Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Fortsetzungsfeststellungsklage gegen erledigte Arrestanordnung

 

Leitsatz (NV)

1. Ein ideelles Interesse, insbesondere ein Rehabilitierungsinteresse, kann eine Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO rechtfertigen; dies kann der Fall sein, wenn der Verwaltungsakt, der Gegenstand der Anfechtungsklage war, die sich in der Hauptsache erledigt hat, den Vorwurf der Steuerhinterziehung enthalten hatte.

2. Hat sich das Verfahren über die Anordnung eines Arrestes durch den Erlaß des entsprechenden Steuerbescheides in der Hauptsache erledigt, so besteht für die Fortsetzungsfeststellungsklage kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn das mit ihr verfolgte Ziel, die Ehre des Klägers wiederherzustellen, auch im Anfechtungsverfahren gegen den Steuerbescheid erreicht werden kann, weil die Steuerfestsetzung (u. a.) auf dem Vorwurf der Steuerhinterziehung beruht.

 

Normenkette

FGO § 100 Abs. 1 S. 4; AO 1977 § 324

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Durch Verwaltungsakt vom 15. Februar 1990 ordnete das beklagte Finanzamt (FA) zur Sicherung von Ansprüchen aus Vermögensteuer 1980 bis 1990 über ... DM den dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) an. Zur Begründung führte das FA im wesentlichen an: Das Bestehen und die Höhe der Arrestansprüche ergäben sich daraus, daß nach den Feststellungen der Steuerfahndung die Klägerin ihren Wohnsitz in Deutschland nie aufgegeben habe. Sie sei daher unbeschränkt steuerpflichtig geblieben. Sie habe das FA durch unzutreffende Angaben über eine angebliche Wohnsitzverlegung sowie über Fortbestehen der unbeschränkten Steuerpflicht getäuscht und zudem durch teilweise Nichtabgabe von Vermögensteuererklärungen für die Jahre ab 1980 oder durch unzutreffende und unvollständige Angaben über ihre Vermögensverhältnisse die zutreffende Festsetzung der Vermögensteuer für diese Jahre verhindert. Nach den gesamten bisher bekanntgewordenen Umständen sei der Tatbestand der Vermögensteuerhinterziehung gegeben. Zur Begründung des Vorliegens von Arrestgründen führte das FA im wesentlichen an: Die Klägerin habe mit Ausnahme einiger Liegenschaften ihr nicht unerhebliches sonstiges Vermögen ins Ausland verbracht. Ihren inländischen Grundbesitz habe sie übermäßig mit Grundpfandrechten belastet. Durch die unzutreffenden Angaben in den teilweise abgegebenen Vermögensteuererklärungen habe sie in ganz erheblichem Maße steuerliche Unzuverlässigkeit gezeigt. Es sei damit zu rechnen, daß die Klägerin auch versuchen werde, die ihr derzeit zufließenden Entschädigungsansprüche seitens des Bundesausgleichsamts durch entsprechende Transaktionen so rasch wie möglich ins Ausland zu schaffen oder auf sonstige Weise dem Zugriff der Steuerverwaltung zu entziehen. Ohne die Anordnung des dinglichen Arrests würde die Erzwingung der o. g. Steuerleistungen vereitelt oder zumindest wesentlich erschwert.

Gegen diese Arrestanordnung erhob die Klägerin Klage nach § 45 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Mit dieser machte sie geltend, daß der Arrest rechtswidrig sei, weil weder ein Arrestanspruch noch ein Arrestgrund bestünde. Zu Unrecht gehe das FA von einem Wohnsitz der Klägerin in X aus. Es liege eine nachträglich veränderte Wertung des FA vor, die die Klägerin nicht dem Vorwurf einer Steuerhinterziehung aussetzen könne. Außerdem müsse von einer Bewertung der strittigen Forderungen mit 0 DM ausgegangen werden, die sich in einem gleichgelagerten Fall auch die Schenkung- und Erbschaftsteuerstelle des FA zu eigen gemacht habe. Der Arrestgrund sei lediglich vorgeschoben.

Am 12. März 1990 erließ das beklagte FA Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar 1980 bis 1990 über insgesamt ... DM gegen die Klägerin, bei denen von einer unbeschränkten Steuerpflicht der Eheleute ausgegangen wurde. Sämtliche Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie richteten sich für die Jahre 1980 und 1981 zugleich an die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres im Juni 1981 verstorbenen Ehemannes. Gegen die Vermögensteuerbescheide hat die Klägerin Einspruch eingelegt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) erklärten die Beteiligten zwar das ursprüngliche Anfechtungsbegehren durch die Überleitung in das Vollstrekungsverfahren für erledigt, die Klägerin stellte jedoch den Antrag festzustellen, daß die Arrestanordnung des FA vom 15. Februar 1990 rechtswidrig sei.

Das FG wies die Klage ab. Durch die Überleitung in das Vollstreckungsverfahren aus den Vermögensteuerbescheiden sei das ursprüngliche Anfechtungsbegehren erledigt. Für eine Feststellung der Rechtswidrigkeit i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO sei jedoch schon deshalb kein Raum, weil die Klägerin kein berechtigtes Interesse an der Feststellung habe. Die Beibehaltung des Rangrechtes für das Vollstreckungsverfahren aus den Vermögensteuerbescheiden sei eine zwangsläufige Folge der Überleitung in das Vollstreckungsverfahren und bewirke, daß das Rechtsschutzbedürfnis für das ursprüngliche Anfechtungsverfahren entfallen sei; daraus allein folge kein besonderes Feststellungsinteresse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO. Auch der Hinweis auf einen möglichen Schadenersatzprozeß nach § 945 der Zivilprozeßordnung (ZPO) führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Klägerin habe sich zu einem möglichen Schaden nicht geäußert und auch nicht auf die Kosten der Arrestvollziehung verwiesen. Auch das von der Klägerin behauptete Anliegen, gravierende Fehler hinsichtlich des Arrestanspruchs, wie etwa die angenommene Steuerhinterziehung oder den Nichtansatz von Schuldposten für Hinterziehungszinsen und Schenkungsteuer feststellen zu lassen, bewirke kein berechtigtes Interesse. Diese Fragen könne die Klägerin in einem möglichen Anfechtungsverfahren gegen die Vermögensteuerbescheide klären lassen. Ein sog. Rehabilitierungsinteresse der Klägerin sei nicht als Feststellungsinteresse anzusehen, weil das Arrestverfahren nicht vorbestimmend für den Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit der Vermögensteuerbescheide sei. Beim Arrest einerseits und bei den Steuerbescheiden andererseits handle es sich um sich erheblich voneinander unterscheidende Verwaltungsakte. Im Arrestverfahren gehe es um einen vorläufigen Zugriff auf das Vermögen der Klägerin. Deswegen bedürfe es hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Arrestanspruchs keiner dem Steuerfestsetzungsverfahren vergleichbaren Sicherheit.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt (sinngemäß) die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung festzustellen, daß die Arrestanordnung des Beklagten vom 15. Februar 1990 betreffend Vermögensteuer 1980 bis 1990 rechtswidrig ist. Hilfsweise beantragt sie, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor: Die angefochtene Arrestanordnung enthalte sowohl dem Inhalt als auch dem Wortlaut nach direkt und unmißverständlich den Vorwurf einer straf baren Handlung, nämlich der Steuerhinterziehung. Die Klägerin habe deshalb ein Rehabilitierungsinteresse, das als berechtigtes Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO anzusehen sei. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin bestehe auch deshalb, weil davon auszugehen sei, daß bei unveränderter Sachlage das FA den gleichen Rechtsstandpunkt wieder einnehmen werde. Die Fortwirkung des Arrests auch über den Erlaß des Vermögensteuerbescheids hinaus ergebe sich im übrigen auch durch die Beibehaltung des Rangrechts für das Vollstreckungsverfahren. Ein Interesse der Klägerin an der Feststellung ergebe sich auch aus der Möglichkeit eines Schaden ersatzprozesses, gestützt auf § 945 ZPO. Werde der Arrest aufgehoben, sei ein solcher Schadenersatzprozeß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Voraussetzung für die Schaden ersatzpflicht sei die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Arrests. Der Arrest sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da eine zu sichernde Forderung nicht bestanden habe. Der Anspruch auf Entschädigung nach § 14 WPBSchlußG sei bis zur rechtskräftigen Zuerkennung am 18. Dezember 1989 mit 0 DM zu bewerten gewesen. Die Feststellung von Vermögensteuer für einen Zeitraum vor dem 1. Januar 1983 sei wegen Festsetzungsverjährung ausgeschlossen gewesen. Rein vorsorglich werde die Verletzung der Zustellungsvorschriften hinsichtlich der Zustellung des Arrests gerügt.

Das beklagte FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Der von der Klägerin begehrte Feststellungsausspruch nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerecht fertigt. Der durch den Arrest zu sichernde Anspruch müsse nicht mit derselben Bestimmtheit wie im Festsetzungsverfahren festgestellt werden. Der Arrestanordnung komme im Hinblick auf die Vermögensteuerbescheide daher weder präjudizielle Wirkung zu, noch könne man von einem Fall sog. "natürlicher Autorität" sprechen. Ein Rehabilitierungsinteresse bestünde nur, wenn anderenfalls ein effektiver Rechtsschutz nicht zur Verfügung stünde. Die Rehabilitierung ergebe sich hier aber aus dem problemlos durchführbaren Rechtsbehelfs- bzw. anschließenden Klageverfahren in Sachen Vermögensteuer. Auch könne von einer Herabsetzung des Ansehens der Person der Klägerin nicht gesprochen werden, da der Verwaltungsakt nur der Klägerin als Adressatin bekanntgegeben worden sei. Dies gelte auch dann, wenn -- wie im Streitfall geschehen -- die Arrestanordnung öffentlich zugestellt worden sei. Zur Rehabilitierung stehe der Klägerin das förmliche Rechtsschutzverfahren gegen die Steuerbescheide offen. Auch der Hinweis auf einen möglichen Schadenersatzanspruch nach § 945 ZPO begründe kein rechtliches Interesse der Klägerin. Die erst in der Revisionsinstanz angebrachte Bemerkung, der Schaden ergebe sich "zwanglos" aus alternativen Anlagemöglichkeiten, könne wohl kaum dem Erfordernis einer schlüssigen Darlegung der Kausalität und des Schadens genügen. Im übrigen sei die streitige Arrestanordnung rechtmäßig gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

1. Der Antrag der Klägerin, festzustellen, daß die Arrestanordnung rechtswidrig gewesen sei, ist nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an sich statthaft. Durch die nach Anordnung des Arrests ergangenen Vermögensteuerbescheide vom 12. März 1990 für die Veranlagungszeitpunkte 1. Januar 1980 bis 1. Januar 1990 ist das Arrestverfahren im Sinne dieser Vorschrift erledigt. Das Arrestverfahren ist in das Vollstrekungsverfahren übergeleitet worden und wird als solches fortgeführt; damit ist die Arrestanordnung gegenstandslos geworden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 7. Juli 1987 VII R 167/84, BFH/NV 1987, 702 m. w. N.). Der Zweck der Arrestanordnung, die frühzeitige Sicherung des Anspruchs zu erreichen, ist erfüllt; die Vollstreckung wegen der gesicherten Steueransprüche findet nur noch aus den Steuerbescheiden statt.

2. Die Klägerin hat jedoch kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zwar kann ein ideelles Interesse, insbesondere ein Rehabilitierungsinteresse eine Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO rechtfertigen; dies kann der Fall sein, wenn der Verwaltungsakt, der Gegenstand der Anfechtungsklage war, die sich in der Hauptsache erledigte, den Vorwurf der Steuerhinterziehung enthalten hat (vgl. BFH-Urteile vom 18. Mai 1976 VII R 108/73, BFHE 119, 26, BStBl II 1976, 566, und vom 31. Januar 1978 VII R 62/74, BFHE 124, 553 m. w. N.).

Im Streitfall ist die Fortsetzungsfeststellungsklage jedoch nicht zulässig, weil die Klägerin ihr Ziel, den Vorwurf der Steuerhinterziehung zu beseitigen, in dem durch Einspruchseinlegung bereits eingeleiteten Anfechtungsverfahren gegen die Vermögensteuerbescheide erreichen kann.

Sowohl die bereits angefochtenen Vermögensteuerbescheide als auch die Arrestanordnung beruhen gleichermaßen (u. a.) auf dem Vorwurf der Steuerhinterziehung. Stellt sich daher im Anfechtungsverfahren gegen die Steuerbescheide heraus, daß die Klägerin keine Steuerhinterziehung begangen hat, sind diese Bescheide aufzuheben. Gelingt es der Klägerin, sich in diesem Verfahren gegen die Steuerfestsetzungsbescheide von dem Vorwurf der Steuerhinterziehung zu rehabilitieren, so umfaßt diese Rehabilitierung auch den im vorangegangenen Arrestverfahren erhobenen Vorwurf. Das gilt um so mehr, als das Anfechtungsverfahren nicht nur den gleichen, sondern einen effektiveren Rechtsschutz bietet, denn während die Steuerhinterziehung als anspruchsbegründende Tatsache im Arrestverfahren ggf. nur mit "hinreichender Wahrscheinlichkeit" (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 324 AO Rdnr. 4) vorliegen muß, ist der Sachverhalt bei der Überprüfung der Steuerfestsetzung umfassend und abschließend zu ermitteln (§ 88 AO 1977); er muß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Eine Verkürzung des Rechtsschutzes tritt nicht ein, weil die Möglichkeit der richterlichen Überprüfung eröffnet ist (§ 40 FGO). Die unterschiedlichen Voraussetzungen von Arrest- und Steuerfestsetzungsverfahren schließen es auch aus, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Arrestanordnung wegen einer möglichen Auswirkung auf das (nachfolgende) Festsetzungsverfahren anzunehmen. Die Entscheidung in dem einen Verfahren ist weder rechtlich noch tatsächlich für die Entscheidung in dem anderen Verfahren bindend.

3. Zu Recht hat das FG angenommen, daß der von den Prozeßvertretern der Klägerin im erstinstanziellen Verfahren gegebene bloße Hinweis auf einen möglichen Schadenersatzprozeß nach § 945 ZPO für die Annahme eines Feststellungsinteresses der Klägerin nicht ausreicht. Zwar kann der Hinweis auf einen Schadenersatzprozeß ein berechtigtes Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO begründen. Jedoch setzt dies voraus, daß ein Schadenersatzprozeß, wenn nicht schon anhängig, so doch mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, daß die Entscheidung nach § 100 Abs. 1 Nr. 4 FGO für den Schadenersatzprozeß nicht unerheblich ist und daß der Schadenersatzprozeß nicht offenbar aussichtslos ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Mai 1976 VII R 108/73, BFHE 119, 26, BStBl II 1976, 566, 568 m. w. N.). Die Voraussetzungen für das besondere Feststellungs interesse müssen substantiiert dargelegt werden. Der nicht näher erläuterte bloße Hinweis auf einen möglichen Schadenersatzprozeß nach § 945 ZPO genügt dafür nicht (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juli 1975 I R 153/73, BFHE 116, 459, BStBl II 1975, 857, 858). Entgegen der Auffassung der Revision folgt die notwendige Konkretisierung auch nicht aus der Überlegung, daß sich der Schaden "zwanglos z. B. aus entgangenen Anlagemöglichkeiten" ergebe.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 322

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