Leitsatz (amtlich)

1. Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG wird nicht dadurch verletzt, daß der EGH im Wege der Auslegung einer Ermächtigungsnorm des Rates der EG nur eine beschränkte richterliche Nachprüfbarkeit eines auf der Ermächtigung beruhenden Rechtsetzungsaktes der Kommission anerkannte.

2. Es besteht keine Kollision zwischen den Grundrechtsvorschriften des Grundgesetzes und VO Nr. 725/74, die eine Währungsausgleichsabgabe für Schafkäse aus Bulgarien vorsah.

 

Normenkette

GG Art. 2-3, 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; EWGVtr Art. 164; EWGV Art. 177; EWGV 974/71 und EWGV 725/74

 

Tatbestand

Am 25. April 1974 beantragte die Klägerin die Abfertigung von 14 490 kg Schafkäse der Tarifst. 04.04 E I b 4 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) aus Bulgarien zum freien Verkehr. Durch Bescheid vom gleichen Tag forderte das dem beklagten Hauptzollamt – HZA – unterstehende Zollamt (ZA) von der Klägerin einen Währungsausgleichsbetrag von 7 217,47 (49,81 DM/100 kg). Das ZA berichtigte diesen Bescheid durch Änderungsbescheid vom 15. Mai 1974 und forderte von der Klägerin nach einem Abgabensatz von 63,80 DM/100 kg u. a. einen Währungsausgleichsbetrag von 9 244,62 DM.

Die Klägerin erhob gegen diese Bescheide Klage. Das Finanzgericht (FG) legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) zur Vorabentscheidung die Fragen vor, ob die Erhebung der Ausgleichsabgabe nach der Verordnung (EWG) Nr. 974/71 des Rates vom 12. Mai 1971 – nachfolgend VO Nr. 974/71 – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 106 S. 1 vom 12. Mai 1971) in der am 25. April 1974 geltenden Fassung (Bundeszollblatt 1973 S. 646 – BZBl 1973, 646 –) und der VO (EWG) Nr. 1265/73 der Kommission vom 14. Mai 1973 – nachfolgend VO Nr. 1265/73 – ABlEG Nr. L 130 vom 17. Mai 1973 S. 1) mit dem Gemeinschaftsrecht noch vereinbar gewesen sei und ob – bei Bejahung dieser Frage – der angewendete Satz von 63,80 DM/100 kg berechtigt und wie dieser Abgabensatz insbesondere rechnerisch zu rechtfertigen sei. Der EGH entschied in seinem Urteil vom 22. Januar 1976 Rs. 55/75 (EGHE 1976, 19), daß die Prüfung der gestellten Fragen nichts ergeben habe, was die Gültigkeit der Erhebung des umstrittenen Ausgleichsbetrages beeinträchtigen könnte.

Das FG Berlin wies die Klage durch Urteil vom 27. Februar 1976 III 510/74 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 513 – EFG 1976, 513 –) ab.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere der fehlenden Aufklärung des Sachverhalts, sowie der Art. 2, 3, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 974/71 hat ein Mitgliedstaat, der für seine Währung einen Wechselkurs über der amtlichen Parität zuläßt, für bestimmte Waren bei der Einfuhr Währungsausgleichsbeträge zu erheben. Die Bundesrepublik ist ein solcher Mitgliedstaat. Zum betroffenen Warenkreis gehören nach Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 974/71 Erzeugnisse, für die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation Interventionsmaßnahmen vorgesehen sind. Zu diesen Erzeugnissen zählt nach Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates (nachfolgend VO Nr. 804/68) über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABlEG Nr. L 148 vom 28. Juni 1968, BZBl 1968, 784) auch Käse der Tarifnr. 04.04 GZT. Nach Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 974/71 wird diese Regelung nur angewandt, sofern die Anwendung der genannten Währungsmaßnahmen zu Störungen des Warenverkehrs mit Agrarerzeugnissen führen würde. Art. 2 VO Nr. 974/71 regelt die Art und Weise der Berechnung der Ausgleichsbeträge. Durch Art. 6 VO Nr. 974/71 ist die Kommission ermächtigt worden, im Verwaltungsausschußverfahren Durchführungsvorschriften zu erlassen und in diesen insbesondere die Festsetzung der Ausgleichsbeträge vorzusehen. Von dieser Ermächtigung hat die Kommission u. a. in der Verordnung (EWG) Nr. 725/74 vom 29. März 1974 – nachfolgend VO Nr. 725/74 – (ABlEG Nr. L 89 vom 1. April 1974 S. 1) Gebrauch gemacht (das FG hat sich zu Unrecht auf die VO Nr. 1265/73 bezogen, die jedoch im wesentlichen den gleichen Inhalt hat. Nach Teil 5 des Anhangs I dieser Verordnung war eine Währungsausgleichsabgabe für in die Bundesrepublik eingeführten Schafkäse der Tarifst. 04.04 E I b 4 in Höhe von 63,80 DM/100 kg zu erheben.

2. Der angefochtene Steuerbescheid steht in Übereinstimmung mit den Vorschriften der VO Nr. 725/74, wir zwischen den Parteien nicht streitig ist. Der Bescheid wäre daher nur dann nicht rechtmäßig, wenn die genannte Verordnung gemeinschaftsrechtlich unwirksam oder – falls die Grundsätze der vom FG zitierten BVerfG-Entscheidung vom 29. Mai 1974 2 BvL 52/71 (BVerfGE 37, 271) eingewendet wurden – wenigstens im Geltungsbereich des Grundgesetzes wegen Kollision mit einer Grundrechtvorschrift des Grundgesetzes nicht anwendbar wäre.

Die gemeinschaftsrechtliche Gültigkeit der VO Nr. 725/74 hat der EGH auf entsprechendes Ersuchen der Vorinstanz in seiner Vorabentscheidung nach Art. 177 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) bejaht. Diese Entscheidung war für das FG und ist für den erkennenden Senat bindend.

Die Klägerin wendet sich gegen diese ihr im Ergebnis Unrecht gebende Vorabentscheidung – und wohl auch gegen die Vorentscheidung – mit der Rüge, die Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG und Art. 164 EWGV seien verletzt. Es kann hier dahinstehen, welche rechtlichen Folgerungen zu ziehen wären, falls diese Rüge begründet wäre. Denn jedenfalls liegt eine Verletzung der genannten Vorschriften nicht vor.

In erster Linie rügt die Klägerin eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG. Danach steht dem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Dieses Verfahrensgrundrecht garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozeßordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. BVerfG-Beschluß vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, BVerfGE 40, 272, mit weiteren Nachweisen). Dabei darf sich das Gericht nicht nur auf die Nachprüfung der rechtlichen Seite beschränken und die behördliche Tatsachenfeststellung ungeprüft zugrunde legen (BVerfG-Beschluß vom 15. Februar 1967 2 BvR 658/65, BVerfGE 21, 191, 194). Im vorliegenden Verfahren ist der Klägerin dieser Rechtsschutz im finanzgerichtlichen Verfahren und im Vorabentscheidungsverfahren vor dem BGH gewährt worden.

Die Klägerin sieht die Verweigerung des effektiven Rechtsschutzes im vorgenannten Sinne in dem Umstand, daß der EGH in seiner Entscheidung der Kommission für den Bereich der Währungsausgleichsbeträge „praktisch einen unbegrenzten Ermessensspielraum eingeräumt” und die gegen eine Marktstörung sprechenden, von der Klägerin vorgetragenen Fakten nicht gewürdigt habe. Diese Einwände halten jedoch einer näheren Prüfung nicht stand.

Der EGH hat die Ermächtigungsvorschrift des Art. 6 in Verbindung mit der Störungsklausel des Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 974/71 dahin ausgelegt, daß der Rat der Kommission bei der Ausübung der ihr übertragenen Rechtsetzungsbefugnis und bei der in diesem Zusammenhang erforderlichen Beurteilung der Störungsklausel einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt hat und daß daher die entsprechenden Rechtsetzungsakte der Kommission nur in eingeschränkter Weise richterlich überprüfbar sind. Daß in einer solchen durch Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften gewonnenen Einschränkung der richterlichen Prüfungsbefugnis keine Verletzung des Verfahrensgrundrechts des Art. 19 Abs. 4 GG liegen kann, ergibt schon die Überlegung, daß der Rat rechtlich nicht gehindert war, in noch weiterem Umfang die Rechtsetzungsbefugnis auf die Kommission zu delegieren, also z. B. die Kommission bei der Ausnutzung der Ermächtigung nicht an die Störungsklausel des Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 974/71 zu binden; dann wäre die richterliche Nachprüfbarkeit der Frage, ob eine Kommissionsverordnung mit der Ratsermächtigung konform geht, noch wesentlich weiter eingeschränkt worden. Im übrigen kennt auch das deutsche Recht solche Einschränkungen der richterlichen Nachprüfbarkeit, z. B. hinsichtlich von Prüfungsentscheidungen (vgl. etwa Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 24. August 1976 VII R 17/74, BFHE 120, 106 BStBl II 1976, 797) oder bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung (vgl. § 102 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Obwohl es sich in diesen Fällen um Verwaltungsakte – und nicht wie hier um Akte der Rechtsetzung – handelt, liegt ein Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vor, weil diese zwar den Zugang zu den Gerichten gewährleistet, nicht aber etwas aussagt über den materiellen Gehalt der Entscheidung des Gerichts.

Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein Gericht sein Prüfungsrecht willkürlich völlig verneinte. So liegt der Fall hier aber nicht. Der EGH hat in seiner Vorabentscheidung zwar der Kommission (und dem Verwaltungsausschuß) „einen weiten Ermessensspielraum” bei seiner Entscheidung im Rahmen des Art. 6 VO Nr. 974/71 eingeräumt, aber ausdrücklich entschieden, daß die Rechtmäßigkeit der Ausübung dieser Befugnis durch die Kommission der richterlichen Kontrolle unterworfen ist, wenn diese sich auch darauf beschränke zu prüfen, „ob der Behörde kein offensichtlicher Irrtum oder Ermessensmißbrauch unterlaufen ist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums nicht offensichtlich überschritten hat”. Der EGH hat also nicht etwa sein Prüfungsrecht willkürlich völlig verneint, sondern ist in Auslegung der VO Nr. 974/71 lediglich davon ausgegangen, daß diese Verordnung der Kommission beim Erlaß der Durchführungsvorschriften einen Ermessensspielraum einräume, dessen Einhaltung nur im eingeschränkten Umfang gerichtlich überprüft werden könne. Damit hat der EGH zu einer materiell-rechtlichen Frage eine Entscheidung getroffen, aber nicht etwa den von Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Zugang zu den Gerichten blockiert.

Auch aus den sonstigen Ausführungen des EGH in seiner Vorabentscheidung ergibt sich nichts für die Auffassung der Klägerin. Der EGH hat die Ermessensausübung der Kommission unter den genannten Gesichtspunkten geprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß sie rechtmäßig war. Dabei entschied der EGH insbesondere, daß die Kommission sich auf pauschale Beurteilungskriterien stützen dürfe – insbesondere bei einer Gruppe von Erzeugnissen, die derselben Tarifnummer angehörten und derselben Abschöpfungsregelung unterlägen – weil eine differenzierende Beurteilung nicht nur die Praktikabilität des Systems in Frage stellt, sondern darüber hinaus auch einen Anreiz für Verkehrsverlagerungen geschaffen hätte. Daraus ergibt sich nichts, was auf eine Verweigerung des Rechtsschutzes der Klägerin hinausliefe. Der EGH hat lediglich eine Rechtsauffassung vertreten, die von jener der Klägerin abweicht, und im Rahmen dieser Rechtsauffassung entschieden, daß der Tatsachenvortrag der Klägerin nicht rechtserheblich war. Die Angriffe der Klägerin richten sich also im Grunde gegen die Richtigkeit der Vorabentscheidung des EGH. Art. 19 Abs. 4 GG gibt aber keine Handhabe für eine nochmalige Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung außerhalb des von der Verfahrensordnung dafür vorgesehenen Rechtsmittelverfahrens.

Fehl geht auch die Rüge der Klägerin, es seien Art. 20 Abs. 3 GG (die Rechtsprechung ist an Gesetz und Recht gebunden) und Art. 164 EWGV (der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags) verletzt worden. Die Klägerin begründet diese Rüge damit, der EGH habe sich offenbar nicht in der Lage gesehen, den von ihr angefochtenen Grenzausgleich mit den gesetzlichen Voraussetzungen der VO Nr. 974/71 zu rechtfertigen, und habe daher auf Argumente zurückgreifen müssen, die ganz offensichtlich außerhalb des Regelungsbereichs der genannten Verordnung lägen. Die Vorabentscheidung des EGH, das angefochtene Urteil des FG und das vorliegende Urteil des erkennenden Senats dienten und dienen dazu, festzustellen, was nach Gesetz und Recht Rechtens ist. Es ist nichts ersichtlich, was die Auffassung der Klägerin stützen könnte, die EGH-Entscheidung oder das Urteil des FG hätte sich von etwas anderem als Gesetz und Recht bei ihren Entscheidungen leiten lassen. Das gilt auch, soweit der EGH bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verletzung des Gleichheitssatzes vorliegt, die Ungleichbehandlung der Einführer von Schafkäse aus Bulgarien und von bestimmten Käsesorten aus Italien und der Schweiz im Hinblick auf die Gemeinschaftspräferenz handelspolitische Unterschiede als nicht willkürlich angesehen hat (vgl. die untenstehenden Ausführungen).

Die gemeinschaftsrechtlich gültige VO Nr. 725/74 kollidiert auch nicht etwa mit einer Grundrechtsvorschrift des Grundgesetzes (vgl. den zitierten BVerfG-Beschluß vom 29. Mai 1974).

Die Klägerin rügt in diesem Zusammenhang in erster Linie die Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie sieht diese Verletzung darin, daß durch die VO Nr. 725/74 Schafkäse aus Bulgarien den Währungsausgleichsbeträgen unterworfen worden ist, obwohl bestimmte schweizerische und italienische Käsesorten von diesen Beträgen freigestellt worden sind. Darin liegt jedoch keine unzulässige Ungleichbehandlung, wie auch der EGH in seiner Vorabentscheidung zu Recht entschieden hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt, wenn also die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (vgl. Schmidt-Bleibtreu-Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 4. Auflage., Art. 3 Anm. 13 und die dort zusammengestellte Rechtsprechung). Für den Gesetzgeber bedeutet das die allgemeine Weisung, bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Dabei bleibt dem Gesetzgeber noch immer ein weiter Spielraum für die Betätigung seines Ermessens (vgl. Urteil des BVerfG vom 17. Dezember 1953 1 BvR 147/52, BVerfGE 3, 58, 135).

Durch die VO Nr. 725/74 sind im Grundsatz alle Käsearten den Ausgleichsbeträgen unterworfen worden. Ausnahmen gelten nur für bestimmte Käsesorten aus Italien und der Schweiz. Es ist schon fraglich, ob die Klägerin nach dem Gleichheitssatz Anspruch erheben könnte auf eine gleiche Ungleichbehandlung wie die Einführer der unter die Ausnahmeregelung fallenden Käsesorten. Jedenfalls aber kann die Ungleichbehandlung des Schafkäses aus Bulgarien einerseits und der besonderen Käsesorten aus Italien und der Schweiz andrerseits nicht als willkürlich angesehen werden. Bei ihrer Entscheidung konnte die Kommission bei der Ausübung ihres weiten gesetzgeberischen Ermessens (vgl. die zuletzt zitierte BVerfG-Entscheidung) sich von allen sachgerechten Erwägungen leiten lassen, war also – jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes – nicht gehalten, Erwägungen außer acht zu lassen, die nicht unmittelbar mit den das Ausgleichsabgabensystem auslösenden Währungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten zusammenhängen. So konnten also ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz allein schon die Gesichtspunkte der Gemeinschaftspräferenz und der besonderen handelspolitischen Bindungen zur Schweiz über die Allgemeine- und Handelsabkommen (GATT) zu einer Bevorzugung italienischer und schweizerischer Käsesorten führen, wie auch der EGH in seiner Vorabentscheidung entschieden hat. Beide Gesichtspunkte trafen für Schafkäse aus Bulgarien nicht zu. Es ist also nicht als willkürlich anzusehen, daß die VO Nr. 725/74 diese Käsesorten allen anderen Käsesorten (mit Ausnahme der genannten schweizerischen und italienischen) gleichgestellt hat.

Unbegründet ist auch die Rüge der Klägerin, Art. 2 GG (allgemeines Freiheitsrecht) sei verletzt worden. Diese Bestimmung gewährleistet die Handlungsfreiheit unter Beschränkung auf die verfassungsmäßige Ordnung, verbietet also Eingriffe der Staatsgewalt, die nicht rechtsstaatlich sind. Es ist nicht ersichtlich, wieso eine – Gesetz und Recht entsprechende – Abgabe in Höhe von 63,80 DM/100 kg einen unzulässigen Eingriff in das allgemeine Freiheitsrecht des einzelnen darstellen sollte.

Die Klägerin rügt ferner, die Kommission hätte für Schafkäse aus Bulgarien Währungsausgleichsbeträge nicht vorsehen dürfen, weil die Anwendung der Währungsmaßnahmen im Hinblick auf diese Ware auch bei Absehen von Ausgleichsbeträgen nicht zu Störungen des Warenverkehrs i. S. des Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 974/71 geführt hätte. Diese Rüge kann nur dahin verstanden werden, daß die Klägerin die Verletzung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rügt. Nach diesem Grundsatz müssen Eingriffe zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sein; sie dürfen zudem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen (vgl. z. B. BVerfG-Beschluß vom 26. Mai 1970 1 BvR 668, 710/68 und 337/69, BVerfGE 28, 264, 280). Die angegriffene Belastung mit dem Währungsausgleichsbetrag erfüllt das Merkmal der Erforderlichkeit, auf das allein hier näher einzugehen ist.

Wie bereits unter 1. ausgeführt, fällt Käse der Tarifnr. 04.04 GZT ohne Ausnahme unter die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (Art. 1 VO Nr. 804/68). Die Einfuhr von Käse unterliegt daher zum Schutz des Preissystems der Marktordnung einer Abschöpfung (Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 804/68). Dieser Schutz war aufgrund der Währungsmaßnahmen – insbesondere infolge der die Einfuhr verbilligenden Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark – nicht mehr im vorher bestehenden Umfang gewahrt. Es entsprach also durchaus dem Sinn der Regelung der VO Nr. 974/71, Käse grundsätzlich in das Ausgleichsabgabensystem einzubeziehen. Denn dieses System soll das System der Abschöpfungen in der Weise ergänzen, daß die Auswirkungen der Währungsentwicklung kompensiert werden und insbesondere vermieden wird, daß die Währungsentwicklung die Bedingungen auf dem gemeinschaftlichen Agrarmarkt so verändert, daß die herkömmlichen Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten sowie von und nach Drittländern, die sich im Rahmen der Marktordnungsregelungen entwickelt haben, in einer ins Gewicht fallenden Weise umgelenkt werden (vgl. auch die Ausführungen in den Absätzen 3 bis 9 und 29 der Entscheidungsgründe des EGH-Urteils vom 24. Oktober 1973 Rs. 5/73, EGHE 1973, 1091).

Bei dieser Sachlage verstößt die grundsätzliche Einbeziehung der Warengruppe Käse in das Ausgleichsbetragssystem nicht gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit. Ein solcher Verstoß kann aber auch nicht darin erblickt werden, daß wegen der besonderen Verhältnisse bei Schafkäse für diesen keine Ausnahme vorgesehen worden ist. Das ergibt sich schon aus dem auch von der Kommission in den beiden Vorabentscheidungsverfahren Rs. 5/73 und 55/75 hervorgehobenen Umstand, daß Schafkäse als Spezialerzeugnis des an Spezialitäten reichen Käsemarktes im Substitutionswettbewerb zu anderen Käsespezialitäten der EG tritt und deswegen eine potentielle Störungsgefahr i. S. des Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 974/71 darstellt. Hinzu kommt, daß bei der besonderen Schwierigkeit, die sich aus der Währungsentwicklung ergab, bei dem daraus resultierenden Zwang zu raschen Entscheidung und der praktischen Unmöglichkeit für die Kommission, für jede Käseart aus jedem Lieferland die potentielle Störungsgefahr exakt zu überblicken, sich eine Typisierung oder – wie es der EGH in seiner Vorabentscheidung Rs. 55/75 genannt hat – eine pauschale Beurteilung der Kommission aufdrängte. Es kann also nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesehen werden, wenn die Kommission bei der Frage der Notwendigkeit der Einführung des Ausgleichssystems auf die gesamte Warengruppe Käse abstellte, ohne nach einzelnen Arten, Lieferländern Preisgestaltungen usw. zu differenzieren (vgl. auch die Ausführungen des EGH zur Frage der Verhältnismäßigkeit in den Absätzen 19-23 seiner Entscheidung Rs. 5/73). Selbst wenn also dem Vorbringen der Klägerin zu folgen wäre, daß die Einfuhr von Schafkäse aus Bulgarien zum hier maßgebenden Zeitpunkt für sich allein nicht geeignet gewesen wäre, Störungen im Handel mit Agrarerzeugnissen in der Bundesrepublik hervorzurufen, würde sich daraus nicht ergeben, daß die grundsätzliche Einbeziehung von Käse in das Ausgleichsabgabensystem zur Erreichung des angestrebten Zwecks – Sicherstellung der einwandfreien Funktion des gemeinsamen Agrarmarktes – im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit etwa nicht erforderlich war.

 

Fundstellen

BFHE 1978, 276

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