Leitsatz (amtlich)

Wer nach der Aufwertung der DM am 18. Oktober 1976 Zucker aus Belgien aufgrund eines vorher abgeschlossenen auf belgische Francs lautenden Kaufvertrags einführte, hat keinen Anspruch auf einen teilweisen Erlaß der aufgrund der Währungsmaßnahme erhöhten Währungsausgleichsbeträge, wenn er wegen der besonderen Entwicklung des Austauschverhältnisses DM/bfrs für die Begleichung des Kaufpreises höhere DM-Beträge aufwenden mußte, als dies vor der DM-Aufwertung der Fall gewesen wäre.

 

Normenkette

EWGV 1608/74

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte vom 22. Oktober bis 14. Dezember 1976 auf Grund zweier Fremdwährungsverträge vom 3. September 1976 elf Sendungen Zucker mit insgesamt 249 250 kg aus Belgien ein. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt – HZA –) erhob Währungsausgleichsbeträge und legte dabei den Satz von 10,73 DM/100 kg zugrunde, der auf Grund der Verordnung (EWG) Nr. 2539/76 (VO Nr. 2539/76) der Kommision vom 19. Oktober 1976 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 289/1 vom 20. Oktober 1976) seit dem 20. Oktober 1976 galt. Mit mehreren Schreiben vom 27. Oktober bis 22. Dezember 1976 beantragte die Klägerin, den bis zur DM-Aufwertung vom 18. Oktober 1976 gültig gewesenen Satz von 8,65 DM/100 kg anzuwenden (Verordnung [EWG] Nr. 1585/76 – VO Nr. 1585/76 – der Kommission vom 30. Juni 1976, ABlEG Nr. L 174/1, 8 vom 1. Juli 1976). Sie bezog sich dabei auf die Verordnung (EWG) Nr. 1608/74 (VO Nr. 1608/74) der Kommission vom 26. Juni 1974 (ABlEG Nr. L 170/38 vom 27. Juni 1974, Bundeszollblatt 1974 S. 786 – BZBl 1974, 786 –). Das HZA lehnte mit Bescheid vom 29. Dezember 1976 diese Anträge ab. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, sie habe für die belgischen Devisen, die sie zur Bezahlung des Zuckers nach der Aufwertung der DM beschafft habe, höhere Beträge bezahlen müssen als vor der Aufwertung. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des HZA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a VO Nr. 1608/74 setzt ein Billigkeitserweis voraus, daß der Antragsteller den Nachweis erbringt, daß die Erhebung des erhöhten Währungsausgleichsbetrages nicht erforderlich ist, um die Inzidenz der Währungsmaßnahme auf den Preis auszugleichen. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das ergibt eine Auslegung der VO Nr. 1608/74 im Lichte der gemeinschaftsrechtlichen Regelung des Währungsausgleichssystems.

2. In dem für den vorliegenden Fall maßgebenden Zeitpunkt praktizierte die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit mehreren Mitgliedstaaten der EWG den sog. Europäischen Wechselkursverbund („Schlange”). Im Rahmen dieses Systems floateten die von ihm erfaßten Währungen (im folgenden Verbundwährungen) im Block gegenüber dem Dollar, hielten aber untereinander eine Schwankungsbreite von höchstens 2,25 % zu beiden Seiten der Leitkurse ein. Die Leitkurse spiegeln die Mittelwerte der Verbundwährungen wider und wurden von den dem Wechselkursverbund angehörigen Staaten festgelegt (vgl. Gilsdorf, Der Währungsausgleich aus rechtlicher Sicht, 1978, S. 8 ff. 51; Bank-Lexikon, 8. Aufl., S. 554, Stichwort „Europäischer Wechselkursverbund”; Roeper, Die DM, 2. Aufl., 1978, S. 202 ff.).

Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 974/71 (VO Nr. 974/71) des Rates vom 12. Mai 1971 (ABlEG Nr. L 106/1 vom 12. Mai 1971) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1112/73 (VO Nr. 1112/73) des Rates vom 30. April 1973 (ABlEG Nr. L 114/4 vom 30. April 1973, abgedruckt im BZBl 1973, 646) regelt die Festsetzung der Währungsausgleichsbeträge für die dem genannten Wechselkursverbund angehörigen Mitgliedstaaten. Faktoren für die Berechnung der Währungsausgleichsbeträge sind danach der im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik verwendete Umrechnungskurs (sog. grüner Kurs) und der sich aus den Leitkursen der Verbundwährungen ergebende Umrechnungskurs. Der grüne Kurs wird auf Grund der Verordnung (EWG) Nr. 475/75 (VO Nr. 475/75) des Rates vom 27. Februar 1975 (ABlEG Nr. L 52/28 vom 28. Februar 1975) vom Rat von Zeit zu Zeit als repräsentativer Kurs festgesetzt. Der Leitkurs ist der Mittelkurs jeder Verbundwährung. Die Währungsausgleichsbeträge sind nach Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 974/71 in der genannten Fassung so festzusetzen, daß auf die Gemeinschaftpreise der Prozentsatz angewendet wird, der sich aus dem Unterschied zwischen dem grünen Kurs und dem Leitkurs ergibt. Es wird für jedes Erzeugnis für jeden Mitgliedstaat nur ein Währungsausgleichsbetrag festgesetzt, der für Einfuhren dieses Erzeugnisses aus allen Mitgliedstaaten einheitlich gilt (vgl. z. B. die Beschreibung dieses Systems im Vortrag der Kommission und des Generalanwalts Warner gegenüber dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften – EuGH – in der Rechtssache 79/77, EuGHE 1978, 611, 614 ff., 621 ff.; Gilsdorf, a. a. O.).

Nach diesem System ist auch die am 20. Juni 1976 durch die VO Nr. 2539/76 wirksam gewordene Erhöhung der Währungsausgleichsbeträge für Einfuhren in die Bundesrepublik Deutschland durchgeführt worden. Mit Wirkung vom 18. Oktober 1976 wurde die DM im Rahmen des Europäischen Wechselkursverbundes um 2 % aufgewertet, während die dänische Krone um 4 % abgewertet wurde und die Kurse des holländischen Guldens und des belgischen Franc unverändert blieben (vgl. Abs. 2 der Erwägungsgründe der VO Nr. 2539/76; Roeper, a. a. O., S. 342; Gilsdorf, a. a. O., S. 49). Die Leitkursänderung der DM hatte nach dem geschilderten System wegen der nunmehr größeren Differenz zum grünen Kurs die Erhöhung der bei der Einfuhr in die Bundesrepublik Deutschland zu erhebenden Währungsausgleichsbeträge zur Folge. Der Währungsausgleichsbetrag für nicht denaturierten Zucker der Tarifst. 17.01 A wurde demgemäß von 8,65 auf 10,73 DM/100 kg erhöht (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 2539/76 i. V. m. deren Anhang I Teil 7).

Dieses System führt dazu, daß aus Vereinfachungs- und Praktikabilitätsgründen die Währungsausgleichsbeträge weitgehend pauschal festgesetzt werden (vgl. z. B. EuGH-Urteil in EuGHE 1978, 611, 619, Abs. 8 der Gründe; Gilsdorf, a.a.O., S. 13 ff.). Da nur die Differenz zwischen grünem Kurs und Leitkurs zählt, spielt das Verhältnis der Verbundwährungen untereinander weder bei der Festsetzung der Währungsausgleichsbeträge noch bei deren Erhebung eine Rolle. Es kann also durchaus sein, daß wegen der bestehenden Differenz zwischen grünem Kurs und Leitkurs für eine Ware aus einem anderen Mitgliedstaat mit Verbundwährung bei der Einfuhr in die Bundesrepublik Deutschland ein Währungsausgleichsbetrag zu zahlen ist, obwohl der Sinn und Zweck des Systems im konkreten Fall dies nicht erfordert, weil die DM im Verhältnis zur Währung gerade dieses Ausfuhrmitgliedstaates besonders schwach am unteren Interventionspunkt notiert. Dieser Umstand ändert nichts an der Rechtmäßigkeit dieses Systems, da der Gesetzgeber zu typisierenden und generalisierenden Regelungen befugt ist.

3. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Klägerin keinen Anspruch darauf hat, daß das HZA auf die Erhebung des streitigen Differenzbetrages aus Billigkeitsgründen deswegen verzichtet, weil sie trotz der Erhöhung des Leitkurses der DM für die auf Grund der Fremdwährungsverträge zu zahlenden Beträge an belgischen Francs auf Grund der besonderen Entwicklung des Austauschverhältnisses zwischen DM und belgischem Franc die gleichen oder gar höhere DM-Beträge aufwenden mußte als vor der Aufwertung.

Aus dem oben dargestellten System der Festsetzung der Währungsausgleichsbeträge ergibt sich, daß der Erhöhung eines Währungsausgleichsbetrages wegen der Erhöhung des Leitkurses einer Verbundwährung nicht entgegengesetzt werden kann, die anderen Verbundwährungen seien der Aufwertung zwar nicht durch Änderung ihres Leitkurses, aber durch Anpassung der Umtauschrelationen innerhalb der zulässigen Bandbreite (± 2,5 %) gefolgt. Daraus folgt aber auch, daß der Erhebung des erhöhten Satzes keine Billigkeitsgründe entgegengesetzt werden können, wenn der Einführer die eingeführten Waren in vorher vereinbarter Fremdwährung nach der Aufwertung bezahlen muß und (ausnahmsweise) dabei nicht in den Genuß der Aufwertung durch einen günstigeren Umtauschsatz für die Fremdwährung gelangt, sondern wegen der – gewissermaßen systemwidrigen – gegenläufigen Entwicklung dieser Fremdwährung im Rahmen des Verbundes keinen Vorteil oder gar Nachteile hat. Dieser Umstand folgt nicht aus der Veränderung des Leitkurses der einen Verbundwährung (hier der DM), hat also mit der Inzidenz dieser Währungsmaßnahme i. S. des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a VO Nr. 1608/74 nichts zu tun. Er ergibt sich vielmehr daraus, daß sich die andere Verbundwährung (hier der belgische Franc) im Rahmen der zulässigen Bandbreite (immerhin maximal 4,5 %) auf höherem Niveau als zuvor eingependelt hatte. Im praktischen Ergebnis führte das zwar zu einer Aufwertung des belgischen Franc, die der der DM ungefähr entsprach. Diese war aber eine Folge der zulässigen Schwankung des Kurses innerhalb der Bandbreite und nicht Auswirkung einer besonderen Währungsmaßnahme. Solche Aufwertungen (oder auch entsprechende Abwertungen) im Rahmen der Bandbreite können stets eintreten, ohne daß sich daraus Konsequenzen für die Festsetzung und Erhebung von Währungsausgleichsbeträgen ergäben. Es ist vielmehr Sache der betroffenen Wirtschaftskreise, sich mit den entsprechenden Mitteln gegen das Risiko dieser Wechselkursschwankungen zu sichern oder es hinzunehmen. Die VO. Nr. 1608/74 kann nicht dahin ausgelegt werden, daß einem Importeuer dieses Risiko ausnahmsweise abgenommen werden sollte, wenn die Neuorientierung (Auf- oder Abwertung) einer Verbundwährung mit einer Auf- oder Abwertung einer anderen Verbundwährung durch Veränderung ihrer Austauschrelation im Rahmen der Bandbreite einhergeht.

Unzutreffend ist die Auffassung des FG, der pauschale Charakter des Währungsausgleichssystems bewirke zahlreiche unbillige Belastungen, die zu beseitigen gerade Sinn und Zweck der VO Nr. 1608/74 sei. Da die Gemeinschaftsregelung in gerechtfertigter Weise typisiert und verallgemeinert, ist ihr zu entnehmen, daß nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers die Betroffenen die daraus entstehenden Unzuträglichkeiten im Einzelfall tragen sollten. Es besteht kein Grund für die Annahme, der Gesetzgeber habe diese systembedingten, voraussehbaren und einkalkulierbaren Unzuträglichkeiten jedenfalls dann im Billigkeitswege beseitigen wollen, wenn dafür eine Währungsmaßnahme Anlaß bot. Die VO Nr. 1608/74 wollte vielmehr lediglich Nachteile ausgleichen helfen, die sich unmittelbar aus der Auswirkung der betreffenden Währungsmaßnahme ergab. Eine andere Auffassung würde zu dem nicht zu rechtfertigenden Ergebnis führen, daß zwar sich aus der Pauschalierung der Regelung ergebende Nachteile aus den Wechselkursschwankungen der Verbundwährungen von den betroffenen Wirtschaftskreisen zu tragen sind, der Ein- oder Ausführer aber einen Ausgleich erhält, den dieser Nachteil anläßlich einer Leitkursänderung trifft.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510569

BFHE 1981, 492

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