Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Grundstückserwerb im Sinne des § 4 Abs. 1 Ziff. 4 a GrEStG ist nur insoweit von der Besteuerung ausgenommen, als das Grundstück unmittelbar zur Anlegung öffentlicher Straßen oder Plätze dienen soll, nicht dagegen auch insoweit, als das Grundstück oder die Teile von Grundstücken, die erworben oder miterworben werden, für andere Zwecke bestimmt sind, z. B. zur Errichtung von Nebenanlagen, zur Lagerung von Kies, zur Geräteaufbewahrung und als Wohnung für den Straßenmeister usw.

§ 11 Abs. 1 Ziff. 7 Halbsatz 2 GrEStG ist nur anwendbar, wenn dem Veräußerer Teile des Grundstücks verbleiben, nicht aber auch dann, wenn das Grundstück vollen Umfangs veräußert wird.

 

Normenkette

GrEStG § 4/1/4/a, § 11 Abs. 1 Ziff. 7

 

Tatbestand

Der Bf. erwarb durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 10. März 1955 mehrere Grundstücke mit aufstehenden Gebäulichkeiten. Die Gesamtgröße der Grundstücke betrug 3.519 qm. Das Finanzamt zog den Bf. durch Steuerbescheid vom 27. Februar 1956 unter Zugrundelegung der Gesamtgegenleistung von 99.150,50 DM zur Grunderwerbsteuer heran. Von der angekauften Grundfläche waren etwa 1.325 qm unmittelbar zur Errichtung einer öffentlichen Straße bestimmt. Auf diese Teilfläche entfiel ein Bodenpreis von 1.788.75 DM. Durch die anzulegende Straße wurde die Gesamtfläche in zwei Teilflächen zerschnitten. Die Voreigentümer verlangten von vornherein, daß der Bf. nicht nur die für den Straßenbau unmittelbar erforderliche Grundfläche, sondern alle angrenzenden Grundstücke erwerben sollte. Nach der Darstellung des Bf. war es zwangsläufig, das ganze Anwesen zu erwerben, da er, der Bf., auch in einem Enteignungsverfahren gemäß § 9 des preußischen Gesetzes über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874 (Preußische Gesetzsammlung S. 221) zu der übernahme gezwungen worden wäre. Andererseits war von vornherein beabsichtigt, auf 1.100 qm der verbleibenden Grundfläche Unterstellräume für Straßenbaumaterialien und Bauunterhaltungsgeräte "zu gewinnen", sowie im Wohnhaus einen Straßenwärter, gegebenenfalls auch einen Straßenmeister, zur gleichzeitigen Beaufsichtigung des Lagerplatzes und der Lagergebäude unterzubringen.

Der Bf. macht in erster Linie geltend, der Grundstückserwerb sei gem. § 4 Abs. 1 Ziff. 4 a GrEStG bei zeitgemäßer Auslegung des Begriffs "öffentliche Straße" vollen Umfangs von der Steuer befreit.

Hilfsweise bringt er vor: Bei der im Steuerrecht geltenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise sei die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Ziff. 7 Halbsatz 2 GrEStG auf den vorliegenden Fall anwendbar. Die nicht unmittelbar von der Straße beanspruchten, zum Teil sogar mit Gebäuden besetzten Grundstücksteile hätten durch den Straßenbau eine ganz außerordentliche Entwertung erfahren, weil der Voreigentümer durch die anzulegende Straße von den äckern und Weiden völlig abgeschnitten wurde und in einem tiefen Loch zwischen den hohen Straßendämmen und Böschungen der alten und neuen Straße eingekeilt gewesen wäre. Es sei notwendig gewesen, alle im Kaufvertrag aufgeführten Parzellen zu erwerben, weil der Voreigentümer sonst außer dem Kaufpreis für den in den Straßenkörper fallenden Grund und Boden eine Minderwertentschädigung von mindestens der Hälfte des Grundstückswerts hätte beanspruchen können. Diese Minderwertentschädigung hätte für das gesamte Restgrundstück 40.000 DM und für das Wohnhaus 30.000 DM betragen. Was den Erwerb der Teilfläche von 1.100 qm und der dazu gehörenden Gebäulichkeiten betreffe, so sei eine geordnete Straßenunterhaltung heute ohne in bestimmten Abständen anzulegende Lagerplätze und Straßengeräthöfe unmöglich geworden. § 4 Abs. 1 Ziff. 4 a GrEStG werde den seit dem Jahre 1940 stark veränderten Bedürfnissen des modernen Straßenverkehrs und des Straßenbaues nicht mehr gerecht. Der Gesetzgeber habe an Grunderwerbsteuerfälle der vorliegenden Art nicht gedacht. Auf die Teilfläche von 1.100 qm entfalle ein Bodenpreis von 1.485 DM und ein Gebäudewert von 21.689,78 DM.

Das Finanzamt gab dem Einspruch insoweit statt, als die auf die Teilfläche von 1.325 qm entfallende Gegenleistung von 1.788,75 DM in Betracht kam, weil der Grundstückserwerb insoweit zur Schaffung öffentlicher Straßen bestimmt sei. Dagegen war der weitergehende Einspruch erfolglos.

Die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Auch der Rb. kann nicht stattgegeben werden.

Dem Finanzgericht ist darin zuzustimmen, daß der Auffassung des Bf., der Grundstückserwerb diene schlechthin "der Schaffung öffentlicher Straßen usw." (ß 4 Abs. 1 Ziff. 4 a GrEStG) nicht beigetreten werden kann. Es ist zu unterscheiden zwischen dem Grundstückserwerb "zur" Schaffung öffentlicher Straßen und dem Grundstückserwerb "aus Anlaß" der Schaffung öffentlicher Straßen.

Steuerbefreit ist lediglich der Grundstückserwerb, der unmittelbar zur Anlegung von Straßen dient. Dagegen erstreckt sich die Steuerbefreiung nicht auf Grundstücksflächen, die im Zusammenhang mit einem solchen Erwerb gleichfalls übernommen werden. In diesem Sinne ist schon die entsprechende Vorschrift des § 8 Nr. 10 GrEStG 1919/1927 ausgelegt worden (Ott, Handbuch des gesamten Grunderwerbsteuerrechts, 4. Aufl., 1936, S. 270). In gleicher Weise hat der Reichsfinanzhof auch die jetzt anwendbare Vorschrift des § 4 Abs. 1 Ziff. 4 a GrEStG 1940 ausgelegt. Auf das Urteil des Reichsfinanzhofs II 83/41 vom 12. November 1942 (RStBl 1942 S. 1078, Slg. Bd. 52 S. 241) wird Bezug genommen. Dieser Rechtsprechung wird beigetreten. In Fällen, in denen Grundstücke für Straßenbauzwecke erworben wurden, ist also stets nur der Grundstückserwerb als steuerfrei zu erachten, der unmittelbar Straßenzwecken dienen soll, nicht aber auch der Grundstückserwerb, der daneben zusätzlich unvermeidbar ist. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß bei Auslegung anderer Gesetze gleichfalls zwischen Fällen, in denen etwas "zu" bestimmten Zwecken geschieht, und den Fällen unterschieden wird, in denen sich etwas "aus Anlaß" einer bestimmten Verrichtung ereignet; siehe z. B. die Auslegung des § 278 BGB.

Eine andere Frage ist allerdings, was unter einer "Straße" zu verstehen ist, insbesondere, ob dazu auch Flächen gehören, die für Nebenanlagen bestimmt sind. Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zum GrEStG 1940 mußte das Grundstück, damit die Steuerbefreiungsvorschrift angewendet werden konnte, dem begünstigten Zweck unmittelbar dienen; es mußte einen Teil der Straße selbst bilden. Siehe das Urteil des Reichsfinanzhofs II 13/41 vom 27. März 1941 (RStBl 1941 S. 416, Slg. Bd. 50 S. 147), betreffend Lagerplätze für Kies, Geräteaufbewahrung und dergleichen. Ebenso wurden nach der entsprechenden Vorschrift des § 8 Nr. 10 GrEStG 1919/1927 nicht als steuerfrei angesehen: der Erwerb eines Grundstücks, auf dem ein Gehöft für einen bei einer öffentlichen Straße tätigen Straßenmeister angelegt werden sollte (Urteil des Reichsfinanzhofs II A 263/22 vom 28. November 1922, RStBl 1923 S. 139, Slg. Bd. 11 S. 50), der Erwerb eines Grundstücks zur Errichtung eines Zollhauses (Urteil des Reichsfinanzhofs II A 10/23 vom 6. Februar 1923, Steuer und Wirtschaft 1923 Nr. 415). Der Senat tritt der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs bei. Wäre beabsichtigt gewesen, jeden Grundstückserwerb für Zwecke des öffentlichen Bedarfs von der Steuer auszunehmen, insbesondere den Erwerb zur Errichtung von Anlagen, die überwiegend den Aufgaben der Straßenbauverwaltung dienen, so würde nicht verständlich sein, warum es im Gesetz nicht ausgesprochen wurde. Daß bei Schaffung des Gesetzes eine solche Möglichkeit nicht unbekannt war, ergibt die Regelung im § 4 Abs. 1 Ziff. 4 c GrEStG. Dort ist ausdrücklich bestimmt, daß unter den näher bezeichneten Voraussetzungen der Erwerb eines Grundstücks "für den öffentlichen Bedarf" von der Steuer befreit ist. Es mag zutreffen, daß auf Grund anderer Gesetze auch die Nebenanlagen den Straßen zuzurechnen sind. Dort handelt es sich jedoch um ausdrückliche Vorschriften. In Fällen der vorliegenden Art ist dagegen eine Sonderregelung nicht getroffen worden. Richtig ist zwar, daß der Bf. auf Grund des preußischen Gesetzes über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874 verpflichtet war, das ganze Grundstück gegen Entschädigung zu übernehmen. Daraus kann aber nicht bereits gefolgert werden, daß auch der Grundstückserwerb von der Grunderwerbsteuer befreit ist. Insbesondere ist § 11 Abs. 1 Ziff. 7 Halbsatz 2 GrEStG auf den Streitfall nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift gehört, wenn ein Grundstück enteignet oder zur Vermeidung der Enteignung freiwillig veräußert wird, unter den dort bezeichneten Voraussetzungen, die besondere Entschädigung für eine Wertminderung des dem Veräußerer verbleibenden Grundstücks nicht zur Gegenleistung. Im Streitfall handelt es sich aber nicht, wie auch das Finanzgericht ausführt, um eine Entschädigung für Wertminderung der verbleibenden Grundstücke; vielmehr wurde das gesamte Anwesen von dem Bf. erworben. Auf einen solchen Fall ist die Regelung im § 11 Abs. 1 Ziff. 7 GrEStG nicht anwendbar. Eine ausdehnende Auslegung dieser Vorschrift ist nicht möglich.

Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410122

BStBl III 1961, 440

BFHE 1962, 477

BFHE 73, 477

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