Leitsatz (amtlich)

Scheidet ein Arbeitnehmer unfreiwillig aus dem Dienst des Arbeitgebers aus, so ist die Außerordentlichkeit der ihm gewährten Entschädigung und damit die Anwendung der §§ 24 Nr. 1 a, 34 Abs. 1 EStG nicht davon abhängig, daß die Steuer nach der Einkommensteuertabelle erheblich höher ist, als sie sich bei einer fiktiven Berechnung für die Einkünfte der Zeit ergeben würde, für die die Entschädigung gezahlt wurde.

 

Normenkette

EStG § 3 Nr. 9, § 24 Nr. 1a, § 34 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit Februar 1967 Angestellter der X-GmbH. Anfang 1970 kam es zu Unstimmigkeiten mit den Gesellschaftern des Unternehmens. Der Kläger wurde fristlos entlassen. Die arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung führte zu einem schiedsrichterlichen Vergleich. Der Kläger sollte als "Abfindung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes" 60 000 DM erhalten. Von diesem Betrag wurden im Streitjahr 30 000 DM und 1971 26 726,40 DM ausgezahlt. Die Differenz von 3 273,60 DM wurde wegen bereits gezahlter Arbeitslosenunterstützung mit dem Arbeitsamt verrechnet. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) behandelte die Zahlung der 30 000 DM in 1970 nicht als steuerfreie Abfindung i. S. von § 3 Nr. 9 EStG, weil der gesamte Betrag von 60 000 DM 12 Monatsverdienste des Klägers übersteige. Der Kläger stellte dagegen folgende Berechnung auf:

Bruttogehalt März 1970 3 958 DM

13 Monatsgehälter 51 454,- DM

30 % eines Bruttogehalts als Feriengeld 1 187,40 DM

Sonderzahlungen

a) zusätzliches Monatsgehalt 3 000,- DM

b) Sonderzahlungen für geleistete Mehrarbeit 2 500,- DM

c) Weihnachtsgratifikation 1 050,- DM

d) Unfall- und Invaliditätsversicherung,

abgeschlossen von der Firma 640,- DM

e) 1 % Gewinnbeteiligung bei der GmbH

(Höhe des Gewinns 1970 sei ihm noch nicht bekannt) -,- DM

59 831,40 DM.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG führte in seinem Urteil im wesentlichen aus: Für die Beurteilung der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 9 EStG sei die Gesamtabfindung maßgebend und nicht nur der in 1970 zugeflossene Teilbetrag. Entsprechend habe der Kläger 60 000 DM als Abfindung erhalten. Die Verrechnung mit der Forderung des Arbeitsamts in Höhe von 3 273,60 DM sei darauf ohne Einfluß. Der Abfindung von 60 000 DM ständen zwölf Monatsverdienste von insgesamt nur 53 581,40 DM gegenüber. Bei der Berechnung des Monatsverdienstes seien die Geld- und Sachbezüge maßgebend, die dem Kläger in dem Monat zugestanden hätten, in dem das Arbeitsverhältnis geendet habe (§ 10 Abs. 3 des Kündigungsschutzgesetzes - KSchG -). Das seien nach der herrschenden Meinung die laufenden Bezüge sowie die anteiligen Bezüge, soweit sie regelmäßig wiederkehrten (Hueck, Kündigungsschutzgesetz, 8. Aufl., § 10 Anm. 4). Darunter seien auch freiwillige Leistungen des Arbeitgebers zu verstehen. Nach dem hiernach entscheidenden Bruttogehaltsauszug für März 1970 sei von laufenden monatlichen Bezügen von 3 938 DM auszugehen; das ergebe einen Jahresbetrag von 47 256 DM. Anteilig könnten daneben noch das 13. Monatsgehalt, das tariflich zugesicherte Feriengeld und die Gewinnbeteiligung berücksichtigt werden, wobei letztere nur mit 1 200 DM anzusetzen sei.

Die weitergehenden, vom Kläger berücksichtigten Sonderzahlungen stellten keine regelmäßigen, wiederkehrenden Bezüge dar. Auch der ermäßigte Steuertarif des § 34 Abs. 1 EStG könne nicht angewandt werden, denn es fehle an der Außerordentlichkeit der Einkünfte. Die Besteuerung der Abfindung nach dem Regelsteuersatz habe sich nämlich nicht erheblich ungünstiger ausgewirkt, als es bei einer Besteuerung der Einkünfte, für die die Entschädigung gewährt worden sei, der Fall sein würde.

Mit seiner Revision rügt der Kläger, daß das FG nicht aufgeklärt habe, wie hoch der Jahresgewinn der Firma in 1970 gewesen sei. Der Schriftform der Vereinbarung sei dadurch genügt, daß er die Zusage in einem Gesellschafterprotokoll erhalten habe. Dieses sei von ihm selbst unterschrieben worden. Dem Vergleich habe er nur zugestimmt, weil er fast neun Monate arbeitslos gewesen sei und die wirtschaftliche Existenz seiner Familie bedroht gewesen wäre. Der Vergleich sei unter Beteiligung von vier Rechtsanwälten, einem Richter, Vertretern der GmbH und der Pensionskasse geschlossen worden. Dabei sei darüber gesprochen worden, daß er bis zum Tag des Vergleichsabschlusses bereits neun Gehälter verloren habe. Nur weil man aus Gründen der Steuerfreiheit nicht über das zu erwartende Jahreseinkommen habe hinausgehen können, sei der Betrag von 60 000 DM nicht überschritten worden. Von der Abfindung habe er 25 000 DM Darlehnsschulden abtragen müssen. Wenn er noch 20 000 DM Steuern zahlen solle, so blieben ihm für den Aufbau einer neuen Existenz nur 15 000 DM übrig.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils den angefochtenen Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, daß der in 1970 gezahlte Teilbetrag der Gesamtabfindung von 60 000 DM steuerfrei nach § 3 Nr. 9 EStG belassen werde.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweitigen Festsetzung der Einkommensteuer für 1970.

Nach § 3 Nr. 9 EStG 1971, der im Streitfall maßgebend ist, weil die 60 000 DM auf Grund einer Kündigung gezahlt wurden, die nach dem 31. August 1969 zugegangen ist (§ 52 Abs. 3 EStG 1971), wäre die dem Kläger gewährte Abfindung wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen steuerfrei, wenn sie 12 Monatsverdienste nicht übersteigen würde. Davon ist das FG zu Recht ausgegangen; denn der Kläger war 1970 noch keine 50 Jahre alt und auch nicht 15 Jahre bei der GmbH tätig (§ 3 Nr. 9 EStG 1971, § 10 Abs. 2 KSchG vom 25. August 1969, BGBl I 1969, 1317). Nach § 10 Abs. 3 KSchG gilt als Monatsverdienst, was dem Kläger bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat zugestanden hätte, in dem das Arbeitsverhältnis endete.

Es entspricht der in der Literatur herrschenden Meinung, daß bei der Ermittlung des zulässigen Höchstbetrags der Abfindung nach § 10 Abs. 1 KSchG Beträge, die bei besonderer Gelegenheit gezahlt werden, wie Jubiläumsgeschenke, Urlaubszuschüsse, Entgelt für unregelmäßige Überstunden und das Weihnachtsgeld nicht mitzurechnen sind (Hueck, Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz 1974, § 10 Anm. 4 bis 6). Insoweit ist das FG-Urteil rechtsfehlerfrei. Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß im übrigen selbst bei Anrechenbarkeit der Versicherungsprämien (640 DM) und des Weihnachtsgeldes (1 050 DM) die Abfindung von 60 000 DM den Betrag von zwölf Monatsverdiensten übersteigen würde. Es hat daher zutreffend die vom Kläger beantragte Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 9 EStG abgelehnt.

Die 60 000 DM sind aber als Entschädigung i. S. von § 24 Nr. 1 a EStG anzusehen und mit dem ermäßigten Satz des § 34 Abs. 1 EStG zu besteuern.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten wird, kann von einer Entschädigung i. S. von § 24 Nr. 1 a EStG nur dann ausgegangen werden, wenn der Steuerpflichtige unfreiwillig, d. h. gegen seinen Willen einen Schaden erlitten hat (Urteil des BFH vom 20. November 1970 VI R 183/68, BFHE 101, 237, BStBl II 1971, 263). Bei fristloser Kündigung scheidet der Arbeitnehmer unfreiwillig aus den Diensten seines Arbeitgebers aus, und zwar unabhängig von einer etwaigen späteren vertraglichen Regelung nach der faktischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BFH-Urteil vom 9. August 1974 VI R 142/72, BFHE 113, 239, BStBl II 1974, 714). Ein derartiger Sachverhalt ist beim Kläger gegeben. Nach dem Inhalt des schiedsrichterlichen Vergleichs wurden mit den 60 000 DM auch keine fortbestehenden Gehaltsansprüche des Klägers abgegolten, sondern eine Entschädigung für die Entlassung des Klägers aus dem Dienstverhältnis gezahlt.

Der Senat hat die Fortzahlung von Bezügen bei vorzeitiger Beendigung eines Arbeitsverhältnisses als Indiz für das freiwillige Ausscheiden des Arbeitnehmers gewertet, wenn der Arbeitgeber wohl auf seinen Dienstleistungsanspruch verzichtet hatte, der Arbeitnehmer dagegen das erhielt, was ihm bei normalem Vertragsablauf zugestanden hätte (BFH-Urteil VI R 183/68). Der Senat hat es aber abgelehnt, eine Vorteilsausgleichung durchzuführen, wenn eine unfreiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorlag (BFH-Urteil VI R 142/72). Entsprechend kann für die Feststellung der Außerordentlichkeit der Einkünfte im Fall des Klägers nicht von fiktiven Gehältern und ihren steuerlichen Auswirkungen ausgegangen werden. Eine derartige Berechnung wird in § 34 Abs. 1 EStG nicht vorgeschrieben. Soweit sie der RFH für erforderlich gehalten hat (Urteil vom 10. November 1938 IV 168/38, RStBl 1939, 170), erübrigt sich eine Stellungnahme zu dieser Entscheidung schon deshalb, weil der erkennende Senat von einem anderen Begriff der Entschädigung nach § 24 Nr. 1 a EStG ausgeht, als der RFH.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, kann die Begünstigung des § 34 Abs. 1 EStG unter Umständen auch dann gewährt werden, wenn der Zufluß in zwei Veranlagungszeiträumen erfolgt ist (BFH-Urteil vom 4. April 1968 IV 210/61, BFHE 92, 15, BStBl II 1968, 411 [412]).

Der BFH hat bereits in der Entscheidung vom 17. Dezember 1959 IV 223/58 S (BFHE 70, 195, BStBl III 1960, 72) auf den Billigkeitsgehalt des § 34 EStG hingewiesen. Es war daher auch zu berücksichtigen, daß der Kläger wegen eines Betrags von rd. 6 000 DM 60 000 DM versteuern muß, während bei einer Abfindung wegen der Entlassung des Klägers aus dem Dienstverhältnis von 53 841,40 DM der ganze Betrag nach § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei gewesen wäre.

Das FG-Urteil war daher aufzuheben und die Einkommensteuer des Klägers für das Streitjahr neu zu berechnen.

 

Fundstellen

BStBl II 1975, 763

BFHE 1976, 115

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