Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

über die durch § 36 a GewStG 1962 getroffene besondere Regelung i. S. des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG hinaus sollten dem Steuerpflichtigen keine weitergehenden Rechte eingeräumt werden, als sie ihm gegenüber einem noch anfechtbaren Bescheid zugestanden hätten.

Gesetzesmaterialien können nicht als objektivierter gesetzgeberischer Wille angesehen werden, wenn sie weder im Wortlaut noch im systematischen Zusammenhang der Vorschrift einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden haben.

GewStG 1962 §§ 36 a, 35 b; AO §§ 218 Abs. 4, 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2; AO a. F. § 234; StAnpG § 1

 

Normenkette

GewStG §§ 35b, 36a; AO § 218 Abs. 4, § 222 Abs. 1 Nr. 1, § 222/1/2, §§ 234, 232; StAnpG § 1 Abs. 2; FGO § 146 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit geht um die Frage, ob vor dem 25. Januar 1962 rechtskräftig gewordene einheitliche Gewerbesteuermeßbescheide für die Erhebungszeiträume 1954 bis 1957, die noch Hinzurechnungen nach der für nichtig erklärten Vorschrift des § 8 Ziff. 6 GewStG 1957 enthielten, gemäß § 36 a Abs. 1 GewStG 1962 zu berichtigen sind, wenn die Bescheide nach dem 24. Januar 1962 gemäß § 218 Abs. 4 AO zugunsten der Revisionsklägerin (Steuerpflichtige - Stpfl. -) berichtigt worden waren. Der Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat diesen Antrag abgelehnt.

Die dagegen eingelegte Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in "Entscheidungen der Finanzgerichte" - EFG - 1964 S. 499 veröffentlicht ist, begründete seine Entscheidung wie folgt: Nach § 36 a Abs. 1 GewStG 1962 seien Gewerbesteuermeßbescheide für 1949 bis 1961, die vor dem 3. August 1963 erlassen und nach dem 24. Januar 1962 rechtskräftig geworden seien, auf Antrag des Steuerpflichtigen zu berichtigen, soweit sie auf den Vorschriften des § 8 Ziff. 5 und 6 GewStG a. F. beruhten. Am 24. Januar 1962 hätten für die Erhebungszeiträume 1954 bis 1957 die gemäß § 222 AO berichtigten Gewerbesteuermeßbescheide vom 27. Oktober 1961 vorgelegen, die an dem genannten Stichtag rechtskräftig waren. Am 6. April 1962 gemäß § 218 Abs. 4 AO durchgeführte Berichtigungen hinsichtlich des Gewerbekapitals hätten zu einer Herabsetzung der Steuermeßbeträge geführt. Dagegen habe die Stpfl. alle Einwendungen wie gegen die ursprünglichen Bescheide vorbringen können. Nur Hinsichtlich der Höhe der angefochtenen Steuer sei die Einschränkung des § 234 AO a. F. zu beachten gewesen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - VI 97/56 U vom 21. Februar 1958, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 66 S. 427 - BFH 66, 427 -, BStBl III 1958, 167). Die Grundsätze des BFH-Urteils V 244/61 S vom 22. November 1962 (BFH 76, 87, BStBl III 1963, 31), das die umstrittene Frage für den Fall des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO entschieden habe, seien entsprechend auf Berichtigungen nach § 218 Abs. 4 AO und § 35 b GewStG anzuwenden (BFH-Urteil I 392/61 U vom 17. März 1964, BFH 79, 392, BStBl III 1964, 373). Auch über § 36 a GewStG 1962 könne das Ziel, die Nichtigkeit des § 8 Ziff. 6 GewStG a. F. durch Streichung der entsprechenden Hinzurechnungen zu berücksichtigen, nicht erreicht werden. Dem stehe entgegen, daß es sich nicht um die erstmalige Berichtigung eines Gewerbesteuermeßbescheids nach § 36 a Abs. 1 GewStG 1962, sondern um die erneute Berichtigung eines bereits berichtigten Bescheides handele, für den die beschränkte Anfechtungsmöglichkeit nach § 234 AO a. F. zu beachten sei. Die übergangsvorschrift des § 36 a Abs. 1 GewStG 1962 habe nicht den Sinn, die Vorschriften über die Berichtigung von Gewerbesteuermeßbescheiden, z. B. die §§ 222 Abs. 1 Ziff. 1, 218 Abs. 4 AO, § 35 b GewStG, auszuhöhlen. Sie solle den Steuerpflichtigen helfen, die aus Unkenntnis der Nichtigkeitserklärung des § 8 Ziff. 5 und 6 GewStG a. F. durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Rechtsmittel gegen nach dem 24. Januar 1962 rechtskräftig gewordene Gewerbesteuermeßbescheide unterlassen und dadurch Nachteile erlitten hätten. Ein solcher Nachteil sei aber der Stpfl. nicht entstanden. Sie habe im Gegenteil in voller Kenntnis der Nichtigkeitserklärung des § 8 Ziff. 6 GewStG a. F. gegen die Gewerbesteuermeßbescheide vom 6. April 1962 Einspruch eingelegt, diesen dann wieder zurückgenommen und anschließend über § 36 a Abs. 1 GewStG 1962 ihr Ziel erreichen wollen. Vor dem 25. Januar 1962 seien aber die einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheide vom 27. Oktober 1961 bereits rechtskräftig gewesen. Der unter § 8 Ziff. 5 und 6 GewStG a. F. insoweit eingetretene endgültige Zustand sei auch nicht durch die Berichtigungsbescheide vom 6. April 1962 durchbrochen worden.

Die Stpfl. wendet sich mit der Rb. (Revision) gegen die Ablehnung der Berichtigung der Gewerbesteuermeßbescheide. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Stpfl. hilfsweise, durch Vernehmung der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der zuständigen parlamentarischen Ausschüsse darüber Beweis zu erheben, welche Motive gegenüber abweichenden vorangegangenen Beschlüssen zu der endgültigen Fassung der §§ 36 und 36 a GewStG 1962 geführt hätten. Daraus könnten erst Sinn und Zweck des Gesetzes richtig erkannt werden.

Die Stpfl. greift auch den nach ihrer Auffassung vom FG zu hoch festgesetzten Streitwert an.

Nach der Entstehungsgeschichte des § 36 a GewStG 1962 müsse man zu folgendem Ergebnis gelangen. Das FA könne nur zwischen dem Unterlassen einer Berichtigung und deren Durchführung unter Weglassen der für verfassungswidrig erklärten Besteuerungsgrundlagen wählen. Wenn ein verfassungswidriger Gewerbesteuermeßbescheid vor dem 3. August 1963 erteilt, aber nach dem 24. Januar 1962 in vollem Umfang rechtskräftig geworden sei, so müsse er in jedem Fall auf Antrag des Steuerpflichtigen berichtigt werden. Die Voraussetzungen des § 36 a Abs. 1 GewStG 1962 seien erfüllt. Der Stpfl. könne kein Vorwurf daraus gemacht werden, welchen Weg sie zur Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche wähle.

Hinsichtlich der Bemessung des Streitwerts müsse berücksichtigt werden, daß Teilsteuerbeträge bereits wegen des Einwands der Verfassungswidrigkeit nicht erhoben worden seien. Insoweit sei der Streitwert von 83.640 DM auf 69.840 DM herabzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist in der Hauptsache unbegründet. Das BVerfG hat durch Urteil 1 BvR 845/58 vom 24. Januar 1962 (BStBl I 1962, 500) die Vorschrift de § 8 Ziff. 6 GewStG a. F. zum Teil für verfassungswidrig erklärt. Von dieser Nichtigerklärung bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf § 8 Ziff. 6 GewStG a. F. beruhen, insoweit unberührt, als nicht besondere gesetzliche Regelungen getroffen worden sind (§ 79 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht). Eine besondere Regelung enthält § 36 a Abs. 1 GewStG 1962. Danach sind Gewerbesteuermeßbescheide für die Erhebungszeiträume 1949 bis 1961, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur änderung des Gewerbesteuergesetzes vom 30. Juli 1963 (BGBl I S. 563) erlassen und nach dem 24. Januar 1962 rechtskräftig geworden sind und die auf den Vorschriften des § 8 Ziff. 5 und 6 GewStG a. F. beruhen, auf Antrag des Steuerpflichtigen zu berichtigen. Durch diese Vorschrift sollte für eine übergangszeit die Bestandskraft bestimmter Bescheide durchbrochen und der Steuerpflichtige hinsichtlich der Einwendungen gegen § 8 Ziff. 5 und 6 GewStG a. F. so gestellt werden, als wäre der Bescheid noch anfechtbar (vgl. BFH-Urteil I 204/63 U vom 19. Oktober 1965, BFH 83, 471, BStBl III 1965, 669). Dagegen sollten dem Stpfl. nicht weitergehende Rechte eingeräumt werden, als sie ihm zugestanden hätten, wenn er den noch anfechtbaren Bescheid angegriffen hätte.

Im Streitfall ist in dem nach § 36 a Abs. 1 GewStG 1962 bedeutsamen Zeitraum ein Berichtigungsbescheid gemäß § 218 Abs. 4 AO / § 35 b GewStG ergangen, weil der Einheitswert des gewerblichen Betriebs der Stpfl., der die bindende Grundlage des Gewerbekapitals darstellt (vgl. § 12 Abs. 1 GewStG), herabgesetzt worden war. Dieser zugunsten der Stpfl. erlassene Bescheid hätte nicht mit der Begründung angefochten werden können, daß die Hinzurechnung nach § 8 Ziff. 6 GewStG a. F. verfassungswidrig sei. Die Vorschrift des § 35 b GewStG führt nicht zur Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalls (BFH-Urteil I 175/64 S vom 20. Januar 1965, BFH 81, 635, BStBl III 1965, 228). Der Berichtigungsbescheid beschränkte sich im Streitfall auf einen Punkt, durch den die im ursprünglichen Gewerbesteuermeßbescheid zugrunde gelegte Hinzurechnung nach § 8 Ziff. 6 GewStG a. F. nicht berührt wird. Da die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift mithin im Wege der Anfechtung des Berichtigungsbescheids nicht zum Tragen gekommen wäre, kann ihr auch über einen Antrag nach § 36 a GewStG 1962 bei sinngemäßer Auslegung dieser Vorschrift nicht Rechnung getragen werden. Auch dem Hilfsantrag der Stpfl. kann nicht entsprochen werden. Der erkennende Senat hat bei Auslegung der strittigen Vorschriften den objektivierten Willen des Gesetzgebers zu ermitteln gesucht und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Das durch den Hilfsantrag erstrebte Zurückgreifen auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Selbst wenn ein dem Revisionsbegehren der Stpfl. entgegenkommender Gesetzesvorschlag vorhanden gewesen sein sollte, könnte er nicht zur Grundlage der Entscheidung des Senats gemacht werden, da er weder im Wortlaut noch im systematischen Zusammenhang der endgültigen Vorschriften entsprechenden Ausdruck gefunden hat. Die Entstehungsgeschichte eines Gesetzes kann nur insoweit als bedeutsam angesehen werden, als sie die Richtigkeit einer nach den übrigen Auslegungsmethoden "ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können" (vgl. Beschlüsse des BVerfG 1 BvL 10/55 vom 15. Dezember 1959, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 10 S. 234 (244); 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, BVerfGE Bd. 11 S. 126 (131)). Dieser Fall liegt hier nicht vor.

Der Antrag der Stpfl. hinsichtlich der Streitwertfestsetzung ist begründet (§ 146 Abs. 2 FGO). Das FG ist bei seiner Berechnung von Zurechnungsbeträgen der ursprünglichen Gewerbesteuermeßbescheide 1954 bis 1957 ausgegangen. Da diese bereits im Meßbetragsverfahren durch das FA - gleichgültig, aus welchen Gründen - herabgesetzt worden waren und das FA gegen die Berechnung der Stpfl. keine Einwendungen erhoben hat, ist der Streitwert für die Revision auf 69.840 DM festzusetzen und für das Verfahren vor dem FG auf den gleichen Betrag herabzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412374

BStBl III 1967, 186

BFHE 1967, 425

BFHE 87, 425

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