Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Ermittlung des abzugsfähigen Verlustes gelten bezüglich der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung die gleichen Grundsätze wie für die Gewinnermittlung. Danach ist beim Vorhandensein mehrerer Betriebe in der Person eines Steuerpflichtigen Voraussetzung für den Verlustabzug, daß für alle Betriebe eine ordnungsmäßige Buchführung vorliegt, auf Grund deren das Gesamtergebnis ermittelt werden kann.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 4, § 10d

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) war Inhaber eines Betriebes zur Herstellung von Kohlenanzündern in T. (sowjetische Besatzungszone), den er wegen eines gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens aufgeben mußte, und der dann im September 1949 entschädigungslos enteignet wurde. Er eröffnete am 1. September 1949 einen gleichartigen Betrieb in West-Berlin und erklärte aus diesem Betriebe für das Jahr 1949 einen Gewinn von 184 DM, mit dem er auch zur Einkommensteuer veranlagt wurde.

Für das Jahr 1950 machte der Bf. einen Enteignungsverlust von 4.877 DM als Sonderausgabe geltend, den das Finanzamt jedoch bei der vorläufigen Veranlagung für 1950 nicht anerkannte.

Mit seinem Einspruch begehrte der Bf. unter Beifügung nachträglich erstellter Bilanzen nunmehr die Anerkennung eines Enteignungsverlustes von 33.568 DM, wobei er den Verlust mit DM-Ost = DM-West ansetzte, da es sich bei den enteigneten Gegenständen im wesentlichen um den Verlust von Grundstücken, Gebäuden, Maschinen und Werkzeugen gehandelt habe. Der Steuer ausschuß erkannte den Verlust nur in Höhe von 3.386 DM an, indem er von dem Vermögen des Bf. am 24. Juni 1948 die Privatentnahmen bis zum 30. März 1949 absetzte und den dann verbleibenden Betrag im Verhältnis 5:1 umrechnete.

Die Berufung blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht verböserte die angefochtene Entscheidung auf die Anschlußberufung des Beschwerdegegners noch insofern, als es den für 1950 vom Steuerausschuß anerkannten Verlust aus der Enteignung nicht anerkannte. Das Verwaltungsgericht führte zur Begründung aus: Das Gericht habe zwar "keine unüberwindlichen Bedenken", die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung in dem Ostberliner Betrieb anzuerkennen, da der Bf. die wesentlichsten Grundlagen der Bilanzen vorgelegt habe und bei der Beurteilung der Buchführung von Betrieben in der sowjetischen Besatzungszone bei Enteignungen eine gewisse Großzügigkeit angebracht sei. Es fehle jedoch an der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung für den im gleichen Veranlagungszeitraum 1949 eröffneten Westberliner Betrieb. Beide Betriebe seien als ein einheitlicher Betrieb anzusehen. Bei der Einkommensteuer könne nur der Verlust in den Vorjahren aus der gesamten gewerblichen Tätigkeit des Bf. als Sonderausgabe geltend gemacht werden. Daher müsse der Gesamtverlust auf Grund einer ordnungsmäßigen Buchführung nachgewiesen werden. Bei der Gewerbesteuer müsse, falls ein einheitlicher Betrieb angenommen werde, das Gesamtergebnis ordnungsmäßig nachgewiesen sein; bei Annahme zweier gewerblicher Betriebe könne aber das Verlustergebnis des einen Betriebes bei dem anderen weder ausgeglichen noch im Wege des Gewerbeverlustes geltend gemacht werden, weil die Gewerbesteuer den Betrieb und nicht den Unternehmer persönlich erfasse. Danach komme es in jedem Falle entscheidend darauf an, daß das Ergebnis, sei es Annahme eines einheitlichen Betriebes oder zweier selbständiger Betriebe, insgesamt auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt worden sei. Diese Voraussetzung sei nicht gegeben, da die Buchführung wegen der festgestellten Mängel im System der Buchführung 1949 für den Westberliner Betrieb jedenfalls nicht ordnungsmäßig gewesen sei.

Mit der Rechtsbeschwerde macht der Bf. geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht den enteigneten Betrieb in der Ostzone und den in West-Berlin völlig neu aufgebauten Betrieb als einen einheitlichen Betrieb angesehen und wegen der Versagung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung des Westberliner Betriebes die Anerkennung des Enteignungsverlustes abgelehnt. Es handele sich bei dem Westberliner Betrieb um ein neues selbständiges Unternehmen, das weder als Rechtsnachfolger noch als Bestandteil des enteigneten Betriebes angesehen werden könne. Das Verwaltungsgericht habe aber für den enteigneten Betrieb die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung anerkannt. Wolle das Verwaltungsgericht die Buchführung des Westberliner Betriebes nicht anerkennen, so liege darin eine Verkennung des Begriffes der ordnungsmäßigen Buchführung und ein Verstoß gegen § 1 des Steueranpassungsgesetzes, denn auch der Betriebsprüfungsbericht habe das Endergebnis der Buchführung der Gewinnermittlung zugrunde gelegt und die formellen in der Kassenführung liegenden Mängel nur benutzt, um die steuerlichen Vergünstigungen, die an die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung geknüpft seien, zu versagen. Es sei zu bedenken, daß es sich bei den Buchführungsvorschriften nur um Soll-Vorschriften gemäß § 162 der Reichsabgabenordnung (AO) handle. Man könne nicht das sachliche Ergebnis einer Buchführung anerkennen und sie dann doch verwerfen mit der Folge, daß die Vergünstigungen versagt würden. Das widerspreche der wirtschaftlichen Bedeutung der Steuergesetze. über die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung könne nur einheitlich entschieden werden. Weiter sei zu berücksichtigen, daß die im Jahre 1949 erfolgte Enteignung nicht einen Verlust aus Gewerbebetrieb, sondern den Verlust des Betriebes als solchen zur Folge gehabt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt folgendes: Streitig ist für den Steuerabschnitt 1950, ob der Bf. einen Verlustabzug gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wegen seines Enteignungsverlustes geltend machen kann. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Eröffnung des Betriebes in West-Berlin im September 1949 um die Begründung eines neuen selbständigen oder um die Fortsetzung des alten enteigneten Betriebes gehandelt hat. Im letzten Fall wäre die Zulässigkeit des Verlustabzuges aus den Gründen des Urteils des Verwaltungsgerichts deshalb nicht gegeben, weil die Annahme eines einheitlichen Betriebs wegen der bei der Buchführung des Westberliner Betriebes festgestellten Systemmängel die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, die Voraussetzung für die Anerkennung des Verlustabzuges ist, nicht gegeben wäre. Aber auch bei Anerkennung von zwei selbständigen Betrieben in Ost- und West-Berlin könnte der Ansicht des Bf. nicht gefolgt werden, daß der Enteignungsverlust im Wege des Verlustabzuges geltend gemacht werden kann. Nach § 10 Abs. 1 Ziff. 4 EStG können Steuerpflichtige, die den Gewinn nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, die Verluste aus Gewerbebetrieb der drei vorangehenden Veranlagungszeiträume, soweit sie nicht ausgeglichen worden sind, im Wege des Verlustabzuges geltend machen. Der Reichsfinanzhof hat bereits in seiner Entscheidung VI 74/44 vom 3. Mai 1944 (Reichssteuerblatt 1944 S. 731) zur Frage des nicht entnommenen Gewinnes nach § 3 der Steueränderungs-Vorschriften ausgeführt, daß das Einkommensteuerrecht nur einen einheitlichen Begriff des "Gewinns aus Gewerbebetrieb" kennt, und daß darunter das Gesamtergebnis der gewerblichen Betätigung zu verstehen ist. Er hat ferner ausgeführt, daß die gleichen Gesichtspunkte auch hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung maßgebend sind. Auch hier ist entscheidend, daß der Gesamtgewinn auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt worden ist. Ist die Buchführung eines Betriebes fehlerhaft, so kann der Gesamtgewinn nicht auf Grund einer ordnungsmäßigen Buchführung festgestellt werden (so auch Blümich-Falk, Anm. 11 zu § 10 EStG, und Herrmann-Heuer, Anm. 7 zu § 10 d EStG). Dieser Auffassung tritt der erkennende Senat unter Ablehnung der zum Teil gegenteiligen Auffassung in der Literatur bei (siehe Hartmann-Böttcher, Großkommentar zur Einkommensteuer, Anm. 3 zu § 10 d EStG, und Littmann, Anm. 10 zu § 10 d EStG). Was für die Ermittlung des Gewinnes gilt, muß auch für die negative Seite der Ermittlung des Verlustes gelten. Abwegig ist auch die Ansicht des Bf., im vorliegenden Fall handle es sich nicht um einen laufenden Verlust aus Gewerbebetrieb, sondern um den Verlust des Betriebes in Ost-Berlin selbst, der eine besondere steuerliche Behandlung rechtfertige, da auch der Verlust des Gesamtbetriebes, einkommensteuerlich gesehen, zu einem Verlust aus Gewerbebetrieb führt, der nicht anders als ein laufender Verlust behandelt werden kann. Danach muß beim Vorhandensein mehrerer Betrieb die Möglichkeit des Verlustabzuges verneint werden, wenn nicht für alle Betriebe das Vorhandensein einer ordnungsmäßigen Buchführung, auf Grund deren der Verlust einwandfrei zu ermitteln, bejaht werden kann. Daß aber die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung des Westberliner Betriebes zu verneinen ist, hat das Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung ausgeführt. Ob festgestellte Mängel das System einer kaufmännischen Buchführung berühren oder ob die Buchführung nicht mehr als ordnungsmäßig anzusprechen ist, muß im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände festgestellt werden. Es handelt sich hierbei in erheblichem Umfange um eine Frage der tatsächlichen Feststellungen. Die zeitgerechte Verbuchung der Geschäftsvorfälle, insbesondere eine ordnungsmäßige Kassenführung, sind in der Regel entscheidende Grundlagen einer kaufmännischen Buchführung. Mängel auf diesem Gebiete berühren demnach das System der kaufmännischen Buchführung. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen solcher Systemmängel für das Jahr 1949 bejaht. Es konnte auf Grund seiner freien Beweiswürdigung (ß 278 AO) ohne Rechtsverstoß zu dieser Feststellung kommen, da die Kassenaufzeichnungen nach dem Betriebsprüfungsbericht nicht chronologisch geführt wurden und weder aus den Kassenaufzeichnungen noch aus dem Journal der Kassenbestand für einen anderen Tag als den Bilanzstichtag zu ermitteln war (siehe dazu Urteil des Bundesfinanzhofs I 303/55 U vom 3. September 1957, Bundessteuerblatt - BStBl - 1958 III S. 102). Da die Vorfrage, ob eine ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung vorliegt, nur einheitlich beurteilt werden kann, ist die Frage, ob der Verlustabzug nach § 10 Abs. 1 Ziff. EStG zulässig ist, nicht anders zu beurteilen als z. B. in den Fällen der §§ 7 a, 7 c EStG u. a. (siehe das Urteil vom 3. September 1957, a. a. O). Es ist beim Vorliegen eines Systemmangels auch unerheblich, daß bei der Veranlagung das Ergebnis der Buchführung der Besteuerung zugrunde gelegt worden ist (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 244/52 U vom 9. Oktober 1952, Slg. Bd. 58 S. 414, BStBl 1954 III S. 71). Nach alledem ist die Rechtsbeschwerde in diesem Punkte nicht begründet.

 

Fundstellen

BStBl III 1958, 350

BFHE 1959, 200

BFHE 67, 200

StRK, EStG:10/1/4 R 23

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