Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe eines Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheides bei fehlender gegenseitiger Empfangsvollmacht der Ehegatten

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Bekanntgabe eines Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheides an Ehegatten, die sich nicht gegenseitig zur Empfangnahme von Steuerbescheiden bevollmächtigt haben, ist auch im Geltungsbereich der AO 1977 jedem Ehegatten ein für ihn bestimmtes Exemplar des Bescheides zu übermitteln.

2. Die Ehefrau ist auch dann hinreichend bestimmt als Adressatin eines an ,,Herrn und Frau" gerichteten Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheides bezeichnet, wenn dieser nur den Vornamen des Ehemannes enthält.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 155 Abs. 2 a. F, Abs. 3 n. F

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Gründe

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten. Sie wurden von 1970 bis 1975 aufgrund von gemeinsamen, von beiden Klägern unterschriebenen Steuererklärungen zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Für das Streitjahr 1976 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) durch Einkommensteuerbescheid vom 30. November 1978 die Einkommensteuer unter Anwendung der Splittingtabelle durch Schätzung der Besteuerungsgrundlagen fest, da die Kläger trotz entsprechender Aufforderung für 1976 eine Einkommensteuererklärung nicht abgegeben hatten. Der Zusammenveranlagungsbescheid wurde den Klägern in nur einem Exemplar mit einfachem Brief durch die Post zugesandt. Der Bescheid enthält nur den Vornamen des Klägers, nicht jedoch den der Klägerin.

Mit der am 22. November 1979 beim Finanzgericht (FG) eingegangenen Klage haben die Kläger beantragt festzustellen, daß der Einkommensteuerbescheid 1976 unwirksam sei, da es an einer rechtswirksamen Bekanntgabe fehle. Die Feststellungsklage sei geboten, weil das FA aufgrund des Zusammenveranlagungsbescheids 1976 Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen habe.

Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:

Die Feststellungsklage sei zulässig, weil die Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit des zusammengefaßten Einkommensteuerbescheides für 1976 begehrten (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Mai 1976 VIII R 66/74, BFHE 119, 36, BStBl II 1976, 606). Die Klage sei jedoch nicht begründet, denn der an beide Kläger gerichtete (adressierte) Zusammenveranlagungsbescheid des Streitjahres sei diesen gegenüber dadurch wirksam geworden, daß er ihnen bekanntgegeben worden sei. § 155 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestatte es, in Fällen der Ehegattenzusammenveranlagung einen in einem Schriftstück vereinten Zusammenveranlagungsbescheid zu erlassen. Während nach altem Recht das in Urschrift in den Steuerakten des FA verbleibende Schriftstück infolge der sogenannten Willenstheorie als Steuerbescheid anzusehen gewesen sei, von dem nach § 211 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) eine Ausfertigung habe zugestellt werden müssen, sei nach Inkrafttreten der AO 1977 das Schriftstück, welches dem Steuerpflichtigen bekanntgegeben werde, der Steuerbescheid. Nach der AO habe man für die durch § 211 Abs. 3 AO vorgeschriebene Zustellung grundsätzlich jeweils eine Ausfertigung von dem in den Akten zurückbleibenden Bescheid benötigt. Hieran anknüpfend habe die Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß für derartige Schätzungsfälle jedem Ehegatten eine Ausfertigung der Urschrift zuzustellen sei. Im Gegensatz zu dieser früheren Regelung genüge nach § 122 AO 1977 die einfache Bekanntgabe des schriftlichen Verwaltungsaktes, um diesen wirksam werden zu lassen. Bekanntgabe in diesem Sinne bedeute, daß dem Adressaten oder dem sonst Betroffenen die Möglichkeit verschafft werde, von dem Inhalt des Verwaltungsakts Kenntnis zu nehmen. Bei schriftlicher Bekanntgabe müsse der Verwaltungsakt zugehen. Zugegangen sei er, wenn er derartig in den Machtbereich des Adressaten oder sonst Betroffenen gelangt sei, daß diesem die Kenntnisnahme normalerweise möglich sei und nach den Gepflogenheiten des Verkehrs auch erwartet werden könne. Dies bedeute, daß ein Brief dem Adressaten dann zugegangen sei, wenn er in die Wohnung oder in den Briefkasten seiner Wohnung oder in sein Postschließfach gelangt sei. Ob der Adressat dann tatsächlich Kenntnis nehme oder nicht, etwa weil der Brief verlegt werde oder der Adressat sich weigere, ihn zu öffnen, sei unerheblich. Daraus folge, daß ein an Ehegatten adressierter Zusammenveranlagungsbescheid jedem der Ehegatten gegenüber wirksam sei, in dessen Machtbereich er so gelangt sei, daß ihm die Kenntnisnahme möglich gewesen sei. Der Übergabe einer besonderen Ausfertigung für jeden Ehegatten bedürfe es nach der AO 1977 in derartigen Fällen nicht mehr.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung der §§ 122, 124 AO 1977:

Der BFH habe zur AO in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß ein einheitlicher Bescheid nach § 210 Abs. 2 AO (jetzt: § 155 Abs. 2 AO 1977) gegenüber Ehegatten, die sich nicht gegenseitig zur Vornahme der im Besteuerungsverfahren erforderlichen Handlung bevollmächtigt hätten - was hier mangels Abgabe einer gemeinsam unterschriebenen Einkommensteuererklärung der Fall sei -, diesen gesondert bekanntzugeben sei, um ihnen gegenüber wirksam zu werden, und zwar auch dann, wenn beide Ehegatten unter derselben Anschrift erreichbar seien (Urteile vom 16. August 1978 I R 26/78, BFHE 126, 5, BStBl II 1979, 58, und vom 13. August 1970 IV 48/65, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839; Beschlüsse vom 22. Oktober 1975 I B 38/75, BFHE 117, 205, BStBl II 1976, 136, und vom 20. Januar 1972 I B 51/68, BFHE 104, 45, BStBl II 1972, 287). Der BFH habe sich bei diesen Entscheidungen nicht auf besondere formelle Zustellungsgrundsätze, sondern allein auf die Normen gestützt, die die Bekanntgabe von einheitlichen (zusammengefaßten) Bescheiden beträfen. Da sich durch die AO 1977 insoweit keine Änderungen ergeben hätten (statt § 210 Abs. 2, § 91 Abs. 1 AO nunmehr § 155 Abs. 2, §§ 122, 124 AO 1977), seien die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung auch auf das neue Recht anzuwenden.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, daß der Einkommensteuerbescheid 1976 unwirksam ist.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des Einkommensteuerbescheides für 1976, weil das FG diesen Bescheid zu Unrecht für wirksam gehalten hat.

Ein nach dem 31. Dezember 1976 erlassener Steuerbescheid wird dadurch wirksam, daß er demjenigen, für den er bestimmt ist, bekanntgegeben wird (§ 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 155 Abs. 1 AO 1977).

1. Im Streitfall sind allerdings beide Kläger hinreichend als diejenigen, für die der Steuerbescheid bestimmt ist (Adressaten), und damit als Steuerschuldner bezeichnet. Dies gilt auch für die Klägerin, obwohl der Bescheid nicht ihren Vornamen, sondern nur denjenigen des Klägers enthält.

Es bestehen Zweifel, ob eine Bezeichnung von Ehegatten, wie sie im Streitfall vorgenommen wurde, noch passend ist. Auch würde es der Rechtsklarheit dienen, wenn die Vornamen beider Ehegatten angegeben würden. Dennoch ist der Steuerbescheid wegen des fehlenden Vornamens der Klägerin nicht nichtig oder rechtswidrig; denn der Adressierung an ,,Herrn und Frau" läßt sich hinreichend deutlich entnehmen, daß der Bescheid auch für die Klägerin bestimmt ist (BFH-Urteile vom 26. März 1985 VIII R 225/83, BFHE 143, 491, und vom 29. November 1983 VII R 22/83, BFHE 140, 138, BStBl II 1984, 287, insoweit n. v.; vgl. auch BFH-Urteil vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208 betreffend die Anordnung einer Außenprüfung).

2. Der Einkommensteuerbescheid des Streitjahres ist jedoch mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden.

Nach § 155 Abs. 2 AO 1977 in der bis zum 28. August 1980 geltenden Fassung (nunmehr Abs. 3 gemäß Art. 13 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20. August 1980, BGBl I 1980, 1545) können gegen mehrere Steuerpflichtige zusammengefaßte Steuerbescheide ergehen, wenn sie eine Steuer als Gesamtschuldner schulden. Zusammengefaßte Steuerbescheide können auch gegen Ehegatten ergehen, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden, weil diese Gesamtschuldner sind (§ 44 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes - EStG -; BFH-Urteil vom 24. Mai 1985 VI R 204/82, BFHE 144, 121, BStBl II 1985, 583).

Bei zusammengefaßten Steuerbescheiden handelt es sich um eine in einem Bescheid (einem Schriftstück) verkörperte Mehrheit inhaltsgleicher Steuerfestsetzungen gegenüber mehreren Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 24. November 1967 III 2/63, BFHE 91, 1, BStBl II 1968, 163; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 155 AO 1977, Tz. 10; Förster in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., § 155 Rz. 32). Zusammengefaßte Steuerbescheide sind grundsätzlich jedem Betroffenen schriftlich bekanntzugeben (§ 157 Abs. 1, § 122 Abs. 1 AO 1977), um ihm gegenüber wirksam zu werden (§ 124 Abs. 1 AO 1977).

a) Im Geltungsbereich der AO war nach der ständigen Rechtsprechung des BFH für die Zustellung eines einheitlichen Steuerbescheids an Ehegatten, die sich nicht gegenseitig zur Empfangnahme von Steuerbescheiden bevollmächtigt hatten, erforderlich, daß jedem der beiden Ehegatten eine Ausfertigung des Steuerbescheids übersandt wurde (z. B. Urteil in BFHE 126, 5, BStBl II 1979, 58). Es wurde allerdings angenommen, daß sich die Ehegatten gegenseitig zur Empfangnahme bevollmächtigt hatten, wenn sie eine gemeinsame, von beiden unterschriebene Steuererklärung abgegeben hatten (Urteil in BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839).

b) Auch nach dem Wechsel vom Zustellungsprinzip der AO (vgl. § 211 Abs. 3 AO) zum Bekanntgabeprinzip der AO 1977 (vgl. § 122 AO 1977) ist ein zusammengefaßter Steuerbescheid jedem Ehegatten in gesonderter Urschrift zu übermitteln, wenn keine gegenseitige Bevollmächtigung zur Empfangnahme vorliegt; die in § 157 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vorgeschriebene schriftliche Erteilung eines Steuerbescheids erfordert auch für die Bekanntgabe die Verschaffung des Alleinbesitzes an der Urkunde, die den Steuerbescheid enthält (Urteil in BFHE 143, 491).

Im vorliegenden Fall wurde der Einkommensteuerbescheid keinem der Kläger bekanntgegeben, weil nur eine Urschrift des zusammengefaßten Steuerbescheids übermittelt wurde und die Kläger sich nicht gegenseitig zur Empfangnahme des Steuerbescheides bevollmächtigt haben.

Der von diesem Bescheid erzeugte Rechtsschein ist dadurch zu beseitigen, daß die Aufhebung des Steuerbescheids formell ausgesprochen wird (Urteil in BFHE 143, 491).

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 191

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