Entscheidungsstichwort (Thema)

Überleitung des Arrestverfahrens in das Vollstreckungsverfahren; einseitige Erledigungserklärung des beklagten FA im Revisionsverfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Ergeht nach Anordnung des dinglichen Arrestes ein (vollstreckbarer) Steuerbescheid, der die durch den Arrest gesicherte Steuerforderung beinhaltet, so wird das Arrestverfahren in das normale Vollstreckungsverfahren übergeleitet. Mit der Überleitung des Arrestverfahrens in das Vollstreckungsverfahren wird die Arrestanordnung gegenstandslos. Ein über die Arrestanordnung geführter Anfechtungsrechtsstreit findet dadurch in der Hauptsache seine Erledigung.

2. Erklärt im Falle der Erledigung des Rechtsstreits im Revisionsverfahren nur das FA als Revisionsbeklagter die Hauptsache für erledigt, während der Kläger auf einer Sachentscheidung besteht, so wird die Klage mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 324, 327; FGO § 138

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Dem Kläger und Revisionskläger (Kläger), einem in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) lebenden gebürtigen Ägypter, flossen in den Jahren 1975 bis 1981 Geldbeträge in Höhe von insgesamt 1 663 351 DM zu, über deren Herkunft zwischen den Beteiligten Streit besteht. Der Kläger hatte diese Geldzuflüsse und die aus ihrer Anlage auf Sparkonten resultierenden Zinserträge in seinen Einkommensteuererklärungen nicht angegeben. Die Steuerfahndungsbehörde hielt die Geldzugänge als Schmiergeldzahlungen für steuerpflichtige Einkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie berechnete unter Berücksichtigung der Zuflüsse als Einkünfte aus Leistungen (§ 22 Nr. 3 EStG) sowie der aus ihrer Anlage erwachsenen Zinserträge für die Streitjahre Mehrsteuern von insgesamt 940 885 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ordnete zur Sicherung der Vollstreckung dieser Steuerforderungen den dinglichen Arrest in das Vermögen des Klägers an. Die Klage gegen die Arrestanordnung blieb erfolglos.

Mit der Revision macht der Kläger - wie bereits im Verwaltungs- und im Klageverfahren - im wesentlichen geltend, bei den Geldzuflüssen handele es sich um den Erlös aus dem Verkauf von Ländereien in Ägypten, der ihm von seinen dort lebenden Verwandten zur Anlage in der Bundesrepublik übermittelt worden sei. Das FA erließ während des Revisionsverfahrens unter dem 25. Juni 1985 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Kalenderjahre 1975 bis 1981, mit denen es die von der Steuerfahndung ermittelten sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) des Klägers und die aus der Anlage dieser Geldzuflüsse resultierenden Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) erfaßte. Es erklärte sodann auf Anfrage des Berichterstatters den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Der Kläger meint, das Arrestverfahren sei nicht aufgrund der ergangenen Steuerbescheide in das Vollstreckungsverfahren übergeleitet worden. Denn die Steuerbescheide seien angefochten und ihre Aussetzung der Vollziehung sei beim Finanzgericht (FG) beantragt worden. Da somit die Arrestanordnung noch nicht gegenstandslos geworden sei, könne der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache für erledigt erklärt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das klageabweisende Urteil des FG ist im Ergebnis mit der Maßgabe richtig, daß die Klage als unzulässig abzuweisen ist.

1. Im Streitfall liegt eine einseitige Erledigungserklärung des beklagten FA vor. Da der Kläger den Eintritt der Erledigung bestritten und damit seinen im Klage- und Revisionsverfahren gestellten Sachantrag, die Arrestanordnung ersatzlos aufzuheben, aufrechterhalten hat, muß der Senat über den Aufhebungsantrag entscheiden. Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in Fortführung des Beschlusses des Großen Senats vom 5. März 1979 GrS 3/78 (BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378) entschieden, daß im Falle der Erledigung des Rechtsstreits im Revisionsverfahren, wenn nur das FA als Revisionsbeklagter die Erledigung erklärt, der Kläger und Revisionskläger aber auf einer Sachentscheidung besteht, ein klageabweisendes Urteil im Ergebnis zu bestätigen ist (Urteil vom 27. April 1982 VIII R 36/70, BFHE 135, 264, BStBl II 1982, 407). Nach dieser Entscheidung wird durch die Erledigung der Hauptsache während des Revisionsverfahrens, die inzident festzustellen ist, die Klage unzulässig, weil das Rechtsschutzinteresse für die Klage weggefallen ist. Ein Aufrechterhalten des Sachantrags durch den Kläger führt zur Zurückweisung der Revision unter gleichzeitiger Klarstellung in den Gründen des Revisionsurteils, daß die Klage unzulässig geworden ist. Im vorliegenden Verfahren sind die Voraussetzungen der vorgenannten Grundsätze eingetreten.

2. Durch die während des Revisionsverfahrens - am 25. Juni 1985 - gegen den Kläger ergangenen geänderten Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1981 ist die Hauptsache erledigt.

a) Die in § 324 der Abgabenordnung (AO 1977) geregelte Anordnung des dinglichen Arrestes, die den Gegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage bildet, dient der Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen des Steuergläubigers. Sie soll die Zeitspanne überbrücken, in der die Vollstreckung noch nicht zulässig ist, weil z. B. noch kein vollstreckbarer Verwaltungsakt vorliegt (§ 251 AO 1977) oder die Leistung noch nicht fällig, das Leistungsgebot noch nicht ergangen oder die Wochenfrist mit der Aufforderung zur Leistung noch nicht verstrichen ist (§ 254 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Sobald über die den Gegenstand des Arrestes bildende Steuerforderung ein Steuerbescheid ergangen ist, der die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 254 AO 1977 erfüllt, bedarf es der Arrestanordnung nicht mehr. Dem einmal angeordneten Arrest wird aber nicht dadurch der Boden entzogen, daß die Forderung, die er sichern soll, später vollstreckbar wird. Das Arrestverfahren wird vielmehr in das normale Vollstreckungsverfahren übergeleitet und als solches fortgesetzt. Die durch den Arrestvollzug erlangten Sicherheiten bleiben bestehen und behalten ihren Rang; das FA ist nach § 327 AO 1977 befugt, sich aus ihnen zu befriedigen (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 15. Dezember 1921 V A 229/21, RFHE 7, 341, und vom 6. Februar 1935 VI A 998/34, RStBl 1935, 484; BFH-Beschluß vom 28. August 1968 I B 18/68, BFHE 93, 405, BStBl II 1968, 832; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 324 AO 1977 Tz. 31; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 324 AO 1977 Anm. 78, 79).

Im Streitfall ist das Arrestverfahren im Verlaufe des Revisionsverfahrens in das Vollstreckungsverfahren übergeleitet worden. Denn das FA hat am 25. Juni 1985 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Kalenderjahre 1975 bis 1981 erlassen, die die Steuerforderungen beinhalten, die durch den gegen den Kläger angeordneten Arrest gesichert werden sollten. Daß diese Bescheide - wie der Kläger vorträgt - angefochten worden sind, hindert nicht ihre Vollstreckbarkeit und damit die Überleitung in das Vollstreckungsverfahren. Denn solange ihre Vollziehung nicht ausgesetzt ist, können Verwaltungsakte vollstreckt werden (§ 251 Abs. 1, § 361 Abs. 1 AO 1977, § 69 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Mit der Überleitung des Arrestverfahrens in das Vollstreckungsverfahren wird nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum die Arrestanordnung gegenstandslos; ein über die Arrestanordnung geführter Anfechtungsrechtsstreit findet dadurch in der Hauptsache seine Erledigung (vgl. BFH-Urteile vom 6. Dezember 1962 IV 377/59, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963, 220, und vom 13. Dezember 1962 IV 410/58, HFR 1963, 222; Beschluß des Großen Senats vom 5. März 1979 GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375; Urteil des FG Düsseldorf vom 21. November 1974 II 51/74 S, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1975, 270; Tipke/Kruse, a. a. O., § 324 AO 1977 Tz. 31; Schwarz, a. a. O., § 324 AO 1977 Anm. 78; Schuhmann, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1982, 34, 38). Der Zweck der Arrestanordnung, die frühzeitige Sicherung des Anspruchs zu erreichen, ist erfüllt; die Vollstreckung wegen der gesicherten Steueransprüche findet nur noch aus den Steuerbescheiden statt. Einer Aufhebung der Arrestanordnung bedarf es daher nicht mehr. Für eine darauf gerichtete Anfechtungsklage fehlt nunmehr das Rechtsschutzbedürfnis (Schwarz, a. a. O., § 324 AO 1977 Anm. 78, § 325 AO 1977 Anm. 7; Urteil des FG Düsseldorf in EFG 1975, 270; Urteil des FG Münster vom 11. September 1974 V 1777/73 A, EFG 1975, 77; Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 14. Mai 1979 V 11/79, EFG 1979, 584). Daraus folgt für den Streitfall, daß die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Arrestanordnung in der Hauptsache ihre Erledigung gefunden hat, seitdem über die gesicherten Steuerforderungen vollstreckbare Steuerbescheide vorliegen. Das Rechtsschutzinteresse für den vom Kläger auch noch im Revisionsverfahren aufrechterhaltenen Sachantrag ist damit entfallen.

b) Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, daß der Steuerpflichtige nach Überleitung des Arrestverfahrens in das Vollstreckungsverfahren wegen der fortdauernden Wirkung des Arrestvollzugs (z. B. der fortbestehende bessere Rang des Arrestpfandrechts) nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO die Feststellung beantragen kann, daß die Arrestanordnung rechtswidrig gewesen sei (vgl. Schwarz, a. a. O., § 324 AO 1977 Anm. 94 und § 325 AO 1977 Anm. 7; Schuhmann, DStZ 1982, 34, 38). Mit dem Hinweis auf den Übergang von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage dürfte auch den Bedenken zu begegnen sein, die Tipke/Kruse (a. a. O., § 324 AO 1977 Tz. 31 am Ende) gegen die Ansicht der herrschenden Meinung vorbringen, nach der die Arrestanordnung mit dem Erlaß vollstreckbarer Bescheide gegenstandslos wird und der Rechtsstreit über die Anordnung für erledigt zu erklären ist. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Arrestanordnung besteht. Denn der Kläger ist im Streitfall nicht zu einem Feststellungsantrag übergegangen; er hält vielmehr an seinem Sachantrag auf Aufhebung der Arrestanordnung fest. Für diesen ist aber nach Überleitung in das Vollstreckungsverfahren jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

Das FG Hamburg (Urteil vom 5. Juli 1979 IV 111/78 H, EFG 1979, 531) bejaht ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage gegen die Arrestanordnung deshalb, weil im Falle des zu Unrecht angeordneten Arrestes eine erfolgte Pfändung zwingend nach § 257 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 (richtig wohl Nr. 2) AO 1977 aufzuheben wäre und dann der Schuldner über die Pfandgegenstände wieder frei verfügen könnte. Diese Auffassung verkennt, daß sich das Arrestpfandrecht mit dem Eintritt der Vollstreckbarkeit des Steueranspruchs in ein Vollstreckungspfandrecht umwandelt, ohne daß es einer nochmaligen Pfändung bedarf. Eine Wiederholung der im Sicherungsverfahren getroffenen Pfändungsmaßnahmen, wie sie das FG Hamburg verlangt, sollte - wie der BFH im Urteil in BFHE 93, 405, BStBl II 1968, 832 entschieden hat - durch die Vorschrift des § 381 der Reichsabgabenordnung (jetzt § 327 AO 1977) gerade verhindert werden. Deshalb kann nach Eintritt der Vollstreckbarkeit eine Beseitigung der vom FA erlangten Sicherheiten durch Anfechtung der Arrestanordnung nicht mehr erreicht werden (ebenso: Schwarz, a.a.O., § 324 AO 1977 Anm. 94, und Schuhmann, DStZ 1982, 34, 38).

c) Nach dem Erlaß vollstreckbarer Steuerbescheide und der dadurch bewirkten Überleitung des Arrestverfahrens in das Vollstreckungsverfahren kann im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes eine Aufhebung der getroffenen Pfändungsmaßnahmen nur über den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der Steuerbescheide, die nunmehr die Grundlage der Vollstreckung bilden, erlangt werden (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO). Die schlichte Aussetzung der Vollziehung der Bescheide, wie sie der Kläger nach seinem Vorbringen beim FG beantragt haben will, reicht für die Aufhebung der bereits getroffenen Sicherungsmaßnahmen nicht aus. Denn nach § 257 Abs. 2 AO 1977 bleiben auch im Falle der Aussetzung der Vollziehung die bereits getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen bestehen, soweit nicht ihre Aufhebung ausdrücklich angeordnet worden ist. Da aber mit der Aufhebung der Vollziehung der Steuerbescheide auch die im Arrestverfahren erlangten Sicherungspfandrechte - nunmehr umgewandelt in Pfändungspfandrechte - beseitigt würden, bedarf es nach Überleitung in das Vollstreckungsverfahren einer Anfechtbarkeit der Arrestanordnung auch unter dem Gesichtspunkt des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr (anderer Ansicht FG Hamburg im Urteil in EFG 1979, 531).

Das Rechtsschutzbedürfnis für die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage gegen die Arrestanordnung ist somit entfallen. Das klageabweisende Urteil der Vorinstanz war mit der Maßgabe zu bestätigen, daß die Klage nicht durch Sachurteil, sondern durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415214

BFH/NV 1987, 702

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