Entscheidungsstichwort (Thema)

(Keine Kürzung der Umsatzsteuer, wenn in Berlin (West) hergestellte Kalenderblätter in Westdeutschland zu Kalendern verarbeitet werden)

 

Leitsatz (amtlich)

Es liegt keine nach § 1 Abs.1 BerlinFG begünstigte Lieferung vor, wenn in Berlin (West) hergestellte Kalenderblätter im übrigen Geltungsbereich des BerlinFG zu Kalendern verarbeitet und wenn diese Kalender von Berlin (West) an einen westdeutschen Unternehmer geliefert werden.

 

Normenkette

BerlinFG § 1 Abs. 1 Fassung: 1978-12-22, § 6 Abs. 1 Fassung: 1978-12-22

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) begehrt für an westdeutsche Unternehmer gelieferte Kalender Kürzung der Umsatzsteuer nach § 1 Abs.1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hatte in den gegen die Klägerin gerichteten angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 1978 bis 1980 die Kürzung der Umsatzsteuer nach einer Betriebsprüfung versagt. Zur Begründung führte das FA u.a. aus, die Klägerin habe die Kalender nicht nach § 6 Abs.1 BerlinFG in Berlin (West) hergestellt.

Die Klägerin hatte die einzelnen Kalenderblätter in Berlin (West) gedruckt, zugeschnitten und mit einem Firmenaufdruck des jeweiligen Bestellers versehen. Anschließend stellte die Firma E in Westdeutschland die Blätter zusammen, perforierte sie, heftete sie zusammen und lochte sie. Die auf diese Weise gefertigten Kalender gelangten nach Berlin (West) zurück. Die Klägerin sortierte, verpackte und versandte sie auf Abruf an den jeweiligen Kunden.

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs.1, § 6 Abs.1 BerlinFG. Das FG habe, so führt das FA zur Begründung der Revision aus, ein vom möglichen Wortsinn nicht mehr gerechtfertigtes Ergebnis erzielt, wenn es als Herstellung in Berlin (West) bereits die Schaffung der Marktgängigkeit eines Vorprodukts des Lieferungsgegenstandes (im Streitfall der Kalenderblätter für einen Kalender) als ausreichend ansehe. Vielmehr müsse in Berlin (West) die endgültige Marktgängigkeit des von Berlin (West) an den westdeutschen Abnehmer gelieferten Gegenstandes geschaffen worden sein.

Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das FG hat unzutreffend angenommen, die Klägerin könne für Lieferungen der im übrigen Geltungsbereich des BerlinFG hergestellten Kalender die Herstellerpräferenz nach § 1 Abs.1 BerlinFG beanspruchen.

1. Nach § 1 Abs.1 BerlinFG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 22.Dezember 1978, BGBl I 1979, 1, BStBl I 1979, 3) ist der Berliner Unternehmer berechtigt, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer um 4,5 v.H. des Entgelts für von ihm an einen westdeutschen Unternehmer gelieferte Gegenstände zu kürzen, wenn die Gegenstände in Berlin (West) hergestellt worden sind und aus Berlin (West) in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG gelangt sind. Eine Herstellung in Berlin (West) liegt nach § 6 Abs.1 Satz 1 BerlinFG vor, wenn durch eine Bearbeitung oder Verarbeitung in Berlin (West) nach der Verkehrsauffassung ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entstanden ist, es sei denn, daß der Gegenstand in Berlin (West) nur geringfügig behandelt worden ist. Kennzeichnen, Umpacken, Umfüllen, Sortieren, das Zusammenstellen von erworbenen Gegenständen zu Sachgesamtheiten und das Anbringen von Steuerzeichen gelten nicht als Bearbeitung oder Verarbeitung (§ 6 Abs.1 Satz 2 BerlinFG).

a) Nach dem Wortlaut und dem Wortsinn des § 1 Abs.1, § 6 Abs.1 Satz 1 BerlinFG muß der Gegenstand der Lieferung in Berlin (West) hergestellt worden und aufgrund einer Lieferung an einen westdeutschen Unternehmer in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG gelangt sein. Es muß mit anderen Worten Nämlichkeit zwischen dem in Berlin (West) hergestellten, dem von Berlin (West) aus gelieferten und dem in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG gelangten Gegenstand vorhanden sein (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Juli 1957 V 215/56 U, BFHE 65, 102, BStBl III 1957, 272; vom 4.Juli 1957 V 115/56 U, BFHE 65, 100, BStBl III 1957, 272, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Berlinhilfegesetz 1950, § 9, Rechtsspruch 1; vgl. dazu auch BFH- Urteil vom 28.August 1986 V R 20/79, BFHE 148, 194, BStBl II 1987, 162 - Lieferungsgegenstand erst in Westdeutschland entstanden). Der von Berlin (West) gelieferte Gegenstand ist in Berlin (West) hergestellt worden (§ 6 Abs.1 Satz 1 BerlinFG), wenn er hier seine bei der Lieferung vorhandene Marktgängigkeit durch eine nicht nur geringfügige Behandlung erlangt hat.

Diese Voraussetzungen sind --wie auch das FG ausgeführt hat-- nicht erfüllt. Die Klägerin hat von Berlin (West) Kalender an westdeutsche Unternehmer geliefert. Die gelieferten Kalender sind nicht in Berlin (West), sondern in Westdeutschland hergestellt worden. Dort sind aus Kalenderblättern durch Be- und Verarbeitung Kalender entstanden. An der so geschaffenen Marktgängigkeit hat sich durch das Sortieren, Verpacken und Ausliefern der in Westdeutschland hergestellten Kalender auch nichts geändert.

b) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob eine durch eine nur geringfügige Behandlung außerhalb von Berlin (West) erreichte Änderung der Marktgängigkeit eines in Berlin (West) hergestellten Gegenstandes anders beurteilt werden müßte; denn im Streitfall sind die Kalenderblätter --wie das FG für den Senat gemäß § 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindend festgestellt hat-- in Westdeutschland nicht nur geringfügig behandelt worden, als sie zu Kalendern verarbeitet worden sind.

c) Die Entscheidung ändert sich auch nicht, wenn die Behandlung des Gegenstandes der Lieferung außerhalb von Berlin (West), die zur Änderung seiner Marktgängigkeit geführt hat, im Auftrag des Berliner Unternehmers durch Werklieferung oder Werkleistung erfolgt ist (vgl. dazu auch § 6 Abs.3 Satz 2 BerlinFG zur Zurechnung von Werkleistungen). Selbst wenn er an den beigestellten oder gestellten be- oder verarbeiteten Gegenständen die Verfügungsmacht behalten hat, wird ihm nach § 6 Abs.1 BerlinFG dadurch der Herstellungsvorgang nicht als Herstellung in Berlin (West) zugerechnet. Die Zurechnung der Be- oder Verarbeitung durch den westdeutschen Buchbinder erstreckt sich nicht auf den Ort der Bearbeitung (vgl. dazu auch Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, K § 6 Tz.5). Die hier einschlägigen Vorschriften des § 1 Abs.1 und des § 6 Abs.1 BerlinFG stellen eindeutig auf den örtlichen Bezug des Vorgangs der Be- oder Verarbeitung zu Berlin (West) ab. Dieser ist bei einer Be- oder Verarbeitung im Auftrag des Berliner Unternehmers durch einen Unternehmer außerhalb von Berlin (West) nicht gegeben (vgl. dazu auch Sönksen/ Söffing, a.a.O., K § 6, Tz.8).

2. Der Ausschluß von Vergünstigungen nach § 1 Abs.1 BerlinFG von nicht in Berlin (West) hergestellten Gegenständen ergibt sich auch bei systematischer und teleologischer Auslegung der Präferenzregelungen.

Entsteht der Gegenstand der Lieferung erst außerhalb von Berlin (West), sind Vergünstigungen nach dem BerlinFG von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig, wie die Regelungen in § 1 Abs.2 BerlinFG für Werklieferungen und in § 1a BerlinFG für den in einer westdeutschen Betriebsstätte im Rahmen einer gewerblichen Verwendung weiterverarbeiteten Gegenstand der Lieferung erkennen lassen. Daraus folgt, daß nach dem BerlinFG nicht allgemein, sondern nur in besonders bezeichneten Fällen der Anteil der Berliner Vorproduktion von außerhalb der Stadt gefertigten Endprodukten begünstigt ist.

3. Der durch den Wortsinn begrenzte Kürzungstatbestand des § 1 Abs.1 BerlinFG darf auch nicht durch Gerichte in dem von der Vorentscheidung beschriebenen Umfang rechtsfortbildend erweitert werden. Eine dies rechtfertigende planwidrige Lücke enthält das BerlinFG nicht. Der Gesetzgeber hat das Förderungssystem abschließend und nach praktikablen Voraussetzungen gestaltet. Er knüpft dabei an die Herstellung des Gegenstandes in Berlin (West) und an die Lieferung dieses Gegenstandes von Berlin (West) durch einen Berliner Unternehmer an einen westdeutschen Unternehmer an. Das BerlinFG fördert nicht jede Herstellungstätigkeit durch Berliner Unternehmer in Berlin (West); denn es begünstigt z.B. die Lieferung von in Berlin (West) hergestellten Gegenständen an Berliner Unternehmer oder an Unternehmer mit Geschäftsleitung außerhalb des Geltungsbereichs des BerlinFG oder an Nichtunternehmer nicht. Wie erwähnt, begünstigt das BerlinFG die Vorproduktion in Berlin (West) für einen erst außerhalb von Berlin (West) entstandenen Gegenstand nur in besonders geregelten Fällen (§ 1 Abs.2, § 1a BerlinFG). Es sieht als Bemessungsgrundlage für die Kürzung in diesen Fällen das darauf entfallende besonders berechnete Entgelt an. Die der Vorentscheidung zugrunde liegende Beurteilung würde zu einem neuen Begünstigungstatbestand der Lieferung eines überwiegend in Berlin (West) vorgefertigten, im übrigen Geltungsbereich des BerlinFG entstandenen Gegenstandes führen. Die vom FG dafür herangezogene Bemessungsgrundlage, die nicht nur das auf die Berliner Vorproduktion entfallende Entgelt erfaßt, widerspricht ebenfalls dem Regelungsplan des BerlinFG.

4. Vorgänge der vorliegenden Art sind nach dem System des BerlinFG vielmehr dann begünstigt, wenn der Berliner Unternehmer dem westdeutschen Unternehmer den Gegenstand liefert, aus dem der westdeutsche Unternehmer durch eine mehr als geringfügige Be- oder Verarbeitung einen neuen Gegenstand herstellt. Da die Klägerin diese Gestaltung nicht gewählt hat, hat sie die Anspruchsvoraussetzungen für eine Kürzung der Umsatzsteuer nach dem BerlinFG nicht erfüllt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 423053

BFH/NV 1991, 53

BStBl II 1991, 815

BFHE 165, 140

BFHE 1992, 140

BB 1991, 1558 (L)

DStR 1991, 1245 (KT)

HFR 1991, 640 (LT)

StE 1991, 280 (K)

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