Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein berechtigtes Interesse an der Veranlagung im Sinne des § 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG 1949 liegt vor, wenn einem Arbeitnehmer, der die ihm im Lohnsteuerverfahren und im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren zustehenden Rechtsbehelfe rechtzeitig geltend gemacht hat, eine höhere Steuer einbehalten wurde, als sich bei einer Veranlagung ergeben würde.

 

Normenkette

EStG § 46 Abs. 1 Ziff. 4

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) hat im Kalenderjahr 1949 nur Einkünfte bezogen, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterlegen haben. Am 31. August 1949 hat er eine Witwe mit zwei Kindern im Alter von fünf und sechs Jahren geheiratet. Die nunmehrige Ehefrau des Bf. hat in der Zeit vom 1. Januar 1949 bis zu ihrer Verehelichung steuerpflichtige Einkünfte nicht gehabt. Mit Wirkung vom 31. August 1949 wurde die Lohnsteuerkarte des Bf. geändert. An die Stelle der Steuerklasse I wurde die Steuerklasse III/2 eingetragen. Der Steuerabzug vom Arbeitslohn ist entsprechend vorgenommen worden. Der Bf. beantragt unter Bezugnahme auf § 46 Absatz 1 Ziffer 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1949 Veranlagung zur Einkommensteuer für 1949. Er machte geltend, daß er ein berechtigtes Interesse an der Veranlagung deshalb habe, weil ihm bei einer Veranlagung der günstigere Steuersatz der Steuerklasse III/2 für das ganze Kalenderjahr 1949 zukomme, während er diesen günstigeren Steuersatz beim Steuerabzug vom Arbeitslohn nur für die Zeit vom 31. August bis 31. Dezember 1949 gehabt habe. Bei einer Veranlagung hätte er 151,25 DM weniger Einkommensteuer zu entrichten, als ihm im Wege des Steuerabzugs einbehalten wurden.

Finanzamt und Finanzgericht haben den Antrag des Bf. abgelehnt.

 

Entscheidungsgründe

Der Rechtsbeschwerde (Rb.) kann der Erfolg nicht versagt bleiben.

Bis zur Währungsreform hatte die Lohnsteuer überwiegend den Charakter einer Objektsteuer. Nach dem EStG von 1939 in der Fassung von 1946 (Steuer- und Zollblatt - StuZBl. - 1947 S. 255, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen - Bay. FMBl. - 1947 S. 57) wurde die Lohnsteuer grundsätzlich nach einer Monatslohnsteuer-Tabelle errechnet (ß 39 Absatz 1 EStG 1946). Schwankungen in der Höhe des Arbeitslohns in den einzelnen Lohnzahlungszeiträumen wurden nicht berücksichtigt. Eine Erstattung von Lohnsteuer war ausgeschlossen (ß 47 Absatz 4 Satz 1 EStG 1946). Diese Rechtslage ist durch den Artikel I (Einkommensteuer) des Anhangs zum Gesetz Nr. 64 der Militärregierung (MilRegG) zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 22. Juni 1948 (Amtliches Mitteilungsblatt der Verwaltung für Finanzen - Amtl. MittBl. - 1948 S. 3, Bay.FMBl. 1948 S. 129) geändert worden.

Bei den Beratungen des Artikels I des Anhangs zum Gesetz Nr. 64, die zwischen der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets und den Vertretern der Länder-Finanzministerien stattgefunden haben, ist die Frage der Beseitigung des Erstattungsverbots bei der Lohnsteuer eingehend erörtert worden. Die Befürworter einer Lohnsteuererstattung machten geltend, daß es nicht angängig sei, die Lohnsteuerpflichtigen ungünstiger zu behandeln als die veranlagten Steuerpflichtigen (Stpfl.). Insbesondere müßten größere Lohnschwankungen und Arbeitslosigkeit eines Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Die verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten, die sich aus einer Lohnsteuererstattung ergeben müßten in Kauf genommen werden. Die Gegner der Lohnsteuererstattung wiesen darauf hin, daß man in Deutschland bereits in den Jahren 1925 bis 1930 ein Lohnsteuererstattungsverfahren gehabt habe (ß 93 des EStG vom 10. August 1925, Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 189). Dieses Verfahren habe zu großen Unzuträglichkeiten geführt; es sei deshalb wieder beseitigt worden (Vierter Teil Kap. I der Zweiten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 5. Juni 1931, RGBl. I S. 279, 302). Die Lohnsteuer sei an sich schon sehr kompliziert. Die Wiedereinführung der Lohnsteuererstattungen bedeute einen ungeheuren Leerlauf in der Wirtschaft und in der Finanzverwaltung, weil in hunderttausenden von Fällen die Lohnsteuer zunächst vom Arbeitgeber berechnet und an das Finanzamt abgeführt und dann hinterher wieder ganz oder teilweise zurückvergütet werde. Richtig sei, daß eine steuerliche Benachteiligung der Arbeitnehmer gegenüber den veranlagten Stpfl. vermieden werden müsse. Hierfür gebe es aber auch andere Wege: so könnte z. B. die Veranlagungsgrenze für die Lohnsteuerpflichtigen von 24.000 DM jährlich auf etwa 6.000 DM herabgesetzt werden; außerdem könnten den Lohnsteuerpflichtigen höhere Freibeträge (höheres Existenzminimum, höhere Pauschsätze für Werbungskosten und Sonderausgaben) als den Veranlagten zugebilligt werden. Eine allzu weit gehende Ausdehnung der Erstattungen führe zu einer Gefährdung des Steuerabzugs vom Arbeitslohn überhaupt.

Der Gesetzgeber hat sich für die Wiedereinführung des Erstattungsverfahrens entschieden. Er hat folgende Maßnahmen getroffen: An Stelle einer Lohnsteuertabelle für monatliche Lohnzahlungszeiträume trat eine Jahreslohnsteuertabelle, die Gesetzeskraft hat und von der die Lohnsteuertabellen für andere Lohnzahlungszeiträume abgeleistet wurden (ß 39 Absatz 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Artikels I Ziffer 10 des Anhangs zum Gesetz Nr. 64). Danach gilt für die Lohnsteuerpflichtigen, ebenso wie für die veranlagten Stpfl. das Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum. Ferner wurde das Erstattungsverbot für die Lohnsteuer aufgehoben (ß 47 Absatz 3 EStG in der Fassung des Artikels I Ziffer 16 des Anhangs zum Gesetz Nr. 64). Endlich wurde zugelassen, daß ein Lohnsteuerpflichtiger eine Veranlagung beantragen kann, wenn er ein "berechtigtes Interesse" nachweist (ß 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG in der Fassung des Artikels I Ziffer 15 des Anhangs zum Gesetz Nr. 64).

Nach dieser gesetzlichen Regelung ist der Steuerabzug innerhalb der Einkommensteuer lediglich eine Erhebungsform. Die Lohnsteuerpflichtigen werden tarifmäßig ebenso behandelt wie die veranlagten Stpfl. Ein Lohnsteuerpflichtiger darf zu keiner höheren Einkommensteuer herangezogen werden als ein veranlagter Stpfl. mit gleich hohem Einkommen und gleichem Familienstand.

An diesem Grundsatz wird auch dadurch nichts geändert, daß bei den Voraussetzungen für die Einreihung in die Steuerklassen zwischen den Veranlagungspflichtigen und den Lohnsteuerpflichtigen Abweichungen bestehen. Ein zu veranlagender, bisher in die Steuerklasse I fallender Stpfl., der im Laufe des Kalenderjahres heiratet, wird bei der Veranlagung in die Steuerklasse II eingereiht, wenn er im Veranlagungszeitraum mehr als vier Monate verheiratet war (ß 32 Absatz 3 Ziffer 1 EStG in der Fassung vom 10. August 1949, Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets - WiGBl. - S. 266, Amtl. MittBl. S. 198). Ein Lohnsteuerpflichtiger der Steuerklasse I, der im Laufe des Kalenderjahres heiratet, kann für den Steuerabzug vom Arbeitslohn die Eintragung der Steuerklasse II in der Lohnsteuerkarte vom Zeitpunkt der Eheschließung an beantragen, und zwar ohne Rücksicht auf eine viermonatliche Frist (ß 39 Absatz 3 Ziffer 1, Absatz 5 Satz 3 EStG 1949). Da auch bei den Lohnsteuerpflichtigen das Kalenderjahr Veranlagungszeitraum ist, darf die im § 39 Absatz 3, Absatz 5 EStG 1949 getroffene Regelung nicht dazu führen, daß der Lohnsteuerpflichtige eine höhere Einkommensteuer zu zahlen hat als ein zu veranlagender Stpfl. mit gleichem Einkommen. Entsprechendes gilt für die Kinderermäßigungen (ß 32 Absatz 4 Ziffer 2 und § 39 Absatz 4 Ziffer 2 EStG. 1949).

Zur Erreichung einer geichmäßigen Behandlung von Lohnsteuerpflichtigen einerseits und veranlagten Stpfl. andererseits sind zwei Verfahren vorgesehen: Der Lohnsteuer-Jahresausgleich (ß 35 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - vom 16. Juni 1949, WiGBl. S. 157, Amtl. MittBl. S. 170) und die Möglichkeit einer Veranlagung von Lohnsteuerpflichtigen nach § 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG 1949.

Der Lohnsteuer-Jahresausgleich beschränkt sich ausschließlich auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Veranlagung des Arbeitnehmers findet nach § 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG 1949 statt, wenn "der Steuerpflichtige die Veranlagung beantragt und ein berechtigtes Interesse nachweist". Der Lohnsteuer-Jahresausgleich und die Veranlagungsmöglichkeit nach § 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG 1949 bestehen grundsätzlich nebeneinander. Für das Kalenderjahr 1949 ist der Lohnsteuer-Jahresausgleich in dem Gesetz über den Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Kalenderjahr 1949 vom 23. März 1950 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - S. 45) geregelt. Nach § 1 Absatz 3 dieses Gesetzes wird der Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Kalenderjahr 1949 nicht durchgeführt bei Arbeitnehmern, für die eine Veranlagung zur Einkommensteuer für das Kalenderjahr 1949 nach § 46 EStG in der Fassung vom 10. August 1949 in Betracht kommt.

Im Falle des Bf. ist unstreitig, daß ein Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht zulässig ist (ß 1 des Gesetzes über den Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Kalenderjahr 1949). Es ist die Frage zu prüfen, ob ein "berechtigtes Interesse" im Sinne des § 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG 1949 für eine Veranlagung zur Einkommensteuer vorliegt.

Für die Anwendung des § 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG 1949 ist im § 57 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV - vom 2. Juni 1949 (WiGBl. S. 109, Bay.FMBl. S. 187) negativ bestimmt: Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 46 Absatz 1 Ziffer 4 des Gesetzes liegt nicht vor, wenn der Arbeitnehmer nur deshalb eine zu hohe Lohnsteuer entrichtet hat, weil er im Lohnsteuerverfahren Umstände, die eine niedrigere Lohnsteuer gerechtfertigt hätten, nicht oder nicht rechtzeitig geltend gemacht habe. Im § 1 Absatz 3 Satz 2 des Gesetzes über den Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Kalenderjahr 1949 ist für dieses Kalenderjahr weiter bestimmt, daß ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG 1949 nicht gegeben ist, soweit der Arbeitnehmer Umstände, die eine niedrigere als die einbehaltene Lohnsteuer rechtfertigen, bei dem Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1949 geltend machen kann. Endlich ist im Abschnitt 229 der Einkommensteuerrichtlinien für die Zeit vom 21. Juni 1948 bis 31. Dezember 1948 und für das Kalenderjahr 1949 vom 5. Juli 1950 (EStR II/1948 und 1949, Ministerialblatt des Bundesministeriums der Finanzen - MinBlFin. - 1950 S. 349, 415, Bay.FMBl. S. 305) bestimmt, daß ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers außer im Falle des § 57 EStDV 1949 auch dann nicht vorliegt, wenn sich nach den für die Veranlagung zur Einkommensteuer maßgebenden Vorschriften (ß 32 EStG) für den ganzen Veranlagungszeitraum eine günstigere Steuerklasse als die ergäbe, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn nur für einen Teil des Kalenderjahres zugrunde gelegen hat.

Der Bf. wendet ein, daß die Anordnung im Abschnitt 229 EStR II/1948 und 1949 eine Einschränkung des Gesetzes bedeute und daher rechtsunwirksam sei.

Nach den vorstehenden Ausführungen geht die im Artikel I des Anhangs zum Gesetz Nr. 64 getroffene Regelung davon aus, daß ein Lohnsteuerpflichtiger zu keiner höheren Einkommensteuer herangezogen werden kann als ein zu veranlagender Stpfl. mit gleich hohem Einkommen und gleichem Familienstand. Ein berechtigtes Interesse an der Veranlagung im Sinne des § 46 Absatz 1 Ziffer 4 EStG 1949 liegt vor, wenn einem Arbeitnehmer, der die ihm im Lohnsteuerverfahren und im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren zustehenden Rechtsbehelfe rechtzeitig geltend gemacht hat, eine höhere Steuer einbehalten wurde, als sich bei einer Veranlagung ergeben würde. Da der Abschnitt 229 EStR II/1948 und 1949 der gesetzlichen Regelung widerspricht, ist er rechtsunwirksam.

Der Bf. hat im Lohnsteuerverfahren rechtzeitig die Eintragung der Steuerklasse III/2 beantragt. Ein Lohnsteuer-Jahresausgleich ist bei ihm nicht zulässig. Er hat dargetan, daß er bei Veranlagung eine niedrigere Einkommensteuer zu zahlen hätte als die einbehaltene Lohnsteuer. Er hat danach einen Rechtsanspruch auf eine Einkommensteuerveranlagung für 1949.

Die Vorentscheidung wird wegen unrichtiger Anwendung des bestehenden Rechts aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das eine Veranlagung für 1949 durchzuführen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407220

BStBl III 1951, 100

BFHE 1952, 262

BFHE 55, 262

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