Leitsatz (amtlich)

1. Die deutsche Ausgleichsabgabenverordnung vom 14. Mai 1971 verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip und die daraus abgeleiteten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Abgabengerechtigkeit.

2. Die Ausgleichsabgabe war auch während der Gültigkeitsdauer der Ausgleichsabgabenverordnung nach dem am Tage der Antragstellung gültigen Satz zu erheben.

 

Normenkette

GG Rechtsstaatsprinzip (Art. 20); ZG § 21 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. f., § 35 Abs. 1; Verordnung über die Erhebung einer Ausgleichsabgabe zur Sicherung der deutschen Landwirtschaft vom 14. Mai 1971; EWGV 974/71; EWGV 548/72

 

Tatbestand

Am 24. März 1972 beantragte die Klägerin die Abfertigung von 13 590 kg weißem bulgarischen Schafkäse der Tarifst. 04.04 E I 3 4 zum freien Verkehr. Im Ursprungszeugnis wurde ein umgerechneter Preis von 43 216,20 DM ausgewiesen. Das Hauptzollamt (HZA) forderte von der Klägerin mit Bescheid vom 27. März 1972 neben einer Abschöpfung und Einfuhrumsatzsteuer 6 183,45 DM Ausgleichsbeträge (45,50 DM/100 kg).

Gegen die Erhebung dieser Ausgleichsbeträge erhob die Klägerin Sprungklage. Das Finanzgericht (FG) legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) nach Art. 177 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag – EWGV –) mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Der EGH entschied mit Urteil vom 24. Oktober 1973 Rs. 5/73 (EGHE 1973, 1091): „Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergehen, was die Gültigkeit der Verordnung Nr. 974/71 des Rates oder der Verordnungen Nr. 1013/71, 1014/71 und 548/72 der Kommission zur Festsetzung der in dem laut Vorlagefragen maßgeblichen Zeitpunkt anwendbaren Ausgleichsbeträge in Frage stellen könnte.”

Mit dem angefochtenen Urteil vom 7. Februar 1975 III 581/72 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1975 S. 321 – EFG 1975, 321 –) setzte das FG Berlin die Ausgleichsbeträge abweichend vom Steuerbescheid vom 27. März 1972 auf 3 941,10 DM fest und wies im übrigen die Klage ab. Zur Begründung führte es u. a. aus:

Das HZA sei lediglich berechtigt gewesen, seine Forderung nach einem Satz von 29 DM/100 kg Schafkäse zu berechnen. Das ergebe sich aus § 21 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. f des Zollgesetzes (ZG) und der aufgrund dieser Bestimmung erlassenen Verordnung der Bundesregierung über die Erhebung einer Ausgleichsabgabe zur Sicherung der deutschen Landwirtschaft vom 14. Mai 1971 (BGBl II 1971, 233, Bundeszollblatt 1971 S. 486 – BZBl 1971, 486 –, im folgenden: Ausgleichsabgabenverordnung) sowie den zu dieser Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABlEG) durch entsprechende Hinweise im Bundesanzeiger (BAnz) bekanntgegebenen Abgabensätzen.

Das HZA sei nach der Ausgleichsabgabenverordnung berechtigt gewesen, Ausgleichsbeträge für die Einfuhr von Schafkäse zu erheben. Nach § 1 der Verordnung seien die Ausgleichsbeträge bei landwirtschaftlichen Waren des Anhangs II zum EWG-Vertrag zu erheben. Zu diesen Waren gehörten auch Milch und Milcherzeugnisse. Darunter falle auch Schafkäse. Auch diese Ware sei ein Milcherzeugnis, wenn auch aus Schafmilch, das der normale Verbraucher als ein Spezialerzeugnis des an Spezialitäten reichen Käsemarktes ansehe.

Die Zollverwaltung sei jedoch nicht berechtigt gewesen, am 24. März 1972 einen höheren Satz als 29 DM/100 kg Schafkäse dem Ausgleichsbetrag zugrunde zu legen. Der vom HZA zugrunde gelegte Satz von 45,50 DM/100 kg sei überhöht gewesen. Es seien nicht immer die am Tage der Einfuhr zuletzt bekanntgegebenen Abgabensätze zu erheben gewesen. § 35 ZG sei nicht ohne Vorbehalt anwendbar. Nach dem Sinn der Verordnung könne es nur auf die Auswirkungen der Währungsmaßnahmen auf die Preisbemessung durch den Vertrag vom 3. November 1971 ankommen. Als vermutete Verbilligung des Einfuhrpreises lasse sich der Betrag annehmen, der dem Wertanstieg der Deutschen Mark zwischen dem 5. Mai 1971 und dem 3. November 1971 auf den internationalen Devisenmärkten entspreche. Der Verordnungsgeber habe sich für die Zeit vom 4. Oktober bis 31. Dezember 1971 mit einem gleichmäßigen Satz von 29 DM/100 kg begnügt. Nur die Anwendung dieses Satzes sei zulässig.

Gegen diese Entscheidung haben beide Beteiligte Revision eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des HZA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage in vollem Umfange.

Nach Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 974/71 des Rates vom 12. Mai 1971 – nachfolgend VO Nr. 974/71 – (ABlEG Nr. L 106 S. 1 vom 12. Mai 1971) in der Fassung, die im Zeitpunkt der fraglichen Einfuhren galt (BZBl 1971, 550), war ein Mitgliedstaat, der bei Handelsgeschäften für seine Währung einen Wechselkurs zuließ, der über der durch die internationale Regelung genehmigten Bandbreite lag, ermächtigt, für bestimmte Erzeugnisse bei der Einfuhr aus dritten Ländern Ausgleichsbeträge zu erheben. Dabei war er an die in den folgenden Bestimmungen der VO Nr. 974/71 festgesetzten Bedingungen gebunden (vgl. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung). Die Regelung galt u. a. für Erzeugnisse, deren Preis sich nach dem Preis von Waren richtete, für die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisationen Interventionsmaßnahmen vorgesehen waren, und die unter die gemeinsamen Marktorganisationen fielen (Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 974/71). Zu diesen Erzeugnissen gehörte nach Art. 1 Buchst. d, 5 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 (nachfolgend VO Nr. 804/68) über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABlEG Nr. L 148 vom 28. Juni 1968, BZBl 1968, 784) auch Käse der Tarifnr. 04.04 des Gemeinsamen Zolltarifs – GZT – (vgl. auch Verordnung (EWG) Nr. 823/68 des Rates vom 28. Juni 1968 – nachfolgend VO Nr. 823/68 –, ABlEG Nr. L 151 vom 30. Juni 1968 S. 3 und Abs. 37 der Entscheidungsgründe der Vorabentscheidung des EGH). Nach Art. 1 Abs. 2 Unterabsatz 2 VO Nr. 974/71 wird „von dieser Möglichkeit … nur Gebrauch gemacht, sofern die Anwendung der in Abs. 1 genannten Währungsmaßnahmen zu Störungen des Warenverkehrs mit Agrarerzeugnissen führen würde”. Art. 2 VO Nr. 974/71 regelte die Art und Weise der Berechnung der Ausgleichsbeträge. Durch Art. 6 VO Nr. 974/71 wurde die Kommission ermächtigt, im Verwaltungsauschußverfahren Durchführungsbestimmungen zu erlassen; „… in den Durchführungsbestimmungen (ist) insbesondere die Festsetzung der Ausgleichsbeträge vorgesehen” (Absatz 2). Art. 7 VO Nr. 974/71 bestimmte schließlich, daß von der in dieser Verordnung vorgesehenen Ermächtigung nicht teilweise oder zeitweilig Gebrauch gemacht werden darf. Aufgrund der genannten Ermächtigung hatte die Kommission zunächst die Verordnung (EWG) Nr. 1013/71 vom 17. Mai 1971 – nachfolgend VO Nr. 1013/71 – (ABlEG Nr. L 110 vom 18. Mai 1971 S. 8, BZBl 1971, 552) erlassen; diese Verordnung enthält einige technische Anordnungen, insbesondere hinsichtlich der Feststellung der Kassawechselkurse gegenüber dem Dollar. Die Verordnung (EWG) Nr. 1014/71 der Kommission vom 17. Mai 1971 – nachfolgend VO Nr. 1014/71 – (ABlEG Nr. L 110 vom 18. Mai 1971 S. 10, BZBl 1971, 554) führte in ihren Anhängen für die einzelnen in Betracht kommenden Erzeugnisse die Ausgleichsbeträge an. Diese Verordnung wurde immer wieder geändert, u. a. durch die Verordnung (EWG) Nr. 548/72 der Kommission vom 16. März 1972 – nachfolgend VO Nr. 548/72 – (ABlEG Nr. L 66 vom 18. März 1972 S. 1, BZBl 1972, 485). Letztere sah in Anhang V Teil A unter der Zolltarifnr. ex 04.04 für „Käse und Quark, ausgenommen Grana Padano und Parmigiano Reggiano” bei Einfuhren aus dritten Ländern einen „Grundbetrag je kg Eigengewicht” in Höhe von 45,50 DM vor.

1. Die (deutsche) Ausgleichsabgabenverordnung ist wirksam erlassen worden. Sie hält sich im Rahmen der Ermächtigung des § 21 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. f ZG. Diese Ermächtigung entspricht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG. Eine Verletzung des Zitiergebots des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG liegt nicht vor. Zur Begründung verweist der erkennende Senat auf sein Urteil vom 2. August 1977 VII R 37/74 (BFHE 123, 262), in dem er sich mit allen auch in diesem Verfahren gegen die Gültigkeit der Ausgleichsabgabenverordnung vorgetragenen Argumenten auseinandergesetzt hat.

Zusätzlich zu den dort behandelten Argumenten bringt die Klägerin des vorliegenden Verfahrens noch vor, die Ausgleichsabgabenverordnung hätte nur aufgrund einer gültigen gemeinschaftsrechtlichen Ermächtigung erlassen werden dürfen, die aber nicht bestehe, da entgegen der Vorabentscheidung des EGH Art. 103 EWGV keine Rechtsgrundlage für den Erlaß der VO Nr. 974/71 abgegeben habe. Die Klägerin wendet sich damit gegen die Rechtmäßigkeit der Vorabentscheidung mit Argumenten, die auch im Verfahren vor dem EGH vorgetragen worden sind. Damit kann sie jedoch nicht mehr gehört, werden. Denn das EGH-Urteil ist im vorliegenden Verfahren sowohl für das FG als auch für den Bundesfinanzhof (BFH) bindend. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 177 EWGV („Vorabentscheidung”, französisch: Entscheidung „à titre préjudiciel”) und aus seinem Sinn, da andererseits die Wahrung der Rechtseinheit innerhalb der EWG – das offensichtliche Ziel des durch Art. 177 EWGV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahrens – nicht gewahrt werden könnte (vgl. EGH-Urteil vom 24. Juni 1969 Rs. 29/68, EGHE 1969, 165; Wohlfahrth-Eberling-Glaesner-Sprung, Kommentar zum EWG-Vertrag. Anm. 5 zu Art. 177; Groeben-Boeckh-Thiesing, Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Auflage, Art. 177 Anm. V).

Fehl geht auch die Rüge der Klägerin, die Regelung der Ausgleichsabgabenverordnung verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Abgabengerechtigkeit. Die Klägerin übersieht dabei – wie das auch das FG getan hat –, daß die genannte Verordnung keine eigenständige Regelung hinsichtlich der von den Ausgleichsbeträgen betroffenen Waren und der Höhe dieser Beträge enthält, sondern lediglich von der Ermächtigung der VO Nr. 974/71 in dem von dieser Verordnung gesteckten Rahmen Gebrauch machte.

Die VO Nr. 974/71 läßt den Mitgliedstaaten die Entscheidungsfreiheit lediglich hinsichtlich der Frage, ob sie Währungsausgleichsbeträge erheben wollen. Hinsichtlich des „Wie” sind die Mitgliedstaaten dagegen gebunden. Das ergibt sich aus ihrem Art. 1 Abs. 1 (werden Ausgleichsbeträge erhoben, dann „nach den im folgenden festgesetzten Bedingungen”), aus Art. 6 (Ermächtigung an die Kommission zu Durchführungsbestimmungen und insbesondere dazu, die Höhe der Beträge festzusetzen) und schließlich aus Art. 7, wonach von der Ermächtigung nicht teilweise oder zeitweise Gebrauch gemacht werden darf. Die Mitgliedstaaten hatten also, falls sie von der Ermächtigung Gebrauch machten, das Ausgleichsbetragssystem der VO Nr. 974/71 im ganzen zu übernehmen.

Dies hat die Ausgleichsabgabenverordnung auch getan. Die Regelung ihres § 1 ist eindeutig. Nach § 1 Abs. 1 werden die Ausgleichsbeträge insoweit erhoben, als sie von der VO Nr. 974/71 zugelassen und von der Kommission festgesetzt worden sind. Die betroffenen Waren und die Beträge werden nach § 1 Abs. 3 der Verordnung vom Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen (BMWF) im BAnz bekanntgegeben, also nicht etwa selbst bestimmt. Nur diese Auslegung der Ausgleichsabgabenverordnung steht übrigens auch im Einklang mit den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, da, wie oben ausgeführt, die VO Nr. 974/71 den Mitgliedstaaten nur die Entscheidung über das „Ob” der Annahme des Ausgleichsbetragssystems belassen hat.

Mißt man die so zu verstehende Ausgleichsabgabenverordnung an dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und den daran abgeleiteten Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Abgabengerechtigkeit, so ergibt sich, daß diese nicht verletzt sind. Dabei ist davon auszugehen, daß der Verordnungsgeber bei Erlaß der Verordnung nicht etwa voraussehen konnte, in welchen Einzelfällen der gemeinschaftsrechtliche Normgeber von seiner Ermächtigung Gebrauch machen würde. Der Verordnungsgeber kannte lediglich das gemeinschaftsrechtliche Normgebungsprogramm der VO Nr. 974/71. Dieses Programm mit seinen insbesondere in den Art. 1 und 2 der VO Nr. 974/71 für die Festsetzung der Ausgleichsbeträge aufgezählten Voraussetzungen bot für die Rechtsunterworfenen eine genügende Sicherheit gegen willkürliche Inanspruchnahme, zumal der gemeinschaftsrechtliche Rechtsschutz durch den EGH über das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EWGV gewahrt war. Für den Autor der Ausgleichsabgabenverordnung bestand also kein Anlaß, mit Rücksicht auf rechtsstaatliche Grundsätze und Grundrechte von der Entscheidung abzusehen, das Ausgleichsabgabensystem für die Bundesrepublik zu übernehmen, zumal sonst erhebliche Nachteile insbesondere für die Landwirtschaft die sichere Folge gewesen wären.

Im einzelnen ist noch folgendes zu sagen:

a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, daß die fragliche Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und daß der mit ihr verbundene Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 15. Januar 1970 1 BvR 13/68, BVerfGE 27, 344, 352, mit weiteren Nachweisen). Dieser Grundsatz ist weder durch den Umstand verletzt, daß sich der Verordnungsgeber grundsätzlich entschloß, das Währungsausgleichsabgabensystem der VO Nr. 974/71 im Zusammenhang mit den Durchführungsverordnungen der Kommission anzuwenden, noch dadurch, daß der Verordnungsgeber im übrigen auf die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen hinwies. Dieser Hinweis ist ohnehin nicht so zu verstehen, daß damit der Verordnungsgeber die besonderen gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen für die Ausgestaltung des Währungsausgleichssystems in das nationale Recht übernahm. Dessen bedurfte es nicht, da die entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, bereits unmittelbar in den Mitgliedstaaten galten, die von der Ermächtigung des Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 974/71 Gebrauch machten. Der Hinweis des § 1 Abs. 1 der Ausgleichsabgabenverordnung auf die Regelung der VO Nr. 974/71 auf die Festsetzung der Sätze durch die Kommission ist also ebenso deklaratorisch wie auch die in § 1 Abs. 3 der Verordnung geregelte Bekanntgabe im BAnz. Die Frage, ob die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen, stellt sich also bei der Frage nach der Gültigkeit der Ausgleichsabgabenverordnung nicht. Sie spielt allein eine Rolle bei der Prüfung der Gültigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen (vgl. unten Ziffer 3).

b) Auch von einer Verletzung des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit kann nicht die Rede sein. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, daß steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, daß der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann (vgl. BVerfG-Urteil vom 14. Dezember 1965 1 BvR 571/60, BVerfGE 19, 253, 267). Dieser Grundsatz kann durch die Ausgleichsabgabenverordnung schon deswegen nicht verletzt sein, weil sie nur das „Ob” der Erhebung von Währungsausgleichsbeträgen regelt, das „Wie” insbesondere hinsichtlich des betroffenen Warenkreises und des Satzes sich aber allein aus dem unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrecht ergibt.

c) Eine sonstige Verletzung des Rechtsstaatsprinzips ist ebenfalls nicht erkennbar. Die Tatsache, daß die Verordnung keine eigenständige Regelung enthält, sondern auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften verweist, ist schon deswegen nicht zu beanstanden, weil es sich, wie ausgeführt, nur um einen deklaratorischen Hinweis handelt. Im übrigen hat das BVerfG wiederholt entschieden, daß eine Verweisung mit Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit vereinbar ist, wenn sie hinreichend bestimmt ist und den Bürger in den Stand setzt, klar zu erkennen, welche Vorschriften im einzelnen maßgebend sein sollen (Beschluß vom 15. Juli 1969 2 BvF 1/64, BVerfGE 26, 338, 367); auch eine Bezugnahme auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften hat das BVerfG nicht beanstandet (Beschluß vom 13. Oktober 1970 2 BvR 618/68, BVerfGE 29, 198, 210).

2. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, daß nach der Ausgleichsabgabenverordnung der nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften für jenen Zeitpunkt gültige Abgabensatz zugrunde zu legen sei, in dem die für die streitigen Waren gültige Preisvereinbarung getroffen wurde (im vorliegenden Fall: 3. November 1971).

§ 1 Abs. 1 der Ausgleichsabgabenverordnung hat die Erhebung von „Ausgleichsbeträgen als Angleichungszoll” vorgeschrieben. Daraus und aus der Tatsache, daß die Verfahrensvorschriften in der Verordnung fehlen, ergibt sich, daß die Erhebung nach dem für Zölle geltenden Verfahren vorgenommen werden sollte. Dafür spricht auch, daß die Ausgleichsabgabenverordnung aufgrund einer Ermächtigung erlassen wurde, die im Zollgesetz steht. Die Entstehungsgeschichte der Eingangsworte der hier maßgebenden Ermächtigung bestätigt diese Auslegung. In § 21 Abs. 2 Nr. 4 ZG 1961 (BZBl 1961, 565) in seiner ursprünglichen Fassung hieß es noch, die Bundesregierung könne durch Rechtsverordnung anordnen, daß „für Waren zusätzlich Angleichungszollsätze angewendet werden” könnten. Diese Bestimmung hat dann durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. a des (ersten) Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes vom 4. September 1962 (BGBl I 1962, 605, BZBl 1962, 817) den heutigen Wortlaut erhalten. In der Begründung der Bundesregierung für diesen Änderungsvorschlag hieß es (BZBl 1962, 817), es solle im Gesetzeswortlaut noch deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, daß Ausgleichsabgaben nach den Bestimmungen des EWG-Vertrags materiell keine Zölle seien; die Ausgleichsabgaben würden nur aus verwaltungsökonomischen Gründen innerstaatlich in Form von Angleichungszöllen erhoben.

Die Zollvorschriften finden also auf die Ausgleichsabgaben unmittelbare – nicht nur sinngemäße – Anwendung. Anzuwenden ist daher auch § 35 Abs. 1 ZG. Danach werden bei der Abfertigung zum freien Verkehr die Zollvorschriften angewendet, die in dem Zeitpunkt gelten, in dem der Zollantrag gestellt oder wirksam geworden ist. Daraus ergibt sich, daß die Zölle – und damit die „in der Form von Angleichungszöllen” zu erhebenden Währungsausgleichsbeträge – jeweils nach jenen Sätzen zu erheben sind, die in dem genannten Zeitpunkt galten. Dieser eindeutigen – und auch nicht zu einem unsinnigen Ergebnis führenden – Regelung durfte das FG keinen anderen Inhalt geben. Eine Auslegung ist nicht mehr verfassungskonform, wenn durch sie der normative Regelungsinhalt erst getroffen oder neu bestimmt wird; dies kann nicht durch die Gerichte geschehen, weil sie damit einen Akt der Rechtsetzung vornehmen würden, der dem Gesetzgeber obliegt (BVerfG-Beschluß vom 22. Juni 1977 1 BvL 23/75, Neue Juristische Wochenschrift 1977 S. 1913 – NJW 1977, 1913 – mit weiteren Nachweisen).

Nur die genannte Regelung steht auch im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen. Das ergibt sich aus Art. 4 VO Nr. 1013/71 (Altkontraktregelung), der keinen Sinn hätte, ginge man von der Auslegung des FG aus. Die hier gegebene Auslegung wird ferner gestützt von der Vorabentscheidung des EGH im vorliegenden Fall. Darin ist diese Frage zwar nicht ausdrücklich angesprochen worden. Die Entscheidungsformel des EGH läßt aber die entsprechende Auffassung deutlich erkennen. Schließlich ist auch noch darauf zu verweisen, daß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 646/73 – nachfolgend VO Nr. 648/73 – (ABlEG Nr. L 64 vom 9. März 1973 S. 1, BZBl 1973, 323) ausdrücklich die Zollvorschriften für auf die Ausgleichsbeträge anwendbar erklärt und darüber hinaus – für den innergemeinschaftlichen Verkehr – bestimmt hat, daß für die Festsetzung der Höhe des zu erhebenden Ausgleichsbetrags der Tag maßgebend ist, an dem der Abfertigungsantrag gestellt wird (vgl. Art. 8 Abs. 3 dieser Verordnung). Diese Verordnung galt zwar in dem für den vorliegenden Fall maßgebenden Zeitpunkt noch nicht, kann aber als Bestätigung der hier vertretenen Auffassung gewertet werden.

Das FG meint, daß bei dieser Auslegung – die zur Anwendung eines Satzes von 45,50 DM/100 kg anstatt 29 DM/100 kg führt – von der Ermächtigungsnorm des § 21 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. f ZG abgewichen werde, weil die strittige Abgabe in ihrem Kern verändert und aus ihr ein marktverändernder Schutzzoll würde. Das ist schon deswegen nicht der Fall, weil das Abstellen auf den Zeitpunkt der Einfuhr nicht zwangsläufig zu einer Benachteiligung des Einführers führen muß, sondern – bei einer Abwärtsbewegung der Währungsparität – auch den umgekehrten Effekt haben kann. Außerdem berührt die Regelung des für die Anwendung des Satzes maßgebenden Zeitpunkts genausowenig das Wesen der Währungsausgleichsbeträge, wie sie das etwa bei Zöllen und Abschöpfungen tut.

3. Der im maßgebenden Zeitpunkt (§ 35 Abs. 1 ZG) gültige Satz des Ausgleichsbetrags ergibt sich aus der in der VO Nr. 548/72 (vgl. BAnz Nr. 56 vom 21. März 1972 S. 3) enthaltenen Festsetzung der Kommission, auf die § 1 Abs. 1 der Ausgleichsabgabenverordnung ausdrücklich verwiesen hat. Der angefochtene Abgabenbescheid entspricht dieser Regelung. Er wäre daher nur unrechtmäßig, wenn die genannte Verordnung rechtsunwirksam wäre. Daß das nicht der Fall ist, hat der EGH – für den vorliegenden Fall bindend (vgl. oben Nr. 1 Abs. 2) – entschieden. Eine erneute Vorlage an den EGH kommt um so weniger in Betracht, weil der EGH die in seiner Vorabentscheidung vertretene Rechtsauffassung im Urteil vom 22. Januar 1976 Rs. 55/75 (EGHE 1976, 19) bestätigt und präzisiert hat.

Die Klägerin rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das FG (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –), die sie darin sieht, daß das FG der Frage, ob für Schafkäse die Voraussetzungen der Störungsklausel des Art. 1 Abs. 2 Unterabsatz 2 VO Nr. 974/71 erfüllt seien, in tatsächlicher Hinsicht nicht nachgegangen ist. Diese Rüge geht jedoch fehl. Zur Begründung verweist der Senat auf Ziffer 3 der Gründe seines Urteils mit denselben Beteiligten vom 8. November 1977 VII R 37/76 (BFHE 124, 276).

4. Das im vorliegenden Fall bindende Urteil des EGH steht auch in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Grundgesetzes. Das gleiche gilt hinsichtlich des angefochtenen, aufgrund der zitierten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen erlassenen Steuerbescheids. Auch insoweit verweist der Senat auf sein heutiges Urteil in der Sache VII R 37/76 (Ziffer 2 der Urteilsgründe). Da es also an einer Kollision zwischen Gemeinschaftsrecht und den Grundrechtsgarantien des Grundgesetzes fehlt, bedarf es keines Eingehens auf die im Beschluß des BVerfG vom 29. Mai 1974 2 BvL 52/71 (BVerfGE 37, 271 ff.) aufgeworfenen Fragen.

Nach allem ist auf die Revision des HZA die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, während die Revision der Klägerin zurückzuweisen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514765

BFHE 1978, 268

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