Leitsatz (amtlich)

1. Wurden Ehegatten, die beide steuerpflichtige Einkünfte bezogen haben, gemäß § 26b EstG zusammenveranlagt und kommt gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO im Hinblick auf die Einkünfte des einen Ehegatten eine Wiederaufrollung der bereits unanfechtbar gewordenen Einkommensteuerveranlagung in Betracht, so kann sich ein Ehegatte nunmehr durch einen einseitig gestellten Antrag auf getrennte Veranlagung nur dann aus der bisherigen Zusammenveranlagung lösen, wenn gewichtige Gründe dies nach Treu und Glauben rechtfertigen.

2. Von dem gleichen Grundsatz muß ausgegangen werden, wenn bei getrennter Veranlagung sich ein Ehegatte bei einer ihn nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO betreffenden Berichtigungsveranlagung von der früheren Vereinbarung nach abweichender Verteilung der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen einseitig lösen will.

 

Normenkette

EStG §§ 26, 26a, 26b; AO §§ 22, 222 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

1. Sachverhalt und Entscheidung des FG.

1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde für die Jahre 1959 bis 1961 mit seiner damaligen Ehefrau zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Er hatte Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit als Steuerbevollmächtigter, seine Ehefrau hatte gewerbliche Einkünfte.

Für das Jahr 1962 führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) auf Antrag der Ehefrau die Veranlagung zur Einkommensteuer nach § 26a EStG getrennt durch. Nach dem Antrag beider Ehegatten berücksichtigte das FA Sonderausgaben und Freibeträge wegen außergewöhnlicher Belastung bei dem Kläger in Höhe von 11/20 und bei der Ehefrau in Höhe von 9/20. Die Einkommensteuerbescheide für diese Jahre wurden rechtskräftig. Seit dem Jahre 1963 lebten die Ehegatten getrennt; sie wurden später geschieden.

Aufgrund einer im Jahre 1964 im Betrieb der Ehefrau durchgeführten Betriebsprüfung berichtigte das FA die Einkommensteuerbescheide gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO. Auf Antrag der Ehefrau wurden die Ehegatten nunmehr auch für die Jahre 1959 bis 1961 getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei berichtigte das FA auch die Einkommensteuerveranlagung des Klägers für das Jahr 1962, weil die Ehefrau an dem ursprünglich gestellten Antrag, die Sonderausgaben im Verhältnis 11/20 zu 9/20 aufzuteilen, nicht mehr festhielt. Auf den im Ergebnis erfolglosen Einspruch des Klägers änderte das FA die Berichtigungsveranlagungen auch für die Jahre 1959 bis 1962, indem es die Sonderausgaben und die sich aus § 33a EStG und § 65 EStDV ergebenden Freibeträge wegen außergewöhnlicher Belastung gemäß § 26a Abs. 2 und Abs. 3 EStG nur zur Hälfte berücksichtigte.

2. Die Klage, mit der der Kläger insbesondere die Voraussetzungen des § 222 AO für den Erlaß der Berichtigungsbescheide bestritt, hatte keinen Erfolg. Das FG führte aus: Der Auffassung des Klägers, das FA hätte ihn über die Einzelheiten des Prüfungsergebnisses unterrichten müssen, weil seine Ehefrau ihm keinen Einblick in den Betriebsprüfungsbericht gewährt habe, könne nicht gefolgt werden. Das FA habe den Kläger ohne Rechtsverstoß für die Veranlagungszeiträume 1959 bis 1961 getrennt veranlagt. Für den Veranlagungszeitraum 1962 habe das FA im Ergebnis zutreffend die Sonderausgben und außergewöhnlichen Belastungen nur zur Hälfte berücksichtigt. Bei der Wiederaufrollung der Veranlagung habe das FA nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO im Berichtigungsverfahren den von der Ehefrau des Steuerpflichtigen nunmehr gestellten Antrag auf getrennte Veranlagung beachten müssen. Die im Betrieb der Ehefrau festgestellten neuen Tatsachen, die die Wiederaufrollung der Veranlagung rechtfertigten, habe das FA im Hinblick auf § 22 AO dem Kläger nicht bekanntgeben dürfen, weil es das Steuergeheimnis der Ehefrau habe wahren müssen. Eine gesamtschuldnerische Haftung des Klägers für die Steuerschulden der Ehefrau, die die Offenbarung der neuen Tatsachen hätte rechtfertigen können (§ 7 StAnpG), sei mit der getrennten Veranlagung der Ehefrau erloschen. Die Ehefrau wäre auch rechtlich nicht gehindert gewesen, anläßlich der späteren Berichtigungsveranlagungen für sich die getrennte Veranlagung zu beantragen. Dabei müsse der Kläger gegen sich gelten lassen, daß die Ehefrau der Auffassung des FA, es seien bei der Betriebsprüfung ihres Gewerbebetriebes neue Tatsachen von einigem Gewicht bekanntgeworden, nicht widersprochen habe. Wenn der Kläger dies bezweifle, so könne er Gewißheit hierüber nicht vom FA erlangen. Dieses würde sonst in die zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau bestehenden Rechtsbeziehungen eingreifen und das Steuergeheimnis verletzen, weil die familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eheleuten für die Offenbarungsbefugnisse des FA ohne Bedeutung seien. Eheleute hätten im Besteuerungsverfahren auch keine einem Gesellschaftsverhältnis ähnliche Stellung; die rechtliche Natur einer Personengesellschaft unterscheide sich grundlegend von der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft in der Ehe. Die bloße Haushaltsgemeinschaft unter Eheleuten beteilige den einen nicht an den Einkünften des anderen. Für den vorliegenden Fall sei noch festzustellen, daß der Kläger das Ergebnis der Betriebsprüfung kenne, weil er schon vor deren Beginn erfahren habe, daß seine damalige Ehefrau in den Jahren 1959 bis 1964 in erheblicher Höhe Betriebseinnahmen der Besteuerung entzogen und auf sein Anraten Selbstanzeige erstattet habe. Auch habe er bei der Betriebsprüfung als Steuerbevollmächtigter seiner Ehefrau mitgewirkt. Seine Vertretungsbefugnis sei erst später erloschen.

Hinsichtlich der Aufteilung der Sonderausgaben sei auf die §§ 10, 10b EStG hinzuweisen, wonach die gesamten Sonderausgaben von Eheleuten zusammenzurechnen seien, ohne daß es darauf ankomme, wer von den Ehegatten sie im einzelnen geleistet habe. Der die Pauschbeträge übersteigende Betrag sei grundsätzlich bei jedem Ehegatten zur Hälfte abzuziehen. Das gelte auch für den Pauschbetrag nach § 65 EStDV 1958.

Die Berichtigung des Einkommensteuerbescheides 1962 hätte das FA allerdings nicht aus § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO herleiten dürfen, weil die Betriebsprüfung bei der Ehefrau für die getrennte Veranlagung des Klägers nichts ergeben habe. Die Änderung der in Rechtskraft erwachsenen getrennten Erstveranlagung sei jedoch gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG gerechtfertigt. Der übereinstimmende Antrag beider Ehegatten hinsichtlich der Verteilung der abzugsfähigen Sonderausgaben sei ein Merkmal im Sinne dieser Vorschrift, das mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen sei.

II. Begründung der Revision.

1. Gegen das Urteil des FG hat der Ehemann Revision eingelegt. Er rügt Verletzung der §§ 22 AO und 26a EStG sowie, daß die Berichtigungsveranlagungen zwar nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO auf neue Tatsachen gestützt, die Bekanntgabe der neuen Tatsachen ihm aber unter Berufung auf § 22 AO verweigert worden sei. Er sehe sich dadurch in seinen Rechten verletzt. Es erscheine ihm unzumutbar, daß die bereits rechtskräftigen Steuerbescheide geändert würden und er für einen Tatbestand zu wesentlichen Steuernachzahlungen herangezogen werde, dessen Nachweis der Fiskus ihm verweigere. Das FG habe seine Einwendungen auch irreführend wiedergegeben. Nach seiner Auffassung sei der Beweis des Vorliegens neuer Tatsachen im Sinne des § 222 AO der letzte Akt der gemeinsamen Veranlagung. Durch das Zusammentreffen der Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO mit denen des § 26 Abs. 2 EStG werde ein Zustand geschaffen, welcher bei ihm zu ungerechtfertigten Benachteiligungen führe. Die Möglichkeit der rückwirkenden Anwendung des § 26 Abs. 2 EStG bedeute seine völlige Entrechtung bezüglich der Wahl seiner Besteuerung und der Aufteilung der Sonderausgaben und Freibeträge. Der Gesetzgeber hätte zur Vermeidung solcher Fälle Vorsorge treffen müssen, indem er den § 26 Abs. 2 EstG dahin gehend erweiterte, daß eine gemeinsam vereinbarte Zusammenveranlagung nur durch eine gemeinsame Erklärung der Ehegatten zu widerrufen sei.

2. Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es macht geltend, daß auch die Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1959 bis 1961 auf § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG statt auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO hätte gestützt werden müssen. Durch diesen Rechtsirrtum habe der Kläger aber keine Nachteile erlitten. Für die nunmehr getrennte Veranlagung stelle allein die Entscheidung der früheren Ehefrau ein Merkmal im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG dar, wegen dessen Wegfall dem Kläger gemäß § 205 AO Mitteilung hätte gemacht werden müssen. Die Bindung des FA an die neue Wahl der Ehefrau auch in bezug auf den Kläger folge unmittelbar aus § 26 Abs. 2 Satz 1 EStG.

III. Stellungnahme des BdF.

Der BdF (damals Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen) ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 FGO beigetreten. Er ist in seiner Stellungnahme mit den Urteilen des Senats vom 5. Februar 1971 VI R 301/66 (BFHE 101, 358, BStBl II 1971, 331) und dem des III. Senats des BFH vom 24. November 1967 III 2/63 (BFHE 91, 1, BStBl II 1968, 163) davon ausgegangen, daß bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten trotz formaler Zusammenfassung in einem Bescheid zwei getrennte Veranlagungen mit inhaltsgleicher Steuerfestsetzung vorlägen, bei denen sämtliche Besteuerungsgrundlagen bei den Veranlagungen beider Ehegatten Berücksichtigung finden müßten. Trotz der getrennten Ermittlung der Einkünfte seien diese Besteuerungsgrundlagen beiden Ehegatten bei der Veranlagung zuzurechnen. Für die Anwendung des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO könne es deshalb nicht darauf ankommen, im Einkunftsbereich welches Ehegatten eine neue Tatsache festgestellt worden sei. Es lägen in jedem Fall die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Berichtigung beider Veranlagungen vor. Aus der Sicht der Ehegatten seien im Einkommen des Ehemannes auch die die Frau betreffenden Einkommensbeträge berücksichtigt und umgekehrt.

Sei die Berichtigung des gegen den "anderen Ehegatten" ergangenen Steuerbescheides nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig, so sei der gesamte Steuerfall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen (so die Urteile des BFH vom 5. März 1970 V R 82/66, BFHE 99, 164, BStBl II 1970, 586, und vom 30. Januar 1969 V 149/64, BFHE 95, 236, BStBl II 1969, 409). Aus der Gesamtaufrollung folge aber nicht, daß das Wahlrecht im Sinne des § 26 Abs. 1 EStG erneut auszuüben wäre, weil die bisherige Wahl hinfällig wäre. Bei der Auslegung des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO seien die Grundsätze der Rechtssicherheit und der materiellen Bestandskraft einerseits und diejenigen der Richtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung andererseits gegeneinander abzuwägen. Da nach §§ 42 Abs. 1 FGO, 232 Abs. 1 AO der bisher festgesetzte Steuerbetrag nicht unterschritten werden dürfe, bleibe insoweit die materielle Bestandskraft der bisherigen Steuerbescheide unangetastet. Die bei der Erstveranlagung getroffene Wahl (hier der Zusammenveranlagung) wirke fort; die Wiederaufrollung erfordere im Berichtigungsverfahren keine erneuten Anträge. § 26 EStG habe die Frage des Widerrufs der einmal gewählten Zusammenveranlagung nicht ausdrücklich geregelt. Die Wahl der Veranlagungsart sei eine Willenserklärung, an die ein Steuerpflichtiger nach ihrem Zugang beim FA grundsätzlich nach Treu und Glauben gebunden sei. Gegen die Zulassung eines willkürlichen Widerrufs der gewählten Veranlagung spreche auch, daß die gemeinsame Erklärung auf einer Einigung der Ehegatten im privaten Bereich beruhe, der man rechtsgeschäftlichen Charakter beimessen könne. Für die Frage der anderweitigen Aufteilung der Sonderausgaben sei von den gleichen Erwägungen auszugehen.

 

Entscheidungsgründe

IV. Entscheidung des Senats.

Die Revision ist begründet.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH führt die Wiederaufrollung der Besteuerung unter den Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO zu einer Durchbrechung der materiellen Bestandskraft der Steuerbescheide. Dies setzt aber voraus, daß neue Tatsachen von einigem Gewicht bekanntgeworden sind (vgl. das Urteil des BFH vom 19. August 1971 V R 74/68, BFHE 103, 278, BStBl II 1972, 24 und die dort angeführte Rechtsprechung). Bei der Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalls müssen die Grundsätze von Treu und Glauben berücksichtigt werden (so auch der Beschluß des BVerfG vom 4. November 1965 2 BvR 91, 271/64, BStBl I 1966, 412). Der BdF hat in seiner Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, daß bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten trotz formaler Zusammenfassung in einem einheitlichen Steuerbescheid davon auszugehen ist, daß es sich um zwei getrennte Veranlagungen mit inhaltsgleicher Steuerfestsetzung handelt (Urteil des Senats vom 5. Februar 1971 VI R 301/66, BFHE 101, 358, BStBl II 1971, 331). Wenn es danach für die Frage der Wiederaufrollung nicht darauf ankommen kann, in wessen Einkunftsbereich der Ehegatten eine neue Tatsache von einigem Gewicht bekanntgeworden ist, so reicht es für die Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben nicht allein aus, daß die neue Tatsache gewichtig ist.

Im Rahmen der Wiederaufrollung eines unanfechtbar gewordenen Zusammenveranlagungsbescheides gebieten es die Grundsätze von Treu und Glauben, sie auch für die Frage zu berücksichtigen, ob sich einer der Ehegatten einseitig von der bisherigen Zusammenveranlagung im Sinne des § 26b EStG lösen kann. Auch wenn man grundsätzlich davon ausgehen muß, daß die Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO den Beteiligten das Recht gibt, neue Sachumstände geltend zu machen und neue Anträge zu stellen, die für die Veranlagung wesentlich sein können, weil sich eine gesetzliche Beschränkung aus § 232 AO nur insoweit ergibt, daß die bisher festgesetzte Steuer nicht unterschritten werden darf, so kann sie den Ehegatten nicht ein Recht zur Willkür geben. Zutreffend hat der BdF in der Stellungnahme darauf hingewiesen, daß die Zusammenveranlagung von Ehegatten im Hinblick auf den Splittingtarif des § 32a Abs. 2 EStG in aller Regel zu einer günstigen Besteuerung von Ehegatten führt. Das gilt auch, wenn beide Ehegatten steuerpflichtige Einkünfte bezogen haben, denn jeder Ehegatte kann nach § 7 Abs. 3 StAnpG verlangen, daß er nur im Verhältnis seiner Einkünfte für die Einkommensteuer in Anspruch genommen wird.

2. Das Urteil des FG steht mit diesen Grundsätzen nicht im Einklang. Es war deshalb nach §§ 118 Abs. 1 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache war an das FG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Dabei wird das FG die frühere Ehefrau des Klägers gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen haben, weil der Kläger auch im Rahmen der wiederaufgerollten Veranlagung die Aufrechterhaltung der bisherigen Zusammenveranlagung mit seiner Frau begehrt und ihr das Recht bestreitet, nunmehr getrennt veranlagt zu werden.

Bei der erneuten Verhandlung der Streitsache wird das FG zu beachten haben, daß § 22 AO nur das unbefugte Offenbaren steuerlicher Verhältnisse verbietet und unter Strafschutz gestellt hat. Für den Streitfall muß aber berücksichtigt werden, daß der Kläger und seine frühere Ehefrau für die Streitjahre 1959 bis 1961 nach § 26b EStG zusammenveranlagt waren. Die damals durchgeführte Ehegattenbesteuerung muß als eine Einheit angesehen werden (vgl. dazu Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., Anm. 3e zu § 26 EStG - S. 2276 -). Will sich im Berichtigungsverfahren nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO einer der Ehegatten dabei durch den Antrag auf getrennte Veranlagung aus der bisherigen Zusammenveranlagung lösen, so ist für die zu prüfenden Voraussetzungen, ob und inwieweit Berichtigungsbescheide erlassen werden dürfen, von der Einheit der bisherigen Veranlagung auszugehen. Das FG kann aber die Frage, ob einem der Ehegatten für sein nunmehriges Begehren auf getrennte Veranlagung wirtschaftlich verständliche und vernünftige Gründe zuzugestehen sind oder ob nur Willkür seinen Antrag motiviert haben kann, nur ausreichend würdigen, wenn die gesamten, beide Ehegatten betreffenden Besteuerungsgrundlagen offengelegt werden. Nur im Rahmen der erst dann übersehbaren Steueränderung kann auch die Frage geklärt werden, ob die neu festgestellten Tatsachen für eine Berichtigungsveranlagung von ausreichendem Gewicht sind. Die beiden an der bisherigen Zusammenveranlagung beteiligten Ehegatten haben einen Anspruch darauf, daß die hierfür erforderlichen Sachfeststellungen ihnen gegenüber offengelegt werden, weil sie beide als Gesamtschuldner hiervon betroffen sind. Das Steuergeheimnis ist im Verhältnis von Gesamtschuldnern untereinander irrelevant, weil nach § 210 AO der Inhalt des sie betreffenden Steuerbescheides bekanntgegeben werden muß (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 5. Aufl., Tz. 5 zu § 22 AO).

3. Kommt das FG auf Grund der erneuten Verhandlung der Streitsache für 1959 bis 1961 zu dem Ergebnis, daß der Kläger auch nach Wiederaufrollung der Veranlagungen weiterhin mit seiner damaligen Ehefrau nach § 26b EStG zusammen zu veranlagen ist, so stellt sich die Frage der Aufteilung der Sonderausgaben nicht. Da die vorliegende Klage sich als eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) darstellt, die mit einer Anfechtungsklage verbunden ist, kann das FG nach Aufhebung der angefochtenen Steuerbescheide des Klägers nur aussprechen, daß die Berichtigungsbescheide im Wege der Zusammenveranlagung nach § 26b EStG erlassen werden müssen.

Kommt das FG aber zu der Entscheidung, daß der Antrag auf getrennte Veranlagung im Streitfall berücksichtigt werden muß, so trägt der erkennende Senat keine Bedenken, wenn im Rahmen einer völlig veränderten Besteuerungsgrundlage - nämlich der getrennten Veranlagung anstelle der bisherigen Zusammenveranlagung - die Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen gemäß § 26a Abs. 2 und 3 EStG auf die früheren Ehegatten insgesamt je zur Hälfte aufgeteilt werden, da sie bisher einen gemeinsamen Antrag auf eine abweichende Aufteilung nicht gestellt haben.

Für die Beurteilung des Streitjahres 1962 und der hier allein streitigen Frage, ob sich im Rahmen der weiterhin durchzuführenden getrennten Veranlagung ein Ehegatte von der ursprünglichen Vereinbarung nach abweichender Verteilung der Sonderausgaben einseitig lösen kann, weil der ihn betreffende Steuerbescheid nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigt wird, kann ebenfalls nur von den Grundsätzen nach Treu und Glauben ausgegangen werden. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß die Ehegatten auch bei getrennter Veranlagung hinsichtlich der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen eine Einheit bilden. Nur wenn gewichtige Gründe es gerechtfertigt erscheinen lassen, einen Ehegatten bei einer Wiederaufrollung seiner Veranlagung nicht mehr an seiner bisherigen Zustimmung nach anderweitiger Aufteilung festzuhalten, kommt eine Verteilung je zur Hälfte in Betracht. Das FG kann auch diese Frage nur nach einer Beiladung der früheren Ehefrau zum Verfahren auch für 1962 entscheiden. Die Vorentscheidung war deshalb auch insoweit aufzuheben und an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1973, 625

BFHE 1973, 317

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