Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerkürzungsanspruch neugegründeter Unternehmen

 

Leitsatz (NV)

Bei neugegründeten Unternehmen ist für die Berechnung des Umsatzsteuerkürzungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 i. V. m. Abs. 7 und § 6 Abs. 2 BerlinFG mangels Vorliegen eines vorletzten Wirtschaftsjahres auf das Wirtschaftsjahr abzustellen, in dem der Unternehmer erstmals Umsätze ausgeführt hat.

 

Normenkette

BerlinFG § 1 Abs. 1, 7, § 6 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt seit August 1987 in Berlin ein Unternehmen.

Im Jahr 1987 führte sie noch keine Umsätze aus. Für das Streitjahr (1988) errechnete sie eine Berliner Wertschöpfungsquote i. S. von § 6 a des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) in Höhe von 76,51 und beantragte, hiervon ausgehend, in ihrer Umsatzsteuererklärung 1988 eine Umsatzsteuerkürzung nach dem BerlinFG in Höhe von 8,42 v. H. des maßgeblichen Umsatzes.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) verweigerte der Klägerin die Kürzung, da ihre Berliner Wertschöpfungsquote im vorletzten Wirtschaftsjahr nicht mindestens 10 betragen habe, und setzte die Umsatzsteuer 1988 entsprechend fest.

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gewährte der Klägerin die Kürzung in der beantragten Höhe. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, bei neugegründeten Unternehmen sei mangels eines vorletzten Wirtschaftsjahres, dessen Wertschöpfungsquote nach dem BerlinFG für die Berechnung des Kürzungssatzes grundsätzlich maßgebend sei, auf das Wirtschaftsjahr zurückzugreifen, in dem der Unternehmer erstmals Umsätze ausgeführt habe, die eine Berechnung der Wertschöpfungsquote erlaubten. Nach Sinn und Zweck des BerlinFG sei deshalb die 1988 von der Klägerin erzielte Wertschöpfungsquote bei der Berechnung des Umsatzsteuer-Kürzungsanspruchs für dieses Jahr maßgebend.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es Verletzung von § 6 Abs. 2 BerlinFG rügt. Das FA ist der Auffassung, das BerlinFG enthalte keine planwidrige Lüke. Der Gesetzgeber habe gewollt, daß Unternehmer wie die Klägerin in den beiden ersten Jahren der Gründung keine Kürzung erhalten sollten.

Das FA beantragt, die Klage unter Auf hebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegenge treten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Die Auffassung des FG, § 6 Abs. 2 BerlinFG enthalte eine planwidrige Lücke, die dahingehend zu schließen sei, daß bei neugegründeten Unternehmen für die Berechnung des Umsatzsteuer-Kürzungsanspruchs mangels Vorliegen eines vorletzten Wirtschaftsjahres auf das Wirtschaftsjahr abzustellen ist, in dem der Unternehmer erstmals Umsätze ausgeführt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (zur lückenfüllenden Auslegung eines Gesetzes, das für das Erstjahr der unternehmerischen Betätigung keine Regelung enthält, vgl. Senatsurteil vom 22. November 1984 V R 170/83, BFHE 142, 316, BStBl II 1985, 142 zu § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes 1980).

1. Ein Berliner Unternehmer, der an einen westdeutschen Unternehmer Gegenstände geliefert hat, die in Berlin (West) hergestellt worden sind und aus Berlin (West) in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG gelangt sind, ist nach § 1 Abs. 1 BerlinFG in der für das Streitjahr geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1982, 1828, BStBl I 1982, 936) berechtigt, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer um 3 v. H. des für diese Gegenstände vereinbarten Entgelts zu kürzen (sog. Sockelpräferenz). Voraussetzung für eine Herstellung in Berlin (West) ist gemäß § 6 Abs. 1 und 2 BerlinFG, daß die Wertschöpfungsquote des Berliner Unternehmers, der durch Be- oder Verarbeitung in Berlin (West) nach der Verkehrsauf fassung einen Gegenstand anderer Marktgängigkeit erzeugt, im vorletzten Wirtschaftsjahr mindestens 10 betragen hat. Der Vomhundertsatz der Kürzung erhöht sich auf 11 v. H. der Wertschöpfungsquote (§ 1 Abs. 7 BerlinFG), wenn die Lieferungen von einem Berliner Unternehmer ausgeführt worden sind, dessen Berliner Wertschöpfungsquote im vorletzten Wirtschaftsjahr 33 oder mehr ausgemacht hat.

2. Unternehmer, die die in § 1 Abs. 1 BerlinFG dem Grunde nach begünstigten Umsätze bewirken, sind -- entgegen der Auf fassung des FA -- berechtigt, die von ihnen geschuldete Umsatzsteuer schon im ersten Jahr ihrer Umsatztätigkeit zu kürzen. Voraussetzung für eine Kürzung ist nach den maßgebenden Vorschriften (§ 1 Abs. 1 bis 6 BerlinFG) lediglich, daß die Unternehmer eine der dort genannten Umsatztätigkeiten ausführen. Daß sie in den beiden ersten Jahren ihrer Tätigkeit in Berlin (West) schon dem Grunde nach von der Begünstigung ausgeschlossen werden sollen, läßt sich den Vorschriften nicht entnehmen. Dies wäre mit Sinn und Zweck des BerlinFG auch nicht zu vereinbaren. Zweck des BerlinFG war es, unter anderem durch die Gewährung von Umsatzsteuer-Präferenzen einen Anreiz für die Ansiedlung von neuen Unternehmen in Berlin (West) zu geben und die strukturellen Probleme der Wirtschaft in Berlin (West) dauerhaft zu beseitigen (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes, BTDrucks 9/2191, Seite 9). Mithin entspricht es dem Gesetzeszweck, gerade solchen Unternehmern, die eine Tätigkeit in Berlin neu aufnehmen wollen, in der Anlaufzeit der beiden ersten Jahre die Vergünstigung zu gewähren.

3. Die Vorschriften über die Höhe der Kürzungssätze in § 1 Abs. 7 und § 6 Abs. 2 BerlinFG weisen für Unternehmer, die erstmalig in Berlin (West) hergestellte Gegenstände aus Berlin (West) an einen westdeutschen Unternehmer liefern, eine Regelungslücke auf.

Eine solche Lücke liegt vor, wenn ein bestimmter Sachbereich gesetzlich geregelt ist, aber keine Vorschriften für Fälle enthält, die nach dem Grundgedanken und dem System des Gesetzes hätten mitgeregelt werden müssen. Das Gesetz muß also ergänzungsbedürftig sein. Allerdings darf die Ergänzung nicht einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widersprechen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 9. August 1989 X R 30/86, BFHE 158, 45, BStBl II 1989, 891 unter 2. a).

Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe in Berlin (West) Unternehmern in den Jahren, in denen es für sie noch kein "vorletztes Wirtschaftsjahr" gibt, für nach § 1 Abs. 1 bis 6 BerlinFG begünstigte Umsätze ein Umsatzsteuer-Kürzungsanspruch zusteht, ist dem BerlinFG nicht zu entnehmen. Nach dem unter 2. dargelegten Grundgedanken und dem System des BerlinFG hätten die Fragen nach Voraussetzungen und Höhe -- entgegen der Auffassung des FA -- mitgeregelt werden müssen.

Es läßt sich ferner nicht etwa annehmen, daß der Gesetzgeber die erstmals in Berlin (West) tätigen Unternehmer, entgegen dem grundsätzlichen Zweck des BerlinFG, mit der Anknüpfung des Kürzungssatzes an die Wertschöpfungsquote des vorletzten Wirtschaftsjahres für die ersten beiden Jahre von der Umsatzsteuerkürzung habe ausschließen oder ihnen nur die Sockelpräferenz habe gewähren wollen. Sinn der Rückanknüpfung war offenbar nicht eine Beschränkung der Fördermaßnahmen auf bestimmte Jahre, sondern ein gesetzestechnischer Grund. Die für die Berechnung der Wertschöpfungsquote erforderlichen Daten können regelmäßig erst bei der steuerlichen Gewinnermittlung und Bilanzierung festgestellt werden. Durch die Anknüpfung an die Wertschöpfungsquote des vorletzten Wirtschaftsjahres ist im Regelfall gewährleistet, daß sich die Höhe des Kürzungssatzes bereits zu Beginn des jeweiligen Besteuerungszeitraumes feststellen läßt, so daß die Umsatzsteuerkürzung schon im Voranmeldungsverfahren berücksichtigt werden kann (vgl. Begründung der Bundesregierung, a.a.O., Seite 13 unter B, zu Art. 1 Nr. 1, zu Buchst. c).

Der Annahme einer Regelungslücke in § 1 Abs. 7 und § 6 Abs. 2 BerlinFG steht nicht das Senatsurteil vom 13. Juni 1991 V R 12/86 (BFHE 165, 140, BStBl II 1991, 815) entgegen. Der Senat hat in dieser Entscheidung lediglich ausgesprochen, daß der Kürzungstatbestand des § 1 Abs. 1 BerlinFG keine planwidrige Lücke enthält.

4. Das FG hat ferner die Regelungslücke in § 1 Abs. 7 und § 6 Abs. 2 BerlinFG in Übereinstimmung mit der Systematik und dem Zweck des BerlinFG fehlerfrei ausgefüllt.

a) Grundsätzlich ist mangels eines "vorletzten Wirtschaftsjahres" das "letzte Wirtschaftsjahr" und mangels eines "letzten Wirtschaftsjahres" das laufende Wirtschaftsjahr selbst maßgebend. Hierbei ist zu beachten, daß als "vorletztes Wirtschaftsjahr" bzw. ersatzweise als "letztes Wirtschaftsjahr" bei Unternehmern, die erstmalig eine Tätigkeit in Berlin (West) aufnehmen, nicht eine Gründungs- und Vorbereitungsphase von wenigen Monaten vor Jahresende ohne Umsätze angesehen werden kann. Vorbereitungshandlungen sind bereits dem Grunde nach nicht begünstigt. Erstes, für die Bemessung der Förderungshöhe nach dem BerlinFG maßgebendes Wirtschaftsjahr, ist vielmehr das Jahr, in dem der Unternehmer seine Umsatztätigkeit aufnimmt. Voraussetzung dafür, daß die Verhältnisse in einem vorangegangenen Wirtschaftsjahr gemäß § 6 Abs. 2 BerlinFG für die Gewährung des Umsatzsteuer-Kürzungssatzes in einem späteren Besteuerungszeitraum maßgebend sein können, ist nach Sinn und Zweck der Regelung, daß der Unternehmer in dem vorangegangenen Wirtschaftsjahr bereits begünstigte Umsätze -- einschließlich begünstiger Innenumsätze (§ 1 a BerlinFG) -- ausgeführt hat, so daß eine Wertschöpfungsquote überhaupt berechnet werden kann, die Aufschluß über die Bedeutung des Unternehmens für die Wirtschaft von Berlin (West) gibt.

b) Die in § 1 Abs. 7 BerlinFG getroffene gleichlautende Regelung über die Maßgeblichkeit der Wertschöpfungsquote des vorletzten Wirtschaftsjahres für die Gewährung des erhöhten Kürzungssatzes hat den gleichen Zweck wie die Regelung in § 6 Abs. 2 BerlinFG. Für sie gilt daher das soeben Ausgeführte gleichermaßen.

c) Da die Klägerin erstmalig 1988 Umsätze i. S. von § 1 BerlinFG bewirkt hat, wurde vom FG zutreffend die in diesem Jahr durch die Klägerin erzielte Wertschöpfungsquote der Berechnung des Umsatzsteuer-Kürzungssatzes für 1988 zugrunde gelegt und die Umsatzsteuer 1988 entsprechend dem der Höhe nach nicht zu beanstandenden Antrag unter Gewährung eines Kürzungssatzes in Höhe von 8,42 v. H. festgesetzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420437

BFH/NV 1995, 666

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