Leitsatz (amtlich)

Ausbildung und Prüfung eines Anlernlings als Bürogehilfe stehen nicht einer kaufmännischen Lehre mit Kaufmannsgehilfenprüfung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG gleich.

 

Normenkette

StBerG § 6 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrte die Zulassung zur Prüfung als Steuerbevollmächtigte. Sie besitzt das Abschlußzeugnis einer staatlich anerkannten zweijährigen Handelsschule. Im Anschluß an den Besuch der Handelsschule war sie vom 1. Oktober 1952 bis zum 30. September 1954 als Anlernling im Büro einer Holzhandlung tätig; sie erhielt eine Ausbildung als Bürogehilfin. Nach Ablauf der Anlernzeit legte sie die Prüfung als Bürogehilfin ab und erhielt darüber ein Prüfungszeugnis. Dann war sie sieben Jahre lang in mehreren kaufmännischen Unternehmen und vier Jahre lang bei Angehörigen steuerberatender Berufe tätig. Den Antrag der Klägerin auf Zulassung zur Prüfung als Steuerbevollmächtigte lehnte der Zulassungsausschuß für Steuerbevollmächtigte bei der beklagten OFD in der Sitzung vom 13. Juni 1969 mit der Begründung ab, die Klägerin erfülle die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 des StBerG vom 16. August 1961 (BGBl I, 1301) nicht; sie habe nur eine Ausbildung als Bürogehilfin gehabt, nicht aber eine Lehre im kaufmännischen, wirtschaftsberatenden oder steuerberatenden Beruf, sie habe auch eine Gehilfenprüfung in einem der letztgenannten Berufe nicht abgelegt. Das Berufsbild eines Bürogehilfen und das eines Kaufmanns unterschieden sich wesentlich. Die von der Klägerin gegen die ablehnende Entscheidung des Zulassungsausschusses für Steuerbevollmächtigte bei der OFD erhobene Klage wies das FG ab. Es ließ die "Revision ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts" nicht zu. In der Rechtsmittelbelehrung hieß es u. a. : "Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn der Wert des Streitgegenstandes 1 000 Deutsche Mark übersteigt". Weiter war gesagt: "Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils angefochten werden."

Die Klägerin legte gegen die Vorentscheidung Revision ein. Mit Schreiben vom gleichen Tage erhob sie "wegen Nichtzulassung der Revision" Beschwerde mit dem Antrag, die Revision gegen die Vorentscheidung zuzulassen. In dem Übersendungsschreiben führte sie aus, daß im Urteil des FG "beide Möglichkeiten enthalten" seien. Sie überlasse es dem FG, "den entsprechenden Rechtsbehelf anzunehmen". Aus zeitlichen Gründen sei ihr an einer Annahme der Revision gelegen.

Die Klägerin rügt die Verletzung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG. Die Vorentscheidung werde weder dem Sinn noch dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG gerecht. Der Sinn sei, die fachliche Vorbildung zu gewährleisten; nach dem Wortlaut des Gesetzes werde nicht eine bestimmte fachliche Vorbildung gefordert. Es sei nicht richtig, die Bürogehilfinnen-Anlernzeit nicht als kaufmännische Lehrzeit anzuerkennen. Ob die fachliche Vorbildung, wie sie die Ausbildung nach dem Berufsbild der Bürogehilfin ergebe, dem Sinn des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG entspreche, könne dahingestellt bleiben; jedenfalls seien die in diesem Beruf erlernten Fähigkeiten für den Beruf als Steuerbevollmächtigter voll verwertbar und bei einem Ein-Mann-Betrieb sogar erforderlich. Nicht zutreffend sei es, daß "die Bezüge zur steuerberatenden Tätigkeit" in der Ausbildung als Bürogehilfin fehlten. Die fachliche Vorbildung der staatlich anerkannten zweijährigen Handelsschule sei auch nicht "für die Allgemeinbildung als verbraucht" anzusehen; die Vorentscheidung weiche insoweit von dem Urteil des erkennenden Senats VII 174/65 vom 9. Mai 1967 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 88 S. 485 - BFH 88, 485 -, BStBl III 1967, 438) ab. Im Unterschied zu § 6 Abs. 1 Nr. 3 StBerG im Verhältnis zu Nr. 2, a. a. O., verlange § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG nicht die Lehre mit Abschlußprüfung nach Erfüllung der Voraussetzung zu Nr. 1 a. a. O.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen sowie, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie hält die Vorentscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Klägerin hat in dem Schreiben, in dem sie die Rechtsmittel übersandte, zum Ausdruck gebracht, daß sie nur ein Rechtsmittel, das geeignete, einlegen wolle. Das geeignete Rechtsmittel war im Streitfall die Revision, die infolge der Überschreitung der Streitwertgrenze nach § 115 Abs. 1 FGO gegeben war. Ihr Rechtsmittel war daher als Revision anzusehen.

Die Revision hat keinen Erfolg.

Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, daß die Klägerin die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG nicht erfüllt.

Für die Entscheidung ist maßgebend, ob die Klägerin nach der im Zeitpunkt der Entscheidung des Zulassungsausschusses für Steuerbevollmächtigte bei der OFD geltenden Rechts- und Sachlage die Voraussetzungen aller drei Nummern des § 6 Abs. 1 StBerG, also auch diejenige der Nr. 2, a. a. O., erfüllt hat (vgl. dazu u. a. das Urteil des erkennenden Senats VII 283/64 vom 8. Februar 1966, BFH 84, 491, BStBl III 1966, 178, insbesondere letzter Absatz, auch den Beschluß VII 199/65 vom 19. März 1968, BFH 92, 139, BStBl III 1968, 671). Die Sitzung des Zulassungsausschusses fand am 13. Juni 1969 statt. Die Klägerin kann sich somit schon deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, daß das Berufsbildungsgesetz vom 14. August 1969 (BGBl I, 1112) Lehrzeit und Anlernzeit unter der Bezeichnung Ausbildungszeit zusammenfaßt, weil dieses Gesetz erst nach der Entscheidung des Zulassungsausschusses ergangen ist.

§ 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG schreibt als eine der Vorbildungsvoraussetzungen für die Zulassung zur Prüfung als Steuerbevollmächtigter vor, daß der Bewerber eine ordnungsmäßige Lehrzeit im steuerberatenden, wirtschaftsberatenden oder kaufmännischen Beruf mit Ablegung der Gehilfenprüfung abgeschlossen oder eine als geeignet anerkannte Verwaltungsakademie oder gleichwertige Lehranstalt vier Semester lang besucht hat. Die Klägerin meint, bei richtiger Auslegung dieser Vorschrift erfülle sie die genannte Voraussetzung. Das trifft jedoch nicht zu. Zu prüfen war, ob die Klägerin eine ordnungsmäßige "Lehrzeit im kaufmännischen Beruf" mit Ablegung der "Gehilfenprüfung", d. h. der Gehilfenprüfung für diesen (kaufmännischen) Beruf, abgeschlossen hat.

Wie das FG in der Vorentscheidung feststellt, war die Klägerin kein "Lehrling" im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG, sondern ein Anlernling. Diese Feststellung ist einwandfrei und für den Senat bindend. Sie entspricht auch dem Prüfungszeugnis der Industrie- und Handelskammer vom 30. September 1954, nach dem die Klägerin bei der Firma ...... in ...... "eine Ausbildung als Bürogehilfin" erhalten hat, und dem Zeugnis der Firma vom 21. Januar 1955, wonach die Klägerin vom 1. Oktober 1952 bis 30. September 1954 "als kaufm. Anlernling" ... bei ihr tätig war und wonach sie während der "Lehrzeit" mit sämtlichen vorkommenden "Kontorarbeiten" vertraut gemacht worden ist. Diese Zeugnisse hat das FG zutreffend gewürdigt. Es hat auch für den erkennenden Senat bindend festgestellt, daß die Klägerin keinen Kaufmanns-Gehilfenbrief erhalten hat. Es ist richtig, daß im Gegensatz zur Bilanzbuchhalterprüfung (dazu vgl. das Urteil des erkennenden Senats VII 170/65 vom 9. Mai 1967, BFH 88, 481, BStBl III 1967, 437) die Bürogehilfenprüfung der Kaufmannsgehilfenprüfung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG nicht gleichwertig ist und zur Erfüllung der Voraussetzung, die diese Vorschrift für die Zulassung zur Prüfung als Steuerbevollmächtigter aufstellt, nach Wortlaut und Sinn nicht ausreicht. Da die in § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG geforderte Voraussetzung für die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung von der Klägerin aus den dargelegten Gründen nicht erfüllt ist, hat das FG mit Recht auch ausgeführt, daß es im Streitfall nicht darauf ankommt, ob die Klägerin während der Anlernzeit tatsächlich eine über die Ausbildung eines Anlernlings hinausgehende Ausbildung erhalten hat; darauf stellt das Gesetz nicht ab. Gleichfalls kommt es nach dem Gesetz nicht darauf an, ob die fachliche Vorbildung auf Grund der "Ausbildung nach dem Berufsbild der Bürogehilfin", wie sie die Klägerin erhalten hat, für den Beruf als Steuerbevollmächtigter "voll verwertbar und bei einem Ein-Mann-Betrieb sogar erforderlich" ist. Das reicht nicht aus; es muß die gesetzliche Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG erfüllt sein. Auch der erfolgreiche Besuch einer Berufsschule reicht zur Erfüllung der Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG nicht aus, wie Wortlaut und Sinn der Vorschrift ergeben.

Zu Unrecht macht die Klägerin auch geltend, die Meinung des FG treffe nicht zu, daß jede der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StBerG genannten Voraussetzungen für sich zu betrachten und besonders nachzuweisen sei und daß mit dem Handelsschulbesuch (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG) nicht gleichzeitig der Nachweis der fachlichen Vorbildung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG) erbracht werden könne. Die Meinung des FG in der Vorentscheidung steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, insbesondere mit dem bezeichneten Urteil VII 283/64 vom 8. Februar 1966, an der der Senat nach nochmaliger Prüfung festhält. Dort ist auch ausgeführt, daß, wenn an der Allgemeinbildung (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG) etwas fehlt, dies nicht durch erworbene Fachbildung ausgeglichen werden kann oder umgekehrt. Wenn die Klägerin in dem maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung des Zulassungsausschusses für Steuerbevollmächtigte bei der OFD die in § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG an die fachliche Ausbildung einschließlich Prüfung gestellten Anforderungen nicht voll erfüllte, konnte diese Lücke nicht durch Anrechnung eines nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG der allgemeinen Bildung vom Gesetz zugerechneten Schulbesuchs, hier: des Handelsschulbesuchs, ausgefüllt werden. Deshalb ist das Vorbringen der Klägerin nicht zutreffend, durch den Besuch der Handelsschule mit Prüfung und die Anlernzeit als Bürogehilfin mit Prüfung habe sie eine "fachliche Vorbildung" aufzuwersen, die einer kaufmännischen Lehre mit Gehilfenprüfung mindestens gleichwertig sei. Der Fall des Besuchs einer Höheren Handelsschule bedarf im Streitfall keiner Untersuchung, da dieser Sachverhalt hier nicht gegeben ist. Das von der Klägerin angegebene erwähnte Urteil VII 174/65 vom 9. Mai 1967 steht hiermit nicht im Widerspruch. Der von der Klägerin angeführte Satz des Urteils: "Buchführungs- und Bilanzkenntnisse sind Fach kenntnisse, nicht Kenntnisse der Allgemeinbildung; sie fallen nicht unter die entsprechenden Kenntnisse im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG", entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß Fachbildung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG) und Allgemeinbildung (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG) nicht auswechselbar sind.

Da die Vorentscheidung demnach zu Recht den angefochtenen Verwaltungsakt als nicht rechtswidrig angesehen hat, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 311

BFHE 1971, 340

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge