.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das BfF zu verurteilen, ihr die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 76 182,40 DM zu vergüten.

Das BfF ist der Revision entgegengetreten. Es meint, das Klagebegehren sei mit den Vorschriften der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG (Richtlinie 79/1072/EWG) unvereinbar.

 

Entscheidungsgründe

II. Zur Rechtslage nach nationalem Recht

1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1991) kann der Unternehmer die entrichtete Umsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen in das Inland eingeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt und dem in Bezug genommenen Antrag auf Vergütung der Umsatzsteuer erfüllt.

2. Die Vergütung der abziehbaren Vorsteuerbeträge an im Ausland ansässige Unternehmer ist nach § 18 Abs. 9 UStG 1991, § 59 UStDV 1991 abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG 1991 nach den §§ 60 und 61 UStDV 1991 durchzuführen,

-

wenn der Unternehmer im Vergütungszeitraum keine

Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG 1991 oder

nur steuerfreie Umsätze i.S. des § 4 Nr. 3 UStG 1991

ausgeführt hat (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 UStDV 1991) oder

-

nur Umsätze ausgeführt hat, die dem Abzugsverfahren

oder der Beförderungseinzelbesteuerung unterlegen

haben (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 UStDV 1991).

Auch diese Voraussetzungen sind nach dem unstreitigen

Sachverhalt erfüllt. Die Klägerin ist eine im Ausland

ansässige Unternehmerin. Wie sich aus ihrem Antrag auf

Vergütung der Umsatzsteuer ergibt, hat sie das

eingeführte Meßgerät im April 1992 an den inländischen

Abnehmer im Rahmen einer Werklieferung geliefert.

Diese Werklieferung unterlag nach § 51 UStDV 1991 dem

Abzugsverfahren. Weitere Umsätze hat sie nach ihren

Angaben im Vergütungszeitraum nicht ausgeführt.

3. Die Gewährung der beantragten Vergütung hängt

demnach allein davon ab, ob auch die Voraussetzungen

des § 61 UStDV 1991 erfüllt sind.

Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1991 hat der Unternehmer

die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck

bei dem BfF oder bei dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2

des Finanzverwaltungsgesetzes zuständigen Finanzamt zu

beantragen. Dem Vergütungsantrag sind die Rechnungen

und Einfuhrbelege im Original beizufügen (§ 61 Abs. 1

Satz 5 UStDV 1991).

Der Ersatzbeleg für den Vorsteuerabzug ist ein

Einfuhrbeleg i.S. des § 61 Abs1 Satz 5 UStDV 1991. Er

wird von den Zollstellen für Zwecke des

Vorsteuerabzugs ausgestellt, wenn der Unternehmer, für

dessen Unternehmen Gegenstände eingeführt worden sind,

nicht im Besitz des betreffenden Zollbelegs ist;

gleichzeitig versieht die Zollstelle den Zollbeleg mit

dem Vermerk "Ungültig für Vorsteuerabzug". Auf Antrag

des Steuerschuldners oder dessen Beauftragten

bescheinigt die Zollstelle eine Zweitausfertigung des

Ersatzbelegs, wenn glaubhaft gemacht wird, daß der

bereits bescheinigte Ersatzbeleg verlorengegangen ist.

Die Zweitausfertigung ist als solche deutlich zu

kennzeichnen (vgl. Z 82 34 der Vorschriftensammlung

der Bundesfinanzverwaltung).

4. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die

Zweitausfertigung des Ersatzbelegs ein "Einfuhrbeleg

im Original" ist und ob die Vorlage eines

"Einfuhrbelegs im Original" eine unabdingbare

Voraussetzung für die Vorsteuervergütung ist.

5. Der Senat hat Bedenken, ob § 61 Abs. 1 UStDV 1991

dahin zu verstehen ist, daß der Unternehmer den ihm

nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1991 zustehenden

Vorsteuerabzug endgültig nicht mehr geltend machen

kann, wenn der ursprünglich ausgestellte Einfuhrbeleg

verlorengegangen ist und deshalb nur noch eine

Zweitausfertigung des Ersatzbelegs vorgelegt werden

kann. Er neigt der Auffassung zu, daß es dem

Unternehmer in einem derartigen Fall möglich sein muß,

glaubhaft zu machen, daß er nicht (mehr) im Besitz der

Erstausfertigung des Ersatzbelegs ist und diesen nicht

für Vorsteuerzwecke verwandt hat. Der Senat ist nicht

davon überzeugt, daß die Finanzverwaltung auch bei

entsprechenden organisatorischen Anstrengungen

außerstande ist, in Zweifelsfällen zu überprüfen, ob

der Unternehmer die Vorsteuer doppelt geltend gemacht

hat.

Es ist dem BfF aber einzuräumen, daß der vom Senat für

zutreffend erachteten Auslegung des § 61 Abs. 1 Satz 5

UStDV 1991 Gemeinschaftsrecht entgegenstehen könnte.

III. Zur Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen

Gemeinschaften (EuGH)

1. Das Vergütungsverfahren nach den vorgenannten

Vorschriften entspricht im wesentlichen dem Verfahren

zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland

ansässige Steuerpflichtige nach der Richtlinie

79/1072/EWG. Der Senat hält es deshalb für notwendig,

die Vorschrift des § 61 UStDV 1991 möglichst in

Übereinstimmung mit den Vorschriften der Richtlinie

79/1072/EWG anzuwenden.

2. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn die

Klägerin im streitigen Vergütungszeitraum nicht zu den

in Art. 17 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie des Rates

vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der

Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die

Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG)

genannten Steuerpflichtigen gehörte.

Dies ist zweifelhaft,

-

weil die Klägerin den eingeführten Gegenstand für

Zwecke einer im Inland bewirkten Werklieferung

verwandt hat (vgl. Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 77/388/EWG

a.F., § 3 Abs. 8 UStG 1991) und nicht gemäß Art. 17

Abs. 3 Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG für Zwecke

ihrer Umsätze, die sich aus ihrer im Ausland

ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit ergeben, und

-

weil die dem § 59 Abs. 1 Nr. 2 UStDV 1991

entsprechende Vorschrift des Art. 17 Abs. 4 Buchst. a

Richtlinie 77/388/EWG erst nach Ablauf des

streitbefangenen Vergütungszeitraums (1. Halbjahr

1992) durch Art. 1 Nr. 18 der Richtlinie 92/111/EWG

des Rates vom 14. Dezember 1992 zur Änderung der

Richtlinie 77/388/EWG und zur Einführung von

Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer

(Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 30.

Dezember 1992 Nr. L 384/47) hinzugefügt wurde.

Nach Auffassung des Senats sind die Vorschriften der

§§ 59 ff. UStDV 1991 aber auch dann richtlinienkonform

anzuwenden, wenn der von ihnen betroffene Unternehmer

im streitbefangenen Vergütungszeitraum (noch) nicht zu

den in Art. 17 Abs. 3 Richtlinie 77/388/EWG genannten

Steuerpflichtigen gehört haben sollte. In jedem Fall

besteht der notwendige Zusammenhang zwischen dem

Gegenstand des Ausgangsverfahrens und der vom Senat

erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts.

3. Nach Art. 3 Buchst. a Richtlinie 79/1072/EWG muß

der Steuerpflichtige, um die Erstattung zu erhalten,

einen Antrag stellen, dem die Originale der Rechnungen

oder Einfuhrdokumente beizufügen sind. Nach Art. 7

Abs. 3 dieser Richtlinie versieht die zuständige

Behörde jede Rechnung und jedes Einfuhrdokument mit

ihrem Sichtvermerk, damit diese nicht für einen

weiteren Antrag dienen können, und gibt sie dem

Steuerpflichtigen binnen einem Monat zurück.

Diese Vorschriften entsprechen der 6.

Begründungserwägung zur Richtlinie, wonach bestimmte

Formen der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung

vermieden werden müssen.

Wortlaut und Sinn des Art. 3 Buchst. a Richtlinie

79/1072/EWG könnten deshalb dafür sprechen, daß eine

Zweitausfertigung des Ersatzbelegs unter keinen

Umständen als Original eines Einfuhrbelegs angesehen

werden kann und die Vorlage der Zweitausfertigung

unter keinen Umständen ausreicht, um die Erstattung zu

erhalten. Es ist nämlich nicht gänzlich

ausgeschlossen, daß der Steuerpflichtige bei

Beantragung der Zweitausfertigung unrichtige Angaben

macht oder später die verloren geglaubte

Erstausfertigung des Ersatzbelegs wieder auftaucht, so

daß der Steuerpflichtige im Besitz zweier

Einfuhrbelege ist, die er zur doppelten Beantragung

der Erstattung mißbrauchen könnte.

Andererseits soll durch das Verfahren zur Erstattung

der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige

Steuerpflichtige vermieden werden, daß ein in einem

Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger die Steuer,

die ihm in einem anderen Mitgliedstaat für die

Lieferung von Gegenständen oder die Inanspruchnahme

von Dienstleistungen in Rechnung gestellt oder für die

Einfuhr in diesem anderen Mitgliedstaat entrichtet

worden ist, endgültig tragen muß und damit einer

Doppelbesteuerung unterliegt (2. Begründungserwägung

zur Richtlinie 79/1072/EWG). Dieses Ziel der

Richtlinie würde stark beeinträchtigt, wenn das Recht

auf Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. a

Richtlinie 77/388/EWG mit dem Verlust des ursprünglich

ausgestellten Einfuhrdokuments endgültig verloren

ginge, auch wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht,

daß er nicht (mehr) im Besitz dieses Dokuments ist und

es nicht für Vorsteuerzwecke verwandt hat.

Es ist unbestritten, daß ein Ersatzbeleg ein

Einfuhrdokument im Sinne der Richtlinie 79/1072/EWG

ist. Das muß auch für die zollamtliche

Zweitausfertigung eines Ersatzbelegs gelten. Der Senat

räumt dem BfF aber ein, daß es zweifelhaft ist, ob die

Zweitausfertigung als "Original" eines

Einfuhrdokuments angesehen werden kann.

4. Wegen dieser Bedenken legt der Senat dem

Gerichtshof gemäß Art. 177 des Vertrags zur Gründung

der Europäischen Gemeinschaft die im Tenor genannte

Frage zur Vorabentscheidung vor.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 551-553 (Leitsatz und Gründe)

BFHE 184, 126

BB 1998, 204 (Leitsatz)

DB 1998, 172 (Leitsatz)

DStR 1998, 79

DStRE 1998, 65 (Leitsatz)

HFR 1998, 216

StE 1998, 36

StRK, 8.USt-RL R.3 (Leitsatz und Gründe)

LEXinform-Nr. 0144935

SteuerBriefe 1998, 10

UVR 1998, 115-117 (Leitsatz und Gründe)

UStR 1998, 194-196 (Leitsatz und Gründe)

RIW/AWD 1998, 246-248 (Leitsatz und Gründe)

IStR 1998, 146-148 (Leitsatz und Gründe)

EWS 1998, 75-76 (Leitsatz und Gründe)

stak 1998

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