Leitsatz (amtlich)

Die Fristbestimmung in § 71 Abs. 1 EStDV ist rechtsunwirksam.

 

Normenkette

EStG 1965 § 46 Abs. 2 Nr. 5, § 51 Abs. 1 Nr. 1c; EStDV § 71 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) reichten beim Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) am 28. Mai 1969 eine Einkommensteuererklärung für 1968 ein, mit der sie unter Berücksichtigung von Werbungskosten in Höhe von 15 880 DM Einkünfte des Ehemanns aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 14 435 DM erklärten und die Zusammenveranlagung begehrten. Das FA sah die Voraussetzungen für eine Einkommensteuerveranlagung nicht als gegeben an und teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 7. August 1969 mit.

Mit der Klage beantragten die Kläger, unter Aufhebung des Bescheids vom 7. August 1969 das FA zu verpflichten, eine Einkommensteuerveranlagung für 1968 durchzuführen. Das Veranlagungsbegehren stütze sich in erster Linie auf § 46 Abs. 2 Nr. 5 EStG 1965. Zwar sei die getrennte Veranlagung ursprünglich nicht ausdrücklich gewählt worden. In dem ersten Antrag auf Durchführung der Einkommensteuerveranlagung sei jedoch zugleich ein Antrag auf getrennte Veranlagung zu sehen, weil offensichtlich nur diese möglich gewesen sei.

Das FG wies die Klage, die es als zulässige Untätigkeitsklage im Sinne des § 46 Abs. 1 FGO behandelte, als unbegründet ab. Es war der Auffassung, daß eine Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 5 EStG 1965 nicht durchgeführt werden könne. Der Antrag auf Durchführung der getrennten Veranlagung sei verspätet (§ 71 Abs. 1 EStDV).

Mit der Revision beantragen die Kläger, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des die Veranlagung ablehnenden Bescheids des FA dieses zu verpflichten, die Einkommensteuerveranlagung 1968 durchzuführen. Sie sind der Ansicht, daß der Antrag auf getrennte Veranlagung (§ 46 Abs. 2 Nr. 5 EStG 1965) nicht verspätet sei; denn die in § 71 Abs. 1 und 2 EStDV enthaltene Ausschlußfrist sei unwirksam, weil sie rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspreche.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Aufgrund des im Klageverfahren gestellten Antrags der Kläger, sie getrennt zu veranlagen, wird das FA verpflichtet, diese Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 5 EStG 1965 nunmehr durchzuführen.

Das FG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, daß das FA dem Einspruch der Kläger gegen den Bescheid vom 7. August 1969, mit dem das FA die Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer ablehnte, nicht stattzugeben brauchte, da die Kläger zwar in ihrer Steuererklärung ausdrücklich die Zusammenveranlagung beantragt hatten, aber die Voraussetzungen für eine Veranlagung nach § 46 Abs. 1 EStG nicht vorgelegen haben. Zu Unrecht nimmt aber das FG an, daß dem erst im Klageverfahren gestellten Antrag der Kläger, die getrennte Veranlagung durchzuführen, wegen Überschreitens der in § 71 Abs. 1 EStDV gesetzten Frist nicht mehr entsprochen werden dürfe. Denn diese Fristbestimmung ist unwirksam.

Wie der BFH im Urteil vom 3. April 1973 VIII R 19/73 (BFHE 109, 130, BStBl II 1973, 484) ausgeführt hat, ist die Fristbestimmung in § 71 Abs. 2 EStDV rechtsunwirksam, weil sie nicht durch eine Ermächtigung des Gesetzgebers gedeckt und auch nicht im voraus bestimmbar ist. Die Gründe, die der BFH für die Unwirksamkeit der Fristbestimmung im § 71 Abs. 2 EStDV angeführt hat, gelten gleichermaßen auch für die Unwirksamkeit der Fristbestimmung in § 71 Abs. 1 EStDV. Nach beiden Bestimmungen ist der Antrag auf Veranlagung nach Ablauf der Steuererklärungsfrist ausgeschlossen. Für die Rechtmäßigkeit der Fristbestimmung kann nicht entscheidend sein, ob die Veranlagung beantragt wird zur Anwendung des § 34 EStG, zur Berücksichtigung von Verlusten aus anderen Einkunftsarten, zur Berücksichtigung von Verlustabzügen bzw. zur Anrechnung von Kapitalertragsteuer auf die Steuerschuld (Abs. 2) oder ob sie beantragt wird, weil eine getrennte Veranlagung begehrt wird (Abs. 1). Ebenso wie die Frist in § 71 Abs. 2 EStDV hat auch die Frist in § 71 Abs. 1 EStDV einen anderen Charakter als die allgemeine Steuererklärungsfrist, die gemäß § 56 Abs. 3 EStDV von den Verwaltungsbehörden festgesetzt wird. Die Überschreitung der Steuererklärungsfrist hat nur Ungehorsamsfolgen, während die Frist des § 71 Abs. 1 EStDV als Ausschlußfrist ausgestaltet ist und nicht verlängert werden kann. Das führte nach dem Wortlaut des § 71 Abs. 1 EStDV bei einer Überschreitung dieser Frist zum Verlust des Anspruchs auf Durchführung der Veranlagung, wenn Nachsicht nicht gewährt werden kann. Das Bestreben, das Veranlagungsverfahren zu vereinfachen (so die Ermächtigungsgrundlage des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c EStG), kann aber nicht dazu führen, durch eine Durchführungsverordnung Steuerpflichtige, die getrennte Veranlagung wünschen, bei Fristüberschreitungen vom Veranlagungsverfahren überhaupt auszuschließen.

Auch die Ausführungen im Urteil VIII R 19/73 zur Unwirksamkeit der Fristbestimmung des § 71 Abs. 2 EStDV wegen ihrer Unbestimmtheit, weil sie sich nicht auf einen bestimmten Tag festlegen läßt und deshalb nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht, gelten gleichermaßen für die Regelung in § 71 Abs. 1 EStDV.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71132

BStBl II 1975, 11

BFHE 1975, 355

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