Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Bilanzbuchhalterprüfung ist eine Fachprüfung; sie vermag nicht die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG für die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zu erfüllen.

 

Normenkette

StBerG § 6 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger hat von 1926 bis 1933 die Volksschule besucht und anschließend die kaufmännische Lehre absolviert sowie 1936 die Kaufmannsgehilfenprüfung bestanden. Nach Ablegung der Gehilfenprüfung ist er bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht im Jahre 1939 bei seiner Lehrfirma als kaufmännischer Angestellter beschäftigt gewesen. Nach dem Krieg ist er bis Februar 1952 bei einem Steuerberater und dann als Leiter der Hauptbuchhaltung in einem kaufmännischen Betrieb tätig gewesen. Seit April 1954 leitet er das Zweigbüro des Steuerberaters, bei dem er schon früher angestellt war.

Zu seiner Fortbildung hat er an Lehrgängen einer Volkshochschule für Betriebsabrechnung und Kalkulation teilgenommen. Außerdem hat er von 1963 bis 1964 einen Förderungslehrgang für Bilanzbuchhalter besucht und im Jahr 1964 die Bilanzbuchhalterprüfung abgelegt. Zur Vorbereitung auf die Steuerbevollmächtigtenprüfung hat er im Jahr 1962 an einem Lehrgang und im Jahr 1965 an einem Abendkurs für Steuerrecht teilgenommen.

Seinen Antrag auf Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung vom 28. Mai 1965 lehnte der Zulassungsausschuß für Steuerbevollmächtigte bei der Oberfinanzdirektion (OFD) mit der Begründung ab, daß er die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) nicht erfülle. Er besitze weder das Zeugnis der mittleren Reife noch habe er nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule oder einer gleichwertigen Anstalt eine Abschlußprüfung bestanden. Er habe auch nicht auf andere Weise entsprechende Kenntnisse erworben. Nicht nachgewiesen habe er, daß er sich Kenntnisse in den allgemeinbildenden Fächern, zum Beispiel Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik und Geschichte, durch die Ablegung der Bilanzbuchhalterprüfung oder sonst erworben habe. Die geforderte schulmäßige Vorbildung könne nicht durch Berufserfahrung und berufliche Bewährung nachgewiesen werden.

Das Finanzgericht (FG) hat auf die Berufung des Klägers die Entscheidung des Zulassungsausschusses für Steuerbevollmächtigte bei der OFD aufgehoben und den Zulassungsausschuß für verpflichtet erklärt, den Kläger zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zuzulassen. Das FG führt aus, daß § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG nicht eine bestimmte Schulbildung erfordere. In der Begründung zu § 8 Abs. 2 des Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten - Bundestags-Drucksache 3. Wahlperiode Nr. 128 S. 27 - sei ausgeführt: "Wer z. B. ohne diese Schulbildung später die Bilanzbuchhalterprüfung abgelegt oder eine gehobene Stellung im Berufsleben erlangt hat, beweist, daß er sich auf andere Weise der Schulbildung entsprechende Kenntnisse erworben hat, die die Zulassung zur Prüfung rechtfertigen." Dem Kläger sei mindestens der allgemeine Bildungsstand zuzuerkennen, der der Vorbildung eines Bewerbers mit zweijähriger Handelsschulausbildung und Abschlußprüfung entspricht. Die Voraussetzung des § 6 StBerG für die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung sei bei dem Kläger erfüllt.

Die OFD hat gegen die Vorentscheidung Rb. eingelegt, die nunmehr als Revision zu behandeln ist. Sie macht geltend: Das FG habe den Begriff der "entsprechenden Kenntnisse" in § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG nicht zutreffend ausgelegt. Das Gesetz verlange ein gewisses Mindestmaß an Allgemeinwissen, das der Kläger nicht aufzuweisen habe. Die in der Begründung zum StBerG vertretene Auffassung, die Ablehnung der Bilanzbuchhalterprüfung erweise den Erwerb entsprechender Kenntnisse, habe im Gesetz selbst keinen Niederschlag gefunden. Wortlaut und Sinnzusammenhang des Gesetzes ergäben das Gegenteil. Die OFD beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger macht geltend: Viele von den heute zugelassenen Steuerbevollmächtigten erfüllten die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG so, wie die OFD die Vorschrift auslegt, nicht. Eine für ihn ungünstige Entscheidung käme einer Vernichtung seiner Existenz gleich. Der Zulassungsausschuß für Steuerbevollmächtigte bei der OFD habe einen anderen Bewerber um die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung, der die Bilanzbuchhalterprüfung bestanden habe, trotz Volksschulbildung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zugelassen. Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufrechtzuerhalten; hilfsweise: sie aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuweisen; er wünscht, die Auskunft dreier Finanzämter (Fä) und einer Betriebsprüfungsstelle über ihn einzuholen. Gemäß seinem Antrag ist mündlich verhandelt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Streitig ist allein, ob der Kläger auch die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG über die Vorbildung für die Steuerbevollmächtigtenprüfung erfüllt. Danach ist ein Bewerber zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zuzulassen, wenn er das Zeugnis der mittleren Reife besitzt oder nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule oder einer gleichwertigen Anstalt eine Abschlußprüfung bestanden oder "sich auf andere Weise entsprechende Kenntnisse erworben hat". Das FG sieht diese Voraussetzung bei dem Kläger als erfüllt an auf Grund des guten Zeugnisses des Klägers in der Berufsschule, seiner Teilnahme an Kursen und Lehrgängen in seinem Fortbildungsstreben, der Ablegung der Bilanzbuchhalterprüfung und seiner Tätigkeit als langjähriger Mitarbeiter eines Steuerberaters und Leiter von dessen Zweigstelle. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Bei dem Begriff: "entsprechende Kenntnisse" handelt es sich um einen "unbestimmten Rechtsbegriff". Seine Auslegung durch die Vorinstanzen ist von dem Bundesfinanzhof voll nachprüfbar. Es ist nur eine bestimmte Auslegung des Begriffs richtig.

Auszulegen ist das Gesetz selbst, der im Gesetz objektivierte und zum Ausdruck gekommene Wille des sogenannten "Gesetzgebers" (vgl. u. a. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 1, 299, 312; 11, 126, 130/131). Erlaubte und sich gegenseitig ergänzende Auslegungsmethoden sind die Auslegung nach dem Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), aus ihrem Sinn und Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (Teleologische Auslegung), auch aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung); vgl. BVerfGE 11, 126, 130; auch Mattern-Messmer, Reichsabgabenordnung, Textziffern 2603/2604. Die Vorarbeiten eines Gesetzes sind für seine Auslegung allerdings mit Zurückhaltung, in der Regel nur unterstützend zu verwerten (vgl. BVerfGE 1, 299, 312; 13, 261, 268 unter B I 2). Der Wille des "Gesetzgebers" kann bei der Gesetzesauslegung nur insoweit berücksichtigt werden, als er im Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (BVerfGE 11, 126, 130; 13, 261, 268 unter B I 2).

Von den unter 2 angegebenen Gesichtspunkten aus hat der erkennende Senat im Urteil VII 283/64 vom 8. Februar 1966 (BFH 84, 491, 494/5, BStBl III 1966, 178) dargelegt, daß "entsprechende Kenntnisse" im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG bedeutet: solche Kenntnisse, die dem Zeugnis der mittleren Reife oder der Abschlußprüfung der in dieser Vorschrift genannten Anstalten, insbesondere also nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule, entsprechen. Der Senat hat weiter dargelegt, daß § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG die Anforderungen an die Allgemeinbildung des Bewerbers um die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung, § 6 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 StBerG die fachlichen Vorbildungserfordernisse regeln und daß die beiden Arten von Erfordernissen nicht gleichwertig, nicht vergleichbar und nicht auswechselbar sind. Beide Erfordernisse, die Allgemeinbildung und die fachlichen Voraussetzungen, müssen erfüllt sein; mangelnde Allgemeinbildung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG kann nicht durch gute Erfüllung der fachlichen Voraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2, 3 StBerG ersetzt werden. Nichts anderes ist auch im § 6 Abs. 1 StBerG selbst zum Ausdruck gekommen. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.

Im Streitfall ist für die Entscheidung erheblich, welche Allgemeinbildung derjenigen entspricht, die § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG fordert, mindestens also derjenigen nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule mit Abschlußzeugnis. Das FG hat das Vorliegen solcher "entsprechenden Kenntnisse" bei dem Kläger bejaht. Es hat das Gesamtbild gewertet. Seine Ausführungen sind dennoch nicht frei von Rechtsirrtum. Es trifft zwar zu, daß die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG genannten beiden Möglichkeiten der mittleren Reife und des Abschlußzeugnisses nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule sich nicht in ihren Anforderungen decken, daß auch insoweit nicht eine ganz "bestimmte Schulbildung" verlangt wird. Aber das Gesetz erfordert doch ein bestimmtes Mindestmaß an Allgemeinbildung, nämlich: die in den zweiklassigen Handelsschulen in der Abschlußprüfung verlangt wird. Hat der Bewerber sich diese Kenntnisse angeeignet und kann er das in geeigneter Weise nachweisen (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Senats VII 255/64 vom 8. Februar 1966, BFH 84, 496, BStBl III 1966, 180), so ist es gleichgültig, ob er sich diese Kenntnisse ohne einen Schulbesuch im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG angeeignet hat. Der Bewerber muß sich aber dieses Mindestmaß an allgemeinbildenden Kenntnissen verschafft haben. Buchführungs- und Bilanzkenntnisse sind Fachkenntnisse, nicht Kenntnisse der Allgemeinbildung; sie fallen nicht unter die "entsprechenden Kenntnisse" im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG. In Lehrgängen und Kursen zur Vorbereitung auf die Bilanzbuchhalterprüfung und grundsätzlich auch auf die Steuerbevollmächtigtenprüfung werden gleichfalls fachliche Kenntnisse erworben. Die Bilanzbuchhalterprüfung selbst hat den Zweck, erfahrenen Buchhaltern zu bestätigen, daß sie das betriebliche Rechnungswesen einschließlich der Bilanzierung beherrschen und die daraus zu gewinnenden Erkenntnisse auszuwerten verstehen (vgl. Klöcker- Mittelsteiner-Gehre, Handbuch der Steuerberatung, Anmerkung 2 b zu § 6 StBerG, unter Berufung auf Reinheimer, Die Prüfung der Bilanzbuchhalter, Friedrich Kiehl Verlag GmbH, insbesondere S. VII, 165, 167; auch Ott, Deutsches Steuerrecht 1965, 733 unter III 2 b); die Bilanzbuchhalterprüfung ist mithin eine fachliche Prüfung, nicht eine solche über Allgemeinbildung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG; sie vermag dessen Voraussetzung für die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung nicht zu erfüllen. Wenn sich das FG und ein Teil des Schrifttums demgegenüber auf die erwähnte Gesetzesbegründung berufen, wonach derjenige, der die Bilanzbuchhalterprüfung bestanden hat oder der eine gehobene Stellung im Berufsleben erlangt hat, den Erwerb der "entsprechenden Kenntnisse" im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG erwiesen habe, so vermag der Senat dieser Ansicht nicht zu folgen, die keinen Ausdruck im Gesetz selbst gefunden hat (vgl. dazu auch das Urteil I 249/64 vom 29. November 1966, BFH 87, 425, BStBl III 1967, 186). Auch die langjährige Tätigkeit des Klägers bei einem Steuerberater betrifft die fachliche Seite. Der Senat weist erneut, wie schon in dem erwähnten Urteil in BFH 84, 491, 495, darauf hin, daß eine Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG, die unverhältnismäßig geringe Anforderungen an die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung stellte, auch dem im Sinn des StBerG gelegenen Gedanken einer Ermöglichung der Zusammenführung der beiden steuerberatenden Berufe widersprechen würde. Auch der erfolgreiche Besuch der Berufsschule vermag dem Kläger nicht zum Obsiegen zu verhelfen. Die Benennung von Fä und einer Betriebsprüfungsstelle als Auskunftspersonen über den Kläger geht fehl; denn diese Stellen vermögen unter Umständen über die fachliche Befähigung des Klägers etwas auszusagen, nicht aber über die Allgemeinbildung des Klägers im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG. Wenn er meint, daß viele von den heute zugelassenen Steuerbevollmächtigten die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG nicht erfüllten, so übersieht er, daß das StBerG mit dem 1. November 1961, dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens, die Voraussetzungen für die Zulassung zur (Steuerbevollmächtigten-) Prüfung verschärft hat. Ob andere Bewerber um die Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung mit Volksschulbildung und Bilanzbuchhalterprüfung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zugelassen wurden, ist für den Streitfall unerheblich und bedarf daher keiner Prüfung; denn selbst, wenn ein anderer Bewerber oder einige zu Unrecht zugelassen sein sollten, würde dieser Umstand dem Kläger kein Recht geben, gleichfalls zu Unrecht zur Prüfung zugelassen zu werden. Wenn sich der in der mündlichen Verhandlung im Beistand des Klägers mit erschienene Steuerberater noch darauf bezogen hat, daß ihm im Juli 1963 ein leitender Beamter der OFD erklärt habe: wenn der Kläger die Bilanzbuchhalterprüfung bestehe, werde er zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zugelassen werden, so führt dieses Vorbringen schon deshalb nicht zum Erfolg, weil es neues Tatsachenvorbringen enthält, das in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann. Die Nichtzulassung zur Prüfung wegen Nichterfüllung der Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG mag für den Kläger hart sein; das Gericht ist aber nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes an Gesetz und Recht gebunden. Die Entscheidung des Senats VII 281/63 vom 16. Juni 1964 (HFR 1965, 81/82 Nr. 70) kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen; dort war ein ganz besonders liegender Ausnahmefall gegeben, in dem sich der Beschwerdeführer große Kenntnisse in bezug auf Allgemeinbildung u. a. auch hinsichtlich einer Fremdsprache, verschafft hatte. Es bleibt dem Kläger aber unbenommen, z. B. bei Lehrkräften einer Realschule oder einer Mittelschule oder auch einer Handelsschule längere Zeit hindurch Privatunterricht zu nehmen, sich dadurch die "entsprechenden Kenntnisse" in Deutsch, Englisch und Geschichte zu verschaffen und sich bescheinigen zu lassen, um auf diese Weise die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StBerG zu erfüllen.

Sonach konnte die Vorentscheidung nicht aufrechterhalten bleiben.

 

Fundstellen

BStBl III 1967, 438

BFHE 1967, 485

BFHE 88, 485

StRK, StBG:6 R 20

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