Leitsatz (amtlich)

1. Auch für die ihrem Gegenstande nach auf bestimmte Fragen beschränkte gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit einer Prüfungsentscheidung gelten die Vorschriften des § 76 Abs. 1 und des § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO uneingeschränkt.

2. Als Gründe i. S. des § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO kommen nur nachvollziehbare konkrete Gesichtspunkte und Erwägungen in Betracht.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 S. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) nahm am schriftlichen Teil der Steuerberaterprüfung 1973 teil. Seine Arbeiten wurden wie folgt bewertet:

1. Klausur (AO, Umsatzsteuer und Einheitsbewertung) Note 5,

2. Klausur (Steuern vom Einkommen und Ertrag) Note 5,

3. Klausur (Buchführung und Bilanzwesen) Note 6.

Der Prüfungsausschuß teilte dem Kläger durch Veriügung vom 12. Dezember 1973 mit, er habe die Prüfung gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes (DVStBerG) nicht bestanden.

Mit der Klage beantragte der Kläger, diese Verfügung aufzuheben und die Zulassung zur mündlichen Prüfung auszusprechen. Er machte u. a. geltend, bei der Korrektur der Arbeiten sei von falschen Tatsachen ausgegangen und gegen allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verstoßen worden. Zur Begründung dieser Rügen nahm der Kläger zur ersten Klausur im einzelnen Stellung und führte aus, warum nach seiner Ansicht zu wenig Wertungspunkte gegeben worden seien. Er kam hierbei zu dem Ergebnis, daß für den AO-Teil 20,5, für den Umsatzsteuer-Teil 14 und für den Bewertungs-Teil 4,5 Punkte fälschlich versagt worden seien, so daß er für diese Klausur insgesamt 65,5 statt 26,5 Punkte hätte erhalten müssen. Dies führe nach dem Punkteplan des Lösungshinweises zur Note "befriedigend" (61 - 75 Wertpunkte) anstelle der Note "mangelhaft" (26 - 45 Wertpunkte).

Das FG wies die Klage durch Urteil vom 31. Juli 1975 IV 1/74 (EFG 1976, 109) mit folgender Begründung ab:

Nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte unterlägen Prüfungsentscheidungen als höchstpersönliche, unvertretbare pädagogischwissenschaftliche Wertungen nur einer eng begrenzten gerichtlichen Nachprüfung. Diese könne sich neben der Frage, ob die formellen Prüfungsvorschriften beachtet worden seien, nur darauf erstrecken, ob die Prüfer von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen seien, sich von sachfremden Erwägungen hätten leiten lassen oder allgemeingültige Bewertungsgrundsätze nicht beachtet hätten (vgl. u. a. Urteil des BVerwG vom 26. Oktober 1973 VII C 73/70, HFR 1974, 500; Beschluß des BFH vom 13. Dezember 1972 VII B 71/72, BFHE 107, 560, BStBl II 1973, 253; BFH-Urteil vom 26. Juni 1973 VII R 43/72, BFHE 110, 94, BStBl II 1973, 747).

Ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften sei hier nicht erkennbar. Die Bewertung der Klausurarbeiten habe sich innerhalb der allgemeingültigen Beurteilungsgrundsätze gehalten. Jedem Prüfer und dem Prüfungsausschuß stehe bei der Überprüfung von Klausurarbeiten ein Beurteilungsspielraum zu, in den das Gericht nicht selbst eingreifen könne. Das Gericht sei darauf beschränkt, etwaige Überschreitungen dieses Beurteilungsspielraumes zu überprüfen. Unzulässig wäre es dagegen, wollte es von sich aus eine selbständige Bewertung der Arbeiten vornehmen und damit seine Entscheidung an die Stelle derjenigen des Prüfungsausschusses setzen. Dem FG sei es daher verwehrt, Punkt für Punkt der Prüfungsaufgabe durchzugehen und neu zu bewerten sowie Aufbau, Ausdrucksfehler und Rechtsansichten zu überprüfen. Dies würde zu einer nicht vorgesehenen Drittkorrektur und Korrektur der Prüfer führen. Spätestens hier verlaufe die Grenze richterlicher Kontrolle. Das FG habe allein die Möglichkeit, sowohl die Aufgabenstellung als solche zu überprüfen als auch eklatanten Korrekturfehlern nachzugehen.

Einwendungen gegen die Klausuren selbst seien bei der vom FG auf Grund eigener Sachkunde vorgenommenen Überprüfung nicht zutage getreten. Ebenso lägen keine offenkundigen Korrekturfehler vor. Die vom Prüfer vorgenommene Punktevergabe und das Korrektururteil ließen sich durchaus vertreten. Es könne im Rahmen der Gesamtüberprüfung dahinstehen, ob es im Einzelfall möglicherweise auch vertretbar gewesen wäre, dem Kläger für diese oder jene Ausführung einen halben oder einen Punkt mehr oder weniger zu geben. Dies liege innerhalb des Beurteilungsspielraumes der Prüfer, in den das FG nicht eingreifen dürfe. Offensichtliche Verstöße, die eine Anhebung der Note gerechtfertigt hätten und die einen Einfluß auf die Frage, ob die schriftliche Prüfung bestanden sei, haben könnten, habe das FG weder bei der vom Kläger im einzelnen beanstandeten ersten Klausur noch in den beiden anderen Arbeiten feststellen können. Die vom Kläger vorgetragenen Einzelrügen seien nicht geeignet, die vom Prüfungsausschuß übereinstimmend mit den Prüfern vorgenommene Benotung als unvertretbar erscheinen zu lassen.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Revision eingelegt. Zur Begründung der Revision trägt er vor:

Das FG widerspreche sich, wenn es einerseits ausführe, die Bewertung der Klausurarbeiten habe sich innerhalb der allgemeingültigen Bewertungsmaßstäbe gehalten, und andererseits erkläre, es wäre dagegen unzulässig, wollte es - das FG - von sich aus eine selbständige Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeiten vornehmen und damit seine Entscheidung an die Stelle derjenigen des Prüfungsausschusses setzen. Das FG habe demnach überhaupt keine Prüfung dahin vorgenommen, ob sich die Bewertung innerhalb der allgemeingültigen Bewertungsgrundsätze halte. Hierzu wäre es jedoch nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet gewesen. Um - wie das FG formuliere -"eklatanten Korrekturfehlern nachzugehen", müßten diese erst gesucht und durch eine eingehende Überprüfung aufgedeckt werden. In der Klageschrift sei allein in bezug auf die erste Klausur eine Vielzahl von eklatanten Korrekturfehlern "aufgedeckt" worden. Das FG hätte zumindest anhand der erhobenen Rügen und möglicherweise nach der Einholung von Stellungnahmen der Prüfer und Korrektoren diesen Korrekturfehlern nachgehen müssen. Der vom FG erwähnte Beurteilungsspielraum der Prüfer und des Prüfungsausschusses sei bei der Steuerberaterprüfung sehr eng, da die Notenvergabe an ein Punkteschema gebunden sei. Da - wie in der Klage ausgeführt - der Prüfungsausschuß bzw. die Prüfer zu seinem Nachteil in vielen Fällen nicht die dem Punkteschema entsprechenden Noten gegeben hätten, lägen Rechtsfehler vor. Bei einer Organisation der Prüfung mit Benotungsschemata hätte das FG den Prüfungsausschuß sogar verpflichten müssen, rechtsfehlerfreie Noten zu geben. Auf solche bestehe ein Anspruch. Das aus diesen Gründen angefochtene Urteil beruhe auf der Verletzung materiellen Rechts. Er beantrage daher, das Urteil aufzuheben, soweit zu seinem Nachteil entschieden worden sei, und auf Zulassung zur mündlichen Prüfung zu erkennen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Die Revisionsbegründung wird der Vorschrift des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO gerecht, wonach sie oder die Revision selbst die verletzte Rechtsnorm bezeichnen muß. Es ist unschädlich, daß der Kläger nicht einen bestimmten Paragraphen als verletzt bezeichnet hat. Denn seine Ausführungen lassen erkennen, daß er sich mit den Gründen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, auseinandergesetzt hat, und worauf der Revisionsangriff gerichtet ist (vgl. BFH-Beschluß vom 12. Februar 1975 VII R 5/72, BFHE 115, 180, BStBl II 1975, 609).

Die Revision führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß Prüfungsentscheidungen höchstpersönliche Werturteile sind, die gerichtlich nur dahin nachgeprüft werden können, ob allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen worden sind, ob sachfremden Erwägungen Raum gegeben worden ist, ob die Prüfungsanforderungen in bezug auf die Aufgabenstellung und die Bewertung der Arbeiten überspannt worden sind, ob von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen worden ist und ob die für die Prüfung maßgeblichen Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind (vgl. BFH-Urteile VII R 43/72 und vom 24. August 1976 VII R 17/74, BFHE 120, 106, BStBl II 1976, 797).

Es hat jedoch übersehen, daß auch für die ihrem Gegenstande nach auf bestimmte Fragen beschränkte gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit einer Prüfungsentscheidung uneingeschränkt die Vorschriften des § 76 Abs. 1 und des § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO gelten, wonach das FG den Sachverhalt von Amts wegen aufklären und in seinem Urteil die Gründe angeben muß, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Diese beiden Vorschriften sind hier verletzt.

Das FG hat sich mit der Frage befaßt, ob sich die Bewertung der Klausurarbeiten innerhalb der allgemeingültigen Bewertungsmaßstäbe gehalten hat. Im Anschluß an ihre Bejahung hat es den Beurteilungsspielraum der Prüfer und des Prüfungsausschusses abgegrenzt mit dem Ergebnis, daß es nur die Aufgabenstellung überprüfen und eklatanten Korrekturfehlern nachgehen könne. Die Behandlung der Frage, ob eklatante Korrekturfehler vorliegen, deutet demnach darauf hin, daß der Kläger die Verletzung allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe nicht lediglich mit der Behauptung gerügt hatte, er habe für die erste Klausurarbeit zu wenig Wertungspunkte erhalten. Das Urteil läßt nicht erkennen, welche Behauptungen des Klägers dem FG Anlaß gegeben haben, die Einhaltung der allgemeingültigen Bewertungsmaßstäbe unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob eklatante Korrekturfehler vorliegen. Es enthält auch keine tatsächlichen Feststellungen darüber, welche allgemeingültigen Bewertungsmaßstäbe hier in Betracht kamen, was das FG im einzelnen als möglichen eklatanten Korrekturfehler nachgeprüft und warum es das Vorliegen eines solchen verneint hat. Es enthält vielmehr nur Ausführungen über das Ergebnis einer "Gesamtüberprüfung" der Punktevergabe und des Korrektururteils der Prüfer.

Es fehlt somit an der Aufklärung des Sachverhalts zu der vom FG bejahten Frage, ob sich die Bewertung der Klausurarbeiten im Rahmen der allgemeingültigen Bewertungsmaßstäbe gehalten hat. Dementsprechend sind in dem Urteil als Grundlage für die Abweisung der Klage nur allgemein gehaltene Ausführungen enthalten, nicht aber i. S. des § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO Gründe angegeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Als solche Gründe kommen nur nachvollziehbare konkrete Gesichtspunkte und Erwägungen in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 1966 III 46/62, BFHE 86, 219; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl. § 96 FGO Rdnr. 52; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl. § 96 FGO Rdnr. 17). Infolge dieser Mängel des FG-Urteils kann es durch den erkennenden Senat nicht daraufhin nachgeprüft werden, ob es die Einhaltung der allgemeingültigen Bewertungsmaßstäbe zu Recht bejaht hat. Deshalb muß das Urteil aufgehoben und die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 1971 VIII R 37/68, BFHE 104, 277, BStBl II 1972, 349).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72196

BStBl II 1977, 215

BFHE 1977, 462

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