Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerberichtigung bei fehlerhafter Beurteilung der Voraussetzungen

 

Leitsatz (NV)

Gemeinschaftsrechtliche Zweifel gegen die Rechtsprechung des BFH zur Änderung der Verhältnisse für den Vorsteuerabzug bei rechtsfehlerhafter Beurteilung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug im Abzugsjahr bestehen nicht, so daß eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht kommt.

 

Normenkette

UStG 1980 § 15a; EWGRL 388/77 Art. 20

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) -- Inhaberin einer Bäckerei -- vermietete zwei von ihr im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft in den Jahren 1982 und 1984 hergestellte Eigentumswohnungen in B ab 1. April 1983 (Wohnung am Y-Platz) bzw. 1. April 1985 (Wohnung am X-Weg) an die ... GmbH (G-Gesellschaft). Die G-Gesellschaft vermietete die Wohnungen an Endmieter. Die Klägerin verzichtete auf die Steuerbefreiung für Vermietungsumsätze und zog die ihr im Zusammenhang mit der Errichtung der Wohnungen berechneten Umsatzsteuern für die nur noch im Streit befindliche Vorsteuerberichtigung wegen der Wohnung am Y-Platz in den Umsatzsteuerfestsetzungen für 1981 und 1982 als Vorsteuerbeträge ab.

Nachdem die G-Gesellschaft 1985 zahlungsunfähig geworden war und ab Dezember 1985 keine Miete mehr entrichtete, schloß die Klägerin neue Zwischenmietverträge ab 1. Februar 1986 mit der ... GmbH (B-Gesellschaft). Dabei mußte sie einer Herabsetzung der Mieten um 27 v. H. zustimmen. Beide Wohnungen waren ständig an Endmieter vermietet.

Nach einer Außenprüfung erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) das Zwischenmietverhältnis mit der B- Gesellschaft wegen Gestaltungsmißbrauchs i. S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht mehr an. In den Umsatzsteuerbescheiden für 1985 bis 1987 berichtigte das FA u. a. den Vorsteuerabzug der Klägerin für die Wohnung am Y-Platz. Außerdem verweigerte es den Abzug der für die Errichtung der Wohnung am X-Weg geltend gemachten Vorsteuerbeträge. Für die Vermietung der Wohnungen änderte das FA die insoweit erklärte Umsatzsteuer nicht, weil es -- für das Jahr 1987 -- von einer Steuerschuld der Klägerin nach § 14 Abs. 2 und 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 wegen unberechtigten Steuerausweises ausging.

Den Einspruch der Klägerin wies das FA zurück.

Auf die Klage setzte das Finanzgericht (FG) die angefochtenen Steuerfestsetzungen nur wegen der für die Wohnung am Y-Platz vom FA berücksichtigten Vorsteuerberichtigungsbeträge nach § 15 a UStG 1980 herab und wies die Klage im übrigen ab. Das FG führte zur Begründung u. a. aus, die Zwischenvermietung beider Wohnungen sei als mißbräuchlich i. S. von § 42 AO 1977 nicht anzuerkennen. Der Klägerin hätte der Vorsteuerabzug für die Wohnung am Y-Platz nicht gewährt werden dürfen, weil wirtschaftliche Gründe für eine Zwischenvermietung von Anfang an nicht bestanden hätten. Die Vermietung an einen gewerblichen Zwischenvermieter sei eine Umgehung (§ 42 AO 1977) des Vorsteuerabzugsausschlusses bei steuerfreien Grundstücksvermietungen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 12 Buchst. 1 UStG 1980). Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe habe die Klägerin für die Zwischenvermietung nicht darlegen können.

Der für die Wohnung am Y-Platz gewährte Vorsteuerabzug dürfe aber vom FA nicht nach § 15 a UStG 1980 berichtigt werden, weil die umsatzsteuerrechtliche Fehlbeurteilung der Umsätze im Abzugsjahr und im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung nicht als Grundlage für eine Änderung der Verhältnisse i. S. von § 15 a UStG 1980 beurteilt werden könne.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts. Es macht geltend, das FG habe § 15 a UStG 1980 unrichtig angewendet. Die Änderung der Verhältnisse sei aufgrund der Vermietung wegen eines in den Streitjahren anderen Mietvertrages als im Erstjahr eingetreten. Eine tatsächliche Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, die zur Vorsteuerberichtigung verpflichteten, liege nicht nur vor, wenn das Zwischenmietverhältnis nicht fortgeführt werde, sondern auch, wenn es aufgrund eines geänderten Mietverhältnisses durchgeführt werde.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Vorentscheidung entspricht nicht der Auslegung des § 15 a UStG 1980 durch den Bundesfinanzhof (BFH). Der Senat kann nicht durcherkennen.

1. Nach § 15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).

2. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von § 15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.

a) Der Senat hat mit den Urteilen vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485), V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) entschieden, die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach § 15 a Abs. 1 UStG 1980 insoweit dieselbe Wirkung wie bei einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; vgl. Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 15 a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BStBl II 1997, 370) angeschlossen. Darauf nimmt der erkennende Senat Bezug.

b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dargelegte Auslegung des § 15 a UStG 1980 bestehen nicht. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil in BFH/NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).

c) Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt werden müßten, stellen sich im Streitfall nicht, weil Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, diesen somit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze (Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG) vorbehält. Damit handelt es sich nicht um eine Richtlinienbestimmung, der ein Anwendungsvorrang zukommen könnte; denn sie ist nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und läßt dem Mitgliedstaat für die Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum (vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH, z. B. Urteile vom 17. September 1996 Rs. C-246-- 249/94 -- Cooperativa Agricola Zootecnica, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1997, 126; vom 26. Februar 1986 Rs. 152/84 -- Marshall, Slg. 1986, 723, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 2178).

3. Die Zwischenvermietung von Wohnraum ist, wenn keine beachtlichen Gründe dafür vorliegen, mißbräuchlich i. S. von § 42 AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BFHE 168, 468, BStBl 1992, 931), weil nach den tatsächlichen Umständen vermutet werden darf, daß sie nur erfolgt, um den Vorsteuerabzug zu erlangen. Beachtliche Gründe für die Zwischenvermietung der streitbefangenen Eigentumswohnung sind -- wie das FG rechtsfehlerfrei dargestellt hat -- weder geltend gemacht noch ersichtlich.

4. Damit liegt nach den vorstehenden Grundsätzen eine Änderung der Verhältnisse i. S. von § 15 a Abs. 1 UStG 1980 vor, wenn -- was das FG noch feststellen muß -- die Steuerfestsetzungen für die Abzugsjahre unabänderbar sind.

Unabänderbarkeit ist gegeben, wenn bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr, in der der Steuerberichtigungsbetrag nach § 15 a UStG 1980 berücksichtigt worden ist, keine Gründe (z. B. nach §§ 172 ff. AO 1977) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Wenn die erstmalige tatsächliche Verwendung (Vermietung der Objekte) nicht im Abzugsjahr, sondern in dem späteren Erstjahr erfolgt, ist für die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II. 2.) handelt es sich bei der erstmaligen tatsächlichen Verwendung um ein auf das Abzugsjahr zurückwirkendes Ereignis. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 909

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