Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Ablehnung der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht stellt nicht in jedem Falle einen Mangel rechtlichen Gehörs dar. Die Ansetzung eines Termins zur Erörterung vor dem beauftragten Richter nach § 271 AO steht einer mündlichen Verhandlung im Sinne von § 272 AO nicht gleich.

Rentenzahlungen, die ein Gewerbetreibender als Ausgleich für den durch einen Unfall verminderten gewerblichen Gewinn erhält, stellen gewerbliche Einkünfte dar und unterliegen auch der Gewerbesteuer.

GG Art. 103 Abs. 1; AO §§ 271, 272; GewStG § 7; EStG §§ 15, 24; Gesetz Nr. 47 der Alliierten Hohen

 

Normenkette

GewStG § 7; EStG §§ 15, 24

 

Tatbestand

Streitig ist in formeller Hinsicht der Mangel rechtlichen Gehörs wegen Fehlens der vom Beschwerdeführer (Bf.) beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht, in materieller Hinsicht die Heranziehung einer Rente zur Gewerbesteuer.

Der Bf., der seit dem Jahre 1925 eine Metzgerei betreibt, bezieht auf Grund eines im Jahre 1947 von der Besatzungsmacht verursachten Verkehrsunfalles, bei dem er eine Kopfverletzung und eine Gehirnschädigung mit einer Leistungsminderung von 80 % erlitt, eine Rente. Diese beruht auf dem Gesetz Nr. 47 der Alliierten Hohen Kommission über Entschädigung für Besatzungsschäden (Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland Nr. 47 vom 14. Februar 1951 S. 767). Sie wurde für die Jahre 1947 bis 1950 nach dem Unterschied zwischen dem ohne Unfallfolgen wahrscheinlich erzielbaren gewerblichen Gewinn und dem tatsächlichen gewerblichen Gewinn berechnet. Seit dem Jahre 1951 ist eine feste Rente von 7.500 DM jährlich errechnet und anerkannt worden, da nach dem Gutachten des Diplom-Kaufmanns X. "der unfallbedingte Gewinnentgang" auf diesen Betrag zu schätzen sei. Im Jahre 1951 wurden 4.593,50 DM an den Bf. bezahlt.

Das Finanzamt sah diesen Betrag als gewerblichen Gewinn im Sinne des § 24 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an und zog ihn neben dem gewerblichen Gewinn aus der Metzgerei von 649 DM zur Gewerbesteuer heran. Steuerfreiheit nach § 3 Ziff. 5 EStG komme nicht in Frage, da es sich nicht um Leistungen auf Grund des Besatzungspersonenschädengesetzes vom 17. Juli 1922 / 12. April 1927 handle.

Der Bf. machte demgegenüber geltend, daß es sich um einen Schadenersatz handle, bei dem der zuvor erzielte Gewinn lediglich eine Berechnungsgrundlage bilde, während die Rente außerdem noch Mehraufwendungen für Hilfsbedürftigkeit und Schmerzensgeld in sich schließe. Gemäß den Erläuterungen des Bundesministers der Finanzen zur Durchführungsverordnung Nr. 1 zum Gesetz Nr. 47, Ziff. 90 (Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen 1954, S. 78 ff., S. 93) seien bei der Berechnung der Rente die Einkommensteuer und Lohnsteuer sowie die damit zusammenhängenden Steuern und Abgaben zu berücksichtigen; aus der Nichterwähnung der Gewerbesteuer ergebe sich, daß die Schadensrente ihr nicht unterliege.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, die Rente sei Ersatz für entgangene Einnahmen und daher zu den gewerblichen Einkünften zu rechnen. Sie sei im Rahmen des Gewerbebetriebes angefallen, den der Bf. nach dem Unfall im unveränderten Umfange weitergeführt habe. Die Rente solle den verminderten Ertrag ausgleichen; sie unterliege daher der Gewerbesteuer. In dem Urteil des Finanzgerichts ist der Antrag des Bf. auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zurückgewiesen worden, weil der Berichterstatter der Kammer den Streitfall mit den Beteiligten bereits mündlich verhandelt habe.

Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Bf. als Verfahrensmangel, daß keine ordnungsmäßige mündliche Verhandlung stattgefunden habe, obwohl seinem Antrag durch die vor dem Berichterstatter anberaumte Verhandlung stattgegeben worden sei. In der im Urteil enthaltenen Zurückweisung des Antrages liege ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und § 272 der Reichsabgabenordnung (AO).

In materieller Hinsicht wendet sich der Bf. gegen die Zurechnung der Rente zu den gewerblichen Einkünften. Für den Begriff des Gewerbeertrages seien alle Einkünfte aus dem Gewinn auszuscheiden, die einkommensteuerlich zwar als gewerbliche anzusehen seien, aber nicht mit einem bestehenden Gewerbebetrieb zusammenhingen. Die Rente habe ihren Rechtsgrund in dem Schadensereignis (Unfall mit schwerer Körperverletzung) und stehe mit dem Gewerbebetrieb in keinem Zusammenhang.

Das Finanzamt hält einen Verfahrensmangel für nicht gegeben. Vom Finanzgericht sei nicht eine mündliche Verhandlung im Sinne des § 272 AO, sondern lediglich eine Erörterung vor dem beauftragten Richter angeordnet worden. In dieser Verhandlung habe der Bf. eine nichtordnungsmäßige Besetzung nicht gerügt. Sachlich trägt das Finanzamt unter Wiederholung seines bisherigen Standpunktes vor, die Rente sei als Ersatz für den verminderten Gewinn dem Gewerbeertrag zuzurechnen, da durch sie der persönliche Arbeitsausfall des Bf. und die erhöhten Lohn- und Kapitalzinsaufwendungen des Betriebes ausgeglichen würden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist in der Frage, ob die Rente der Gewerbesteuer unterliegt, nicht begründet; sie führt aber wegen der Nichtvornahme ihrer Aktivierung zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das Finanzgericht.

Die Rüge mangelnden rechtlichen Gehörs greift nicht durch. Eine mündliche Verhandlung ist im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zwingend vorgeschrieben. Ihr Fehlen stellt daher nicht ohne weiteres einen Mangel des rechtlichen Gehörs im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG dar. Nach § 272 AO kann das Finanzgericht einen Antrag auf mündliche Verhandlung durch einstimmigen Gerichtsbeschluß zurückweisen. Die Rücknahme einer bekanntgegebenen Anordnung der mündlichen Verhandlung kann andererseits nur unter den Voraussetzungen des § 96 AO erfolgen (Urteil des Reichsfinanzhofs III A 314/29 vom 27. November 1930, Mrozek-Kartei, AO, § 252 Rechtsspruch 9, 10, und Hübschmann-Hepp-Spitaler, AO, 1. bis 3. Auflage, § 272 Anmerkung 1). Im vorliegenden Falle bedurfte es aber entgegen der Verfahrensrüge keiner Rücknahme, da weder das Gericht noch dessen Vorsitzender auf den Antrag des Bf. die mündliche Verhandlung angeordnet haben. Das Schreiben des Finanzgerichts vom 24. Juni 1955 ordnete lediglich eine mündliche Verhandlung vor dem beauftragten Richter an. Zu dieser Verhandlung sind der Bf. und sein damaliger Prozeßbevollmächtigter erschienen; sie haben, wie sich aus dem Protokoll ergibt, die Verhandlung als Erörterung im Sinne des § 271 AO vor dem beauftragten Richter hingenommen. Das Schreiben des Finanzgerichts vom 24. Juni 1955 bezog sich nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht auf die beantragte mündliche Verhandlung im Sinne des § 272, die nach § 3 der Verordnung Nr. 175 der Militärregierung - Britisches Kontrollgebiet - (Steuer- und Zollblatt 1948 S. 291) vor zwei beamteten und drei ehrenamtlichen Richtern hätte erfolgen müssen, sondern nur auf eine vorbereitende Erörterung in Anwesenheit der Beteiligten. Da somit bis zum Erlaß des Urteils die beantragte mündliche Verhandlung im Sinne von § 272 AO nicht angeordnet war, konnte das Finanzgericht in dem Urteil den Antrag auf Anordnung einer mündlichen Verhandlung durch einstimmigen Gerichtsbeschluß zurückweisen. In dieser Anlehnung kann angesichts der Erörterung des Streitfalls vor dem beauftragten Richter ein wesentlicher Verfahrensmangel nicht erblickt werden.

In sachlicher Hinsicht sind die Ausführungen des Bf., die sich gegen die Heranziehung der Rente zur Gewerbesteuer wenden, ebenfalls unbegründet.

Die Rente beruht auf dem Gesetz Nr. 47 - Entschädigung für Besatzungsschäden - und der Durchführungsverordnung Nr. 1 zu diesem Gesetz. Nach Art. 5 Ziff. 1 der Durchführungsverordnung wird im Falle der Verletzung des Körpers oder einer sonstigen Beschädigung der Gesundheit Entschädigung gewährt a) durch Ersatz der Heilkosten, b) durch Ersatz des Vermögensnachteils infolge der Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit und c) durch Ersatz des Vermögensnachteils infolge einer dauernden Vermehrung der Bedürfnisse.

Nach § 24 EStG gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG auch die Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden (Herrmann-Heuer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 24 Anmerkung 4 - 5). Sie sind als Einkünfte der Einkunftsart anzusehen, für die sie einen Ersatz bilden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts und nach dem bei den Akten befindlichen, der Rentenberechnung zugrunde gelegten Gutachten sowie nach dem Einspruchsbescheid des Regierungspräsidenten Münster vom 22. Januar 1955 ist die jährliche Rente für reinen "unfallbedingten Gewinnentgang" auf 7.500 DM festgesetzt worden. Irgendwelche Gesichtspunkte des Schmerzensgeldes oder des Ersatzes erhöhter persönlicher Aufwendungen sind zur Ermittlung nicht herangezogen worden. Da der Betrag von 7.500 DM durch die im Jahre 1951 gezahlten 4.593,50 DM nicht überschritten wurde, kann es sich bei dieser Zahlung nur um den Ersatz des infolge des Unfalls entgangenen gewerblichen Gewinnes im Sinne des Art. 5 Ziff. 1 b der Durchführungsverordnung handeln. Die Rente sollte den infolge des Unfalls verminderten gewerblichen Gewinn ausgleichen, um dem Bf. nach wie vor den gleichen Gewerbeertrag zu sichern. Es handelt sich daher bei der Rente um gewerbliche Einkünfte (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs IV 262/38 vom 10. Februar 1939, Reichssteuerblatt - RStBl - 1939 S. 907, und Blümich-Falk, EStG, 7. Auflage, § 24 Anmerkung 2). Es handelt sich auch nicht um eine Rente, bei der die gewerblichen Ergebnisse nur als Berechnungsgrundlage gedient haben, sondern um eine solche, die unmittelbar wegen des Bestehens und Fortführens des Betriebes gewährt wurde; sie ist daher nicht betriebsfremd, sondern fällt dem Bf. im Rahmen seines Gewerbebetriebes zu.

Die Rente ist daher nach §§ 15, 24 EStG, § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) als Gewerbeertrag anzusehen und unterliegt der Gewerbesteuer (siehe Blümich-Boyens-Steinbring, GewStG, 4. Auflage, § 7 Anmerkung 2). Die Zahlung der Gewerbesteuer gehört zu den Unkosten des Betriebes und mindert daher bereits den Bruttogewinn. Es läßt sich deshalb, wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, aus der Nichterwähnung der Gewerbesteuer (im Gegensatz zur Einkommen- und Lohnsteuer, die den Nettogewinn mindern) in Abschn. b Ziff. 90 letzter Absatz der Erläuterungen des Bundesministers der Finanzen zur Durchführungsverordnung Nr. 1 zum Gesetz Nr. 47 nichts für die Freistellung der Rente von der Gewerbesteuer herleiten.

Billigkeitserwägungen, die in der von der Vorinstanz und von den Beteiligten erörterten Abhandlung Thiele, Neue Wirtschaftsbriefe, Fach 5, S. 151/152, II, 2 mitsprechen, um bei fortlaufendem Gewerbebetrieb Schadensrenten nicht der Gewerbesteuer zu unterwerfen, können im steuergerichtlichen Verfahren keine Beachtung finden. Die Anwendung des Gewerbesteuergesetzes stellt auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der geichmäßigen steuerlichen Behandlung gegenüber Rentenzahlungen bei eingestelltem Gewerbebetrieb dar, da das Bestehen eines gewerblichen Betriebes gerade das entscheidende Merkmal für die Gewerbesteuerpflicht ist, und im vorliegenden Falle, wie die steigende Umsatzentwicklung zeigt, auch von einer nur noch ganz unwesentlichen Fortsetzung des Gewerbebetriebes nicht die Rede sein kann.

Das Finanzgericht hat daher zu Recht die Entschädigungsrente zur Gewerbesteuer herangezogen.

Es ist aber von den Vorinstanzen die Frage der Aktivierung des Rentenanspruches im Jahre 1951 nicht erörtert worden. Der Bf. führt seit dem 1. Januar 1951 eine Buchführung nach § 4 Abs. 1 EStG. Die Aktivierung im Sinne des § 6 EStG ergibt sich aus den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Buchführung. Das Finanzgericht wird darauf zu achten haben, daß die Schadensrente bei der Einkommensteuer, bezüglich derer das Rechtsmittel noch anhängig ist, und bei dem Gewerbesteuermeßbetrag eine gleichmäßige rechtliche Behandlung erfährt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408704

BStBl III 1957, 164

BFHE 1957, 437

BFHE 64, 437

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